Demonstrationen waren wie viele andere Bereiche des Lebens stark von der Coronakrise betroffen. In Sachsen war es lange Zeit nur erlaubt, sich mit wenigen Menschen und an einem festen Standort zu treffen. Doch als Demonstrationen auch als Aufzüge mit vielen Menschen wieder erlaubt wurden, ergaben sich für einige Teilnehmer*innen ganz neue Möglichkeiten. Gesichtsmasken wurden empfohlen oder gar vorgeschrieben, sodass das Vermummungsverbot deutlich eingeschränkt wurde. Wer unerkannt demonstrieren wollte, konnte dies nun ganz legal tun.
Mittlerweile ist die Situation deutlich komplizierter – sogar noch komplizierter als vor der Coronakrise. Gesichtsmasken sind für den Gesundheitsschutz auf Demonstrationen grundsätzlich weiterhin geduldet, werden jedoch in bestimmten Fällen als Vermummung gewertet. Vor allem von Teilnehmer*innen linker Demos wurden in den vergangenen Monaten immer wieder Vorwürfe laut, dass die Polizei keine einheitlichen Regeln hat und bei verschiedenen Versammlungen mit unterschiedlichen Maßstäben misst. Wann der Gesundheitsschutz endet und die Vermummung beginnt, scheint etwas unklar.
„Aus strafrechtlicher Sicht gibt es keine Veränderung hinsichtlich des Tatbestandes“, erklärt Olaf Hoppe, Sprecher der Polizeidirektion Leipzig. „So regelt das Sächsische Versammlungsgesetz eine Strafbarkeit für die Teilnahme an Versammlungen in einer Aufmachung, die geeignet und den Umständen nach darauf gerichtet ist, die Feststellung der Identität zu verhindern.“
Wann genau das der Fall ist, müsse im Einzelfall entschieden werden. Eine teilweise unter Demoteilnehmer*innen kolportierte Richtlinie, wonach lediglich eine bestimmte Anzahl an Sinnesorganen sichtbar sein müsse, gebe es nicht.
Relevant für die Einschätzung seien beispielsweise auch Witterungsbedingungen, mitgeführte Gegenstände oder das konkrete Verhalten der Teilnehmer*innen. Hoppe dazu: „Masken werden so zum Beispiel nur situativ getragen. Der Mund-Nasen-Schutz wird mit Kapuzen, Sonnenbrillen, Mützen kombiniert.
Uniforme Kleidung wird getragen. Merkmale beziehungsweise Kennzeichen an Bekleidungsgegenständen werden abgeklebt.“ In solchen Fällen sei dann eher davon auszugehen, dass die Gesichtsmaske nicht dem Gesundheitsschutz, sondern der Vermummung diene.
Sollten die Polizist*innen vor Ort zu einer solchen Auffassung gelangen, werden sie sich in der Regel darum bemühen, die Identitäten der Personen festzustellen. Hoppe betont, dass es dabei dennoch lediglich um einen Verdacht und nicht um eine Verurteilung gehe – für letzteres seien schließlich Gerichte zuständig. Ob die Polizei direkt gegen mutmaßliche Vermummungen vorgehe, hänge unter anderem von der Zahl der eingesetzten Kräfte und dem Eskalationspotenzial ab.
Noch komplizierter wird es, wenn sich Teilnehmer*innen von Demonstrationen nicht vor der Polizei, sondern vor tatsächlichen oder angeblichen Journalist*innen schützen möchten. Seit einiger Zeit ist beispielsweise bei vielen linken Demonstrationen ein AfD-Kreisrat vor Ort, der zugleich als Medienaktivist agiert – naheliegend, dass Antifaschist*innen von diesem nicht gefilmt werden möchten, zumal dieser das häufig offenbar bewusst aus kurzer Distanz versucht. In solchen Fällen werde die Polizei „im Rahmen des Gesamtkontextes handeln“, so Hoppe.
Letztlich gibt es Interessenskonflikte, die kaum aufzulösen sind. Die Polizei argumentiert, dass eine Identitätsfeststellung keine Verurteilung sei, aber viele linke Demonstrant*innen beziehungsweise Aktivist*innen möchten gar nicht erst in einer solchen Maßnahme landen, weil sie der Polizei grundsätzlich misstrauen.
Und ziemlich offensichtlich ist auch, dass Gesichtsmasken bei bestimmten Demos nicht vorrangig getragen werden, um sich vor Krankheiten zu schützen, dies aber gegenüber der Polizei behauptet wird.
Zumindest in einer Sache herrscht Klarheit: Klassische Vermummungsgegenstände wie Schlauchschals, die schon vor der Coronakrise nicht geduldet wurden, bleiben verboten. Ein Schlauchschal schütze schließlich nicht vor Infektionskrankheiten, so Poppe.
„Demonstrationen: Wenn Gesundheitsschutz und Vermummung kollidieren“ erschien erstmals im am 30. April 2023 fertiggestellten ePaper LZ 112 der LEIPZIGER ZEITUNG.
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Es gibt 2 Kommentare
Wer nicht gesehen werden will soll nicht auf Demos gehen. Intressenskonflit aufgelöst! So einfach.
Die Maske auf Demos zu tragen ist schon lange keine Hygienemassnahme mehr sondern ein politisches Erkennungsmerkmal.