Das Betreten eines Zimmers in einer Erstaufnahmeeinrichtung durch die Polizei zählt nicht als Hausdurchsuchung. Deshalb braucht es keinen gerichtlichen Beschluss dafür. So entschied das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) heute. Geklagt hatte unter anderem Alassa Mfouapon . Bei einer Groß-Razzia am 20. Juni 2018 drangen mehrere Polizeibeamte mit Hunden nachts in sein Zimmer ein, um ihn abzuschieben.
Dabei sah die Polizei in seinen Schrank, durchsuchte ihn und nahm ihm persönliche Gegenstände weg. Als er seinen Anwalt anrufen wollte, wurde ihm dies zunächst verwehrt. Mfouapon wurde nach Italien abgeschoben. Er kam wieder nach Deutschland und stellt einen Asylfolgeantrag.
Seit mehreren Jahren wehrt sich Mfouapon rechtlich gegen den massiven Eingriff der Polizei. Das Verwaltungsgericht Ellwangen hatte die Groß-Razzia bereits als unverhältnismäßig und damit rechtswidrig erklärt.
Jedoch war das Gericht der Auffassung, dass es sich bei den Schlafzimmern in Geflüchteten-Unterkünften nicht um geschützte Wohnungen im Sinne des Grundgesetzes handelt. Dagegen hatte Mfouapon Revision eingereicht. Heute hat das Bundesverwaltungsgericht eine Entscheidung getroffen. In dem Verfahren ging es aber nicht nur um diesen konkreten Einzelfall.
Zweiter Gegenstand der Verhandlung war ein Normenkontrollantrag, in dem die Paragraphen der mittlerweile veralteten Hausordnung einer Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) in Freiburg überprüft werden sollte. Nun wird von einem Bündnis unterschiedlicher Verbände geprüft, ob gegen das Urteil Verfassungsbeschwerde eingelegt wird.
Bündnis fordert Abschaffung der Aufnahmeeinrichtungen
Teil des Bündnisses sind unter anderem die Gesellschaft für Freiheitsrechte e. V. (GFF), PRO ASYL, die Aktion Bleiberecht Freiburg und der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg. Vor dem Bundesverwaltungsgericht veranstalteten sie eine Kundgebung unter dem Motto „No more camps – We want homes“ statt. Es gehe schließlich nicht nur darum, die Hausordnungen der Einrichtungen zu verändern, die Einrichtungen müssten, wie auch andere repressive Gesetze für Geflüchtete, abgeschafft werden. Auch die MLPD veranstaltete eine Kundgebung.
„Die Klarstellung, dass die Unverletztlichkeit der Wohnung vollumfänglich auch in Geflüchteten-Unterkünften gilt, war wichtig“ betont Sarah Lincoln, Rechtsanwältin und Fallkoordinatorin bei der GFF.
„Dieser Schutz ist aber wenig wert, wenn das Gericht am Ende andere kreative Wege findet, um den Schutz zu unterlaufen: indem es die Abschiebung aus einem Schlafzimmer nicht als Durchsuchung sieht, indem es die Ausreisepflicht zur dringenden Gefahr für die Rechtsordnung erklärt, indem es die gerichtliche Überprüfung von Hausordnungen unmöglich macht.“
Mit letzterem spielt Lincoln auf den Normenkontrollantrag an. In den angegriffenen Paragraphen der Hausordnung ging es um den Zugang von Sicherheitsdienst und Polizei zu den Wohnräumen sowie um Taschenkontrollen. Eine positive Entscheidung hätte deutschlandweit für die Hausordnungen der Geflüchteten-Unterkünfte weitreichende Folgen gehabt.
Keine grundsätzliche Entscheidung
„Wir haben nicht nur für uns geklagt, sondern für alle Menschen, die in diesen gefängnisähnlichen Camps leben. Deswegen verstehen wir nicht, warum das Gericht nur deshalb nicht entscheiden will, weil wir dort nicht mehr leben. Viele geflüchtete Menschen sind nach wie vor von diesen repressiven Regeln betroffen. Wir kämpfen weiter für ein selbstbestimmtes Wohnen“, so Ba Gando, einer der Kläger.
Er wohnte bis Herbst 2021 in der LEA in Freiburg. Weil er selbst nicht mehr von der damals geltenden Hausordnung betroffen ist, hielt der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts den Antrag für unzulässig. Auch die Hausordnung wurde, nach vorinstanzlichen Verfahren, bereits geändert, sodass das Betreten der Wohnräume der Geflüchteten durch Sicherheitsdienste eingeschränkt ist. Ein schwerer Grundrechtseingriff, der gerechtfertigt hätte, eine Entscheidung trotz fehlender aktueller Betroffenheit zu treffen, liege laut BVerwG daher nicht mehr vor.
Aus Sicht der Vertreter*innen des Landes Baden-Württemberg seien die Regelungen zu Taschen- und Zimmerkontrollen in den Hausordnungen zum Schutz der Bewohner*innen notwendig. Es habe Ausschreitungen in der Unterkunft gegeben. Das wolle man verhindern, deshalb sehen sie sich „in der Pflicht, die Bewohner*innen zu schützen“.
Ihrer Meinung nach sei die Hausordnung, eine Musterhausordnung für ganz Baden-Württemberg, das richtige Mittel, um diese Regelungen vorzunehmen und dadurch eventuell auch Grundrechte einzuschränken. Sie ergebe sich aus dem Flüchtlingsaufnahmegesetz (BW FlüAG).
Menschen zweiter Klasse
Das Gericht hat sich mit seinem Urteil dagegen entschieden, durch die Normenkontrolle eine einheitliche Lösung für alle Hausordnungen festzulegen. So muss jede*r Geflüchtete*r selbst gegen die Einschränkung im Einzelfall vorgehen. Das sei sowohl ineffizient, so Thomas Deppner, als auch nicht realisierbar. Viele Geflüchtete hätten nicht die Möglichkeit zu klagen oder wollten sie aus Angst nicht nutzen.
Wie in den vorinstanzlichen Verfahren war es erneut Thema, ob die Wohnräume von Geflüchteten überhaupt als Wohnung im Sinne des Art. 13 GG gelten und damit dem besonderen Schutz unterliegen. Das Bundesverwaltungsgericht zeigte hier eine klare Haltung: Ja, diese Räume fallen unter den Schutz des Art. 13, auch wenn darin mehrere Menschen lebten.
Gleichzeitig fasste Deppner die Situation sehr gut zusammen: Bei einer Familie, die in einer Einzimmerwohnung lebte, wäre diese Frage gar nicht erst gestellt worden. Man könne auch einfach mal klopfen oder nicht zur Nachtzeit kommen, schlug die Anwältin Sarah Lincoln vor.
Auch der Alassa Mfouapon fasste es bei seiner Rede draußen vor dem Gericht so zusammen: „Zuerst machen sie die Gesetze und das Wohnen für Geflüchtete immer schwerer. Und dann sagen sie: Na, das ist doch keine Wohnung.“ Ironischerweise wurde ihm im Verhandlungssaal bereits nach zwei halben Sätzen das Wort entzogen, weil seine Ausführungen zu persönlich und politisch seien. Das habe im Gericht keinen Platz.
Kläger und Anwält*innen kritisierten auch, dass die besondere Situation von Geflüchteten außer Acht gelassen würde. Die Zimmer der LEA seien nämlich der einzige Rückzugsort für eventuell traumatisierte Geflüchtete. Außerdem seien sie gezwungen dort zu leben und könnten sich nicht aussuchen, ob sie sich den Taschen- oder Zimmerkontrollen unterwerfen wollten.
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