Rund 120 Menschen kamen am Freitag zu einer Kundgebung zum Internationalen Tag der Pflege. Aufgerufen hatte das Bรผndnis Gesundheit statt Profite. Die Kundgebung fand auf dem Richard-Wagner-Platz statt. In den Reden wiesen die Pflegekrรคfte und Auszubildenden auf Missstรคnde im Gesundheitssektor hin und darauf, wie sich das auf Pflegende und Patient*innen auswirkt.
โDas Problem der Pflege, ist nicht, dass nicht genug ausgebildet wird. Das Problem ist, dass zu viele Menschen diesen Beruf gefrustet wieder verlassen oder ausgebrannt sind. 25 Prozent aller examinierten Pflegekrรคfte erwรคgen den Berufsausstiegโ, so Kristian Fink, ver.di-Jugendsekretรคr Leipzig/Nordsachen und Gesundheits- und Krankenpfleger, in seiner Rede.
Auch auf Schildern und Transparenten wurden Missstรคnde angeprangert. Zum Beispiel, dass in Deutschland eine Pflegekraft auf 13 Patient*innen kommt, wรคhrend es zum Vergleich nur sieben in den Niederlanden sind oder dass in den nรคchsten 10 Jahren rund 500.000 Pflegekrรคfte in Rente gehen werden. Zusรคtzlich dazu kommen diejenigen, die einen vorzeitigen Berufswechsel erwรคgen. Auch arbeiten viele Pflegekrรคfte, gerade bei ambulanten Pflegediensten, in Teilzeit.
Das Bรผndnis Gesundheit statt Profite geht aber noch einen Schritt weiter und kritisiert die Profit- und Gewinnorientierung im Pflegesektor: der Druck auf Krankenhรคuser, schwarze Zahlen zu schreiben und das Fallpauschalensystem seien nicht tragbar, wenn Menschen gut gepflegt werden sollten.
Gute Versorgung anstatt Profitorientierung
โDie Einfรผhrung der Fallpauschalen hat dafรผr gesorgt, dass unser Gesundheitssystem mehr und mehr aus der gemeinschaftlichen Daseinsvorsorge herausgenommen wurde. Der Markt sollte alles regeln. Arbeitsbedingungen und Bezahlung des Personals sowie die Bedรผrfnisse der Betroffenen sind auf der Strecke geblieben. Das war ein Fehler und dieser muss nun rรผckgรคngig gemacht werden, fรผr bessere Arbeitsbedingungen und vor allem fรผr eine bessere medizinische, pflegerische, therapeutische und soziale Versorgung der Gesellschaftโ, so Luiz Hirsch von Gesundheit statt Profite Leipzig.
รberstunden, รberlastung und Stress sind Alltag in der Pflege. Schon seit mehreren Jahren sprechen kirchliche Verbรคnde, die Pflegekammern der Lรคndern, Wohlfahrtsverbรคnde und weitere Gruppen von einem Pflegenotstand. Auch das statistische Bundesamt errechnet eine Steigerung der Pflegebedรผrftigen von 2021 5,0 Millionen รผber 5,6 Millionen Ende 2035 auf 6,8 Millionen Ende 2055 bei konstanter Pflegequote. Infolge des 2017 neu gefassten Pflegebedรผrftigkeitsbegriffs kรถnnten diese Quoten jedoch mehr Menschen umfassen und dadurch die Anzahl der Pflegebedรผrftigen 2055 auf rund 7,6 Millionen steigen.
Schon 2017 verwies der Prรคsident des Deutschen Pflegerates Franz Wagner auf einen โPflegenotstandโ. Auch Wohlfahrtsverbรคnde wie die Caritas in Leipzig fordern eine Steigerung der Anerkennung und Wertschรคtzung, eine Erweiterung des Personalschlรผssels und angemessene Vergรผtung. Drastische Verรคnderungen wollen auch politische Gruppen wie der Walk of Care, eine Berliner Initiative mit Ortsgruppen in verschiedenen deutschen Stรคdten: Eine bedarfsgerechte Finanzierung ohne Profitlogik sei unter anderem notwendig.
In den letzten Jahren immer wieder Arbeitskรคmpfe
In den letzten Jahren gab es immer wieder Arbeitskรคmpfe in der Pflege. So zum Beispiel die Streiks der Berliner Krankenhausbewegung fรผr den Tarifvertrag Entlastung bei der Charitรฉ und Vivantes. Die Streikenden hatten schlieรlich einen erfolgreichen Ausgang des Streiks erreicht. Allerdings ging dies nicht ohne Angst vor Drohungen und Abmahnungen durch die Arbeitgeber.
Vor allem in kirchlichen Krankenhรคusern sei es schwierig fรผr Arbeitnehmende, ihre Rechte durchzusetzen, so Kristian Fink. An kirchlichen Krankenhรคusern wie auch dem St. Georg-, dem St. Elisabeth und dem Diakonissenkrankenhaus in Leipzig dรผrfen die Beschรคftigen nicht streiken. In seinem Ausbildungskrankenhaus, der Marienhausklinik Ottweiler, habe es den ersten Streik Deutschlands in einem katholischen Krankenhaus gegeben, erzรคhlt Kristian Fink.
โNatรผrlich hat die Klinikleitung getobt und geschรคumt vor Wut. Es wurde versucht, die Kolleginnen und Kollegen massiv einzuschรผchtern. Es wurde mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen gedroht und es wurden Schreiben verschickt mit dem Ziel, Lรผgen und Unwahrheiten รผber Streiks, das Streikrecht und Gewerkschaften zu verbreiten. Und wie haben die Kolleginnen und Kollegen reagiert? Na genau richtig! Sie rissen sich sprichwรถrtlich den Hintern auf und sorgten dafรผr, dass trotz oder gerade wegen der Einschรผchterung noch mehr Pflegekrรคfte, aber auch Servicepersonal sich in ver.di organisiertenโ, so Fink in seiner Rede.
Der Internationale Tag der Pflege wird seit 1965 begangen. Es ist der Geburtstag der Pflegepionierin Florence Nightingale. Der Tag wird auch dazu genutzt, durch Pflegekrรคfte auf Missstรคnde in der Pflege hinzuweisen. 2021 hatten das Feministische Streikbรผndnis, Care Revolution, Medinetz, KritMed Leipzig und die Leipziger Poliklinik sowie Die Linke Leipzig, der SDS Leipzig und ver.di Aktionen und eine Kundgebung veranstaltet. Im vergangenen Jahr allerdings hatte es zu diesem Anlass in Leipzig keine Veranstaltungen gegeben.
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Bevor nach dem Staat gerufen wird, sollten die Appelle vor allem an die Arbeitgeber gerichtet werden.
Ja, Pflege wird nicht angemessen bezahlt, der Gesetzgeber muss da so einiges nachbessern, aber vor allem sind es zuerst die Arbeitgeber, die den Lohn zahlen mรผssen, die genรผgend Personal einstellen mรผssen, die Arbeit so organisieren mรผssen, dass es rund lรคuft. Es sind die Arbeitgeber, die einen Patientenlift nicht nur bestellen mรผssen, sondern fรผr jede Station mindestens einen haben mรผssen und den auch zur Anwendung bringen mรผssen. Um nur ein Beispiel zu nennen von vielen.
Es sind die Arbeitgeber, die nicht ausreichend Personal einstellen, wodurch dann das bisher noch willige Personal irgendwann doch noch die Flucht ergreift.
Es sind die Arbeitgeber, die aus Gewinnmaximierungsabsicht heraus besonders im Alten- und Behinderungspflegebereich oftmals nur das nรถtigste absolvieren lassen an Pflege. Wenn Betreuungspersonal, also Ergo-, Logo- usw Therapeuten/Sozialbetreuer immer รถfter als Pfleger einspringen mรผssen, dann lรคuft gewaltig was schief. Aber die zu Pflegenden kรถnnen sich oft nicht wehren, und oft genug wird ihnen nicht geglaubt, wenn sie es doch schaffen, sich zu artikulieren. Da wird von Angehรถrigen und Heimaufsichten noch viel zu oft abgewunken und alles auf gestรถrte Wahrnehmung durch Demenzen geschoben. Den Pflegern und Pflegerinnen mache ich keinen Vorwurf, die rennen in den Schichten oft genug als wenn sie um ihr eigenes Leben rennen mรผssten.