Maik Löwen ist 33 Jahre alt. Zwölf Jahre lang war Maik Löwen Crystal-abhängig. Dazu kam Alkohol. Es ist keine Geschichte einer schlechten Vergangenheit und einer positiven Gegenwart, einem In-Der-Abhängigkeit und einem Nach-Der-Abhängigkeit. Maik erzählt von seinem langen Prozess und von Rückfällen und auch von der Arbeit von ihm und seiner Ehefrau beim Blauen Kreuz Leipzig e. V., die ihn glücklich macht. Er hat gelernt, dass es auch ohne Drogen geht.
Früh hat Maik mit dem Trinken, Rauchen und Kiffen angefangen. Er wuchs in Marienberg im Erzgebirge auf. Seine Eltern haben selbst nicht „gesoffen“. Zeitig kam Maik auf eine Förderschule, wegen einer Lese-Rechtschreib-Schwäche und weil er generell nicht hinterher kam. Er erzählt von Mobbing:
„Da hörst du: Du bist nichts, du kannst nichts. Dann hast du einfach auch versucht dich in anderen Dingen zu messen. Ich habe das mit Alkohol gemacht, mit 12 oder 13 Jahren schon. Am Wochenende beim Jugendclub habe ich einfach meinen Freunden gezeigt: Ich kann vier Bier trinken. Die haben nur zwei vertragen. Und dann war ich der Coole. Das hat mich stark gemacht.“
Mit vierzehn kiffte er viel, arbeitete immer weniger für die Schule und flog zur 8. Klasse raus. Mit fünfzehn begann er Crystal Meth zu konsumieren. Alkohol spielte nebenbei immer eine Rolle. Um den Konsum zu finanzieren, beging er Einbrüche und Diebstähle. Mit 22 kam er ins Jugendstrafgefängnis Regis-Breitingen (2011). Das war für ihn eine schlimme Erfahrung. Er lernte dort aber auch das Blaue Kreuz kennen und entschied sich für den Glauben.
Die Sucht war noch nicht vorbei
Danach hörte er nicht sofort auf mit dem Konsumieren. Nach einem Jahr und sieben Monaten Haft machte er zwei Langzeit-Therapien. Und er fand zum christlichen Glauben.
„Ich habe zwar alles gut abgeschlossen, aber dann (nach der ersten Therapie) bin ich raus und gleich wieder rückfällig geworden. Dann bin ich direkt wieder in Therapie. Ich habe mir immer gleich Hilfe gesucht. Ich wollte Hilfe. Für mich war es schwer (das Konsumieren) sein zu lassen. Ich habe immer wieder zu dem Mist – Alkohol, aber auch andere Drogen – gegriffen. Der Rausch, ich habe das vermisst. Ich kannte es auch nicht anders.“
Danach kam er eineinhalb Jahre lang in ein betreutes Wohnen und nahm viele Medikamente, Antidepressiva, etwas gegen seine Psychosen. Dann ging er nach Berlin, lebte dort auch kurzzeitig auf der Straße und wurde wieder rückfällig. Maik ist heute dankbar, dass er noch lebt. In Berlin machte Maik auch seine letzte Langzeit-Therapie.
Dann kam er nach Leipzig. Da war die Sucht noch nicht weg. Er machte einen Krankenpflegehelferschein mit Realschulabschluss und eine Ausbildung zum Selbstbehauptungstrainer, bevor das Blaue Kreuz ihn anstellte.
Suchthilfe in Leipzig
Alkoholsucht, das bestätigt auch Ina Klass von der Selbsthilfekontakt- und Informationsstelle (SKIS) Leipzig, komme immer seltener allein. Meist haben die Menschen auch noch Abhängigkeiten von weiteren Drogen.
In Leipzig gibt es mehrere Suchtberatungs- und Behandlungsstellen. Dort können Menschen selbst gewählt hingehen, wenn sie sich Hilfe suchen möchten. Manche bekommen jedoch auch gerichtliche Auflagen, Beratungen wahrzunehmen.
Der Großteil der Beratungsstellen ist an das Zentrum für Drogenhilfe der Stadt Leipzig angegliedert. Dann gibt es noch das Blaue Kreuz als christliche Drogenhilfe und die Suchtberatungs- und Behandlungsstelle „Impuls“.
Der Standort des Blauen Kreuz Leipzig e.V. in der „Grünauer Oase“, wo Maik Löwen arbeitet, bietet neben Beratung und Seelsorge auch Therapievermittlung, Selbsthilfe- und Angehörigengruppen, Sport- und Freizeitangebote, Selbstbehauptungstrainings, ein kostenloses Frühstück jeden Freitag und generell ein erstes Ankommen. 16 Menschen berät Maik wöchentlich, weitere kommen einfach so immer mal vorbei. Zu dem gemeinsamen Frühstück kommen mittlerweile 23 Menschen.
Außerdem macht das Blaue Kreuz Hausbesuche, Besuche im Jugendgefängnis Regis-Breitingen und Sucht- und Gewaltprävention an Schulen. Dabei sind die Themengebiete breit: Abhängigkeit von Alkohol und anderen Drogen, Gewaltprävention, aber auch ganz allgemeine Themen wie Ehe oder Familie.
Das Blaue Kreuz hat in Leipzig sieben fest angestellte Mitarbeiter*innen und viele Ehrenamtliche. Es finanziert sich nach Aussage von Maik Löwen nur durch Spenden. In der Zweigstelle in Grünau, die seit 2020 existiert, sind sie zu zweit. Der Ort steht, laut Maik, Menschen unabhängig von ihrer Konfession offen.
Leicht zugängliche Angebote
Maik wohnt selbst in Grünau und bezeichnet das Viertel als Brennpunkt. Deshalb sei es wichtig, dass Menschen nicht erst eine Mail schreiben oder anrufen müssten. Manche kämen einfach so, klopften ans Fenster. Maik geht auch aktiv auf Menschen auf der Straße zu. Wenn man das selbst erlebt habe, sehe man, wenn jemand abhängig sei.
Neben Beratungsstellen und betreutem Wohnen gibt es in Leipzig außerdem zahlreiche Selbsthilfegruppen zum Thema Sucht für LGBTQ+, cis und hetero Menschen, in unterschiedlichen Sprachen und für unterschiedliche Abhängigkeiten.
Laut Ina Klass sind die Selbsthilfegruppen für den Umgang mit Alkoholabhängigkeit wichtig, um Abstinenz zu halten, Alltagsthemen teilen zu können, zu stabilisieren und um eine Gemeinschaft zu bieten. Selbsthilfegruppen werden durch (ehemals) Betroffene organisiert. In den Selbsthilfegruppen sind laut Ina Klass Männer öfter vertreten als Frauen (ohne Angabe ob trans*inklusiv) oder „Diverse“ (inter, gendernonkonforme, nicht-binäre oder agender Personen).
Das geht nicht alleine
Dass Maik Löwen clean ist, sei nicht normal. Sucht sei eine Krankheit, für die niemand etwas könne. Trotzdem sei es eine eigene Entscheidung zu konsumieren. Alleine hätte er es nie geschafft aufzuhören, sagt er selbst. Und es gehe auch nicht schnell.
„Und, das werdet ihr vielleicht nicht schreiben, aber das ist einfach wichtig für mich: Glaube hat wirklich viel mit mir gemacht. In der Bibel steht nicht nur drin, dass alles schön ist. Da steht auch, dass die Verführung immer da ist. Als ich das gecheckt habe, dass die Versuchung da ist, dass wir Menschen sind… Neid, Gier, Macht, Hass… Und wer will denn nicht gern viel Geld haben.“
Noch vor zwei Jahren hatte Maik einen Rückfall mit Alkohol. Suchtdruck könne allein schon durch Langeweile kommen. Aber er habe keine Lust mehr darauf, erzählt Maik, denn er habe erlebt, dass es ohne auch gehe.
Seine Ehefrau und seine Kinder sind unglaublich wichtig für ihn. Seine Ehefrau Irene, die mit ihm gemeinsam in der „Grünauer Oase“ arbeitet, ist ebenso christlich – Jesus steht an erster Stelle. Ob Kernfamilie, Liebes-Beziehungen oder Glauben ein Grund seien aufzuhören, sei aber bei allen Menschen sehr unterschiedlich.
„Mein Chef hatte immer ein Beispiel: Er ist jahrelang jemandem hinterhergerannt und wollte den unterstützen, damit der trocken wird. Bestimmt zwanzig Jahre lang. Dann ist einer aus seiner Bekanntschaft gestorben, sein Hund ist zu dem gekommen und dann ist der trocken geworden. Weil er eine Aufgabe hatte.“
Ein gesellschaftliches Problem
Bei Sucht heißt es ganz schnell, die Menschen seien selbst Schuld – dabei habe laut Maik fast jeder ein Problem mit irgendeiner Sucht, ob Handy, Pornografie oder eben Drogen: „Mit Verurteilungen sind wir vorsichtig hier beim Blauen Kreuz, weil die Menschen immer eine Riesen-Geschichte dahinter haben.“
Maik erzählt von Eltern, die in der Küche konsumieren, während ihre zweijährigen Kinder herumkrabbeln. Während des Gesprächs kommen Menschen vorbei, Jüngere, grüßen uns mit einem „was geht“. Auch Jugendliche kämen in seine Beratung. Er verurteile niemanden. Es gebe keinen Grund zum Konsumieren, aber wenn man einmal drinstecke, sei es schwer, wieder rauszukommen.
„Das Thema Alkohol wird immer Nummer eins bleiben, auch bei uns hier. Auch wenn Crystal alles überschwemmt oder noch andere Drogen dazukommen. Alkohol gibt es im Laden. Menschen fahren mit Alkohol Auto. Ich hatte erst gestern einen hier, der muss jetzt seine MPU machen. Ziemlich jung, 23, wenn überhaupt. Hatte schon zwei Autounfälle. Das wünscht man niemandem. Aber Alkohol wird immer ein Thema in unserer Gesellschaft bleiben, glaube ich.“
Verbote seien aber nicht die Lösung: „Man brennt sich (den Alkohol) oder wird es trotzdem irgendwie konsumieren. Damals bei uns in Marienberg haben sie Alkohol auf dem Marktplatz verboten – naja, dann hat man halt in einer Gasse getrunken.“
„Wenn man weiß, dass man wertvoll ist…“
Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (DHS) listet auf ihrer Seite unterschiedlichste Themen: Sucht und Gender, Sucht und Flüchten, Sucht und Alter. Der Selbstwert, der Menschen durch ihre gesellschaftliche Position vermittelt wird, aber auch der ansozialisierte Umgang mit harten Lebensphasen und mögliche Schutzmöglichkeiten spielen eine Rolle in der Entwicklung von Abhängigkeiten. So greifen zum Beispiel Männer häufiger zu Alkohol, während Frauen eher Schlaf-, Beruhigungs oder Nahrungsmittel konsumieren.
Auch bestätigt Sylke Lein, Suchtbeauftragte der Stadt Leipzig, dass in der Stadt circa 2/3 der Betroffenen Männer seien, während der Großteil der Angehörigen Frauen seien. Frauen seien eher von den Auswirkungen der Sucht bei anderen betroffen. Bei einer eigenen Erkrankung würde das Thema eher verdrängt.
Ohne den Abbau von Tabus, Klischees und Stigmata, sowie grundsätzlich auch diskriminierenden Strukturen, werden auch Drogenabhängigkeiten immer ein Thema sein. Wir leben in einer Gesellschaft, die von grundverschiedenen Menschen die gleichen Leistungen erwartet. Gleichzeitig werden die Möglichkeiten, die Menschen haben, stark von Privilegien beeinflusst, zum Beispiel in einer reicheren Familie aufzuwachsen.
Laut Maik ist es der geringe Selbstwert, den viele schon früh durch Leistungsdruck in der Schule entwickeln, der zu Sucht führen kann. Deshalb spricht er über seine Erfahrungen und – was als Mann in einer Gesellschaft mit vielen Tabus nicht selbstverständlich ist – auch über seine Gefühle.
„Gerade für Kinder ist es wichtig einen Selbstwert zu finden und zu haben: Damit man auch später zu Alkohol oder Zigaretten in der Schule ein Nein findet. Denn wenn man weiß, dass man wertvoll ist, zerstört man sich nicht so schnell.“
Suchtberatungs- und Behandlungsstellen in Leipzig: https://static.leipzig.de/fileadmin/mediendatenbank/leipzig-de/Stadt/02.5_Dez5_Jugend_Soziales_Gesundheit_Schule/53_Gesundheitsamt/Sucht/Suchthilfe/Suchthilfe-Wegweiser_2022.pdf
Selbsthilfegruppen in Leipzig: https://www.leipzig.de/jugend-familie-und-soziales/gesundheit/selbsthilfe/selbsthilfegruppen-und-vereine#c40298
Maik Löwens Autobiographie „Vom Crystal zum Christen – Mein Weg von der (Sehn)Sucht zur bedingungslosen Liebe“ erscheint im ELPIDA-Verlag. Er hat bereits in den Büchern „Wahrhaft frei“ und „Männer Mut Macher“ publiziert.
„Alleine hätte ich das nicht geschafft: Maik Löwen vom Blauen Kreuz Leipzig e. V. über Selbsthilfe und Beratungsstellen“ erschien erstmals zum thematischen Schwerpunkt „Sucht“ am 30. April 2023 im ePaper Nr. 112 der LEIPZIGER ZEITUNG. Der Schwerpunkt wird das Thema in allen denkbaren Facetten behandeln: Alkohol, Drogen, aber auch eher Unbekanntes wie Pornosucht. Und während die Debatte über die Legalisierung von Cannabis läuft, schauen wir zurück auf die Geschichte der Drogen quer durch die Zeitalter.
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