So langsam gerät er in die zweite und dritte Reihe der Berichterstattung: der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Das hat vor allem zwei Gründe: Zum einen dauert dieser in seinen Auswirkungen unfassbare Krieg nun schon 14 Monate an. Ein Ende des Zerstörens und Mordens ist nicht absehbar. Zum andern flammen an vielen Stellen in der Welt neue, militärisch ausgetragene Konflikte auf, insbesondere auf dem afrikanischen Kontinent.
Sie deuten an, dass der von Russland initiierte Waffengang gegen die Ukraine kein isoliertes Geschehen ist, sondern bestehende Konflikte zusätzlich militärisch aufheizt.
Was leider auch deutlich wird: Das alte, ernüchternde Clausewitz-Diktum „Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ scheint weiter Handlungsmaxime internationaler Politik zu bleiben.
Darum eine Erinnerung.
Als wenige Monate nach der Friedlichen Revolution 1990 auf dem Balkan bewaffnete Auseinandersetzungen begannen und sich der zweite Golfkrieg abzeichnete, der dann im Januar 1991 ausbrach, ging von diesen militärischen Auseinandersetzungen für mich vor allem eine Botschaft aus: Niemand soll darauf setzen, dass die Erfahrungen des jahrzehntelangen europäischen Friedensprozesses und der Friedlichen Revolutionen in Deutschland und Osteuropa, zu einer bewussten Abkehr von militärisch bestimmter Interventionspolitik auf internationaler Ebene führen wird.
Deswegen sollte mit dem Krieg einer internationalen Koalition unter Führung der Vereinigten Staaten gegen den Irak aller Welt klargemacht werden:
Das Motto „Keine Gewalt“, das tatsächlich Gewalt begrenzte, taugt nicht für die internationale Politik. Wir werden in Zukunft politische Veränderungen (wieder) mit kriegerischen Mitteln durchführen – und zwar bis zu dem Punkt, an dem von einem Land, einer politischen Machtgruppe keine Gefahr für die eigenen Interessen ausgeht; und dies völlig unabhängig davon, in welchem Zustand sich das mit Krieg überzogene Land befindet.
Diese Politik hat in den vergangenen über drei Jahrzehnten zu verbrannter Erde in vielen Regionen dieser Welt geführt (Naher Osten, Afghanistan, Mali) und die Politik der Länder diskreditiert, die jetzt aktuell eine politische Front gegen den Aggressor Russland aufbauen wollen.
In Deutschland führte dieser leider mit vollzogene Politikwechsel dazu, dass im Januar 1991 der damalige Finanzminister Theo Waigel meinte, die Deutsche Einheit „aus der Portokasse“ bezahlen zu können, während er 17 Milliarden DM für den Golfkrieg zur Verfügung stellte. Mit dem Zweiten Golfkrieg war die europäische Friedenspolitik de facto beendet.
Von daher gesehen ist es kein Wunder, dass 2022 weltweit 2,24 Billionen US-Dollar für Rüstungsgüter ausgegeben wurden – so viel wie noch nie. Das ist das Ergebnis des jährlichen Berichtes des schwedischen Friedensforschungsinstituts SIPRI. Allein für Europa wird eine Steigerung der Militärausgaben von 13 Prozent gegenüber dem Vorjahr ausgewiesen. An der Spitze der weltweiten Ausgaben stehen die USA, gefolgt von China, Russland, Indien und Saudi-Arabien.
Deutschland nimmt den 7. Platz auf der Rankingliste ein. Die weltweit weiter rasant steigenden Ausgaben für Rüstungsgüter zeigen an, dass die meisten Nationen nicht nur mit mehr kriegerischen Auseinandersetzungen rechnen. Militärische Interventionen sind wieder bewusst einkalkulierter Teil politischer Prozesse geworden – mit der allgemeinen Folge, dass weltweit wie national für eine Akzeptanz kriegerisch ausgetragener Konflikte gesorgt werden muss – auch bei uns.
Das wird allein daran sichtbar, wie sehr die Kriegsrhetorik die politische Debatte bestimmt. „Muss Deutschland Krieg können?“, fragte „Hart aber fair“ am 03. April 2023, nachdem zuvor die ARD eine Doku sendete „Wie kriegstauglich ist die Bundeswehr heute?“. Es ließen sich viele weitere Beispiele anführen.
Widerspricht aber diese Tonlage nicht diametral und fundamental den Grundaussagen und Werten unserer Verfassung? Müssen wir in unserer Gesellschaft nicht intensiv über die Frage debattieren, ob die derzeitige massive Aufrüstungspolitik noch vereinbar ist mit der Präambel (in Zusammenhang mit Art. 26) des Grundgesetzes?
Dort heißt es, dass sich das Deutsche Volk „im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen“ das Grundgesetz gegeben hat.
Völlig unabhängig davon, ob man für oder gegen Waffenlieferungen an die sich gegen die russische Aggression verteidigende Ukraine ist, müssen wir äußerst beunruhigt darüber sein, dass gerade in Deutschland mit zunehmender Intensität Waffen jeder Art produziert und exportiert werden. Deren einziger Zweck ist doch: dass sie eines Tages in einer kriegerischen Auseinandersetzung eingesetzt werden.
Heute weiß aber niemand, wann, wo und mit welchen Absichten diese Waffen gebraucht werden. Nur eines wissen wir: Mit jeder Waffe, die produziert wird, wird auch gehandelt und sie wird eines Tages eingesetzt werden. Wir sind also auf dem besten, nein: schlechtesten Wege, wieder einen kapitalen politischen Fehler zu machen. Ersetzte nach 1990 eine einseitige Energiepolitik friedenspolitische Initiativen auf europäischer Ebene, die bewusst anknüpfen an den 40-jährigen Friedensprozess nach 1949, so wird derzeit das Bemühen um eine europäische Friedensordnung überlagert von einer massiven Aufrüstungs- und Kriegspolitik.
Man muss über keine prophetischen Fähigkeiten verfügen, um zu ahnen: Dieser gefährliche Irrweg wird uns in wenigen Jahren wieder schwer auf die Füße fallen. Niemand weiß derzeit, in welchen Ländern sich freiheitliche Demokratie gegen den aufkommenden nationalistischen Autokratismus durchsetzt bzw. erhält. Autokratismus ist aber die wesentliche Keimzelle für Krieg.
Darum ist es dringend erforderlich, dass wir gerade angesichts des Angriffskrieges Russlands eine neue europäische Friedenspolitik einschließlich restriktiver Rüstungsbegrenzung entwickeln und eine restriktive Rüstungspolitik betreiben. Wenigstens die Kirchen hätten hier jeden Tag die Stimme zu erheben.
Zum Blog von Christian Wolff: http://wolff-christian.de
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