Eigentlich war es schon während der Verhandlung zu ahnen: Das Urteil wird negativ für den Münchener Flüchtlingsrat (MFR) ausgehen. Der hatte gegen den Freistaat Bayern darauf geklagt, mit seinem Infobus-Projekt weiterhin freien Zugang zu Erstaufnahmeeinrichtungen bzw. Ankerzentren zu bekommen, um den Bewohnenden rechtliche Beratung anbieten zu können. Am Dienstag, 28. März, hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Leipzig die Revision abgewiesen.
„Wir sind enttäuscht und auch alarmiert“, sagte Loulou Kinski, Geschäftsführerin des MFR. „Insbesondere wegen der Auslegung, dass der neue §12a (AsylG) keinen Anspruch auf unmandatierten Zugang zu Unterkünften gewährt. Wir sehen hier die Gefahr, dass restriktive Landesregierungen wie Bayern dies nutzen werden um der Asylverfahrensberatung durch komplizierte Zugangsverfahren die Beratung zu erschweren.“
Seit 2001 beraten die Infobusse des MFR in Erstaufnahmeeinrichtungen in München, Ingolstadt und Manching. 2017 hatte das Projekt auch den Zugang zum Transit-Zentrum Ingolstadt-Manching angefragt. Die Regierung von Oberbayern nahm das zum Anlass, „eine einheitliche und klare Regelung“ für alle Aufnahmeeinrichtungen zu treffen – nämlich die regelmäßigen Beratungen mit dem Infobus in den Einrichtungen zu untersagen. Nötig sei stattdessen eine konkrete Anfrage von Bewohner/-innen, also ein mandatierter Zugang, wie ihn zum Beispiel auch ein/-e Anwält/-in bekommen würde.
Mit einem positiven Urteil war die Hoffnung von NGOs bundesweit einhergegangen, in den Erstaufnahmeeinrichtung ohne Hürden beraten zu können. In Leipzig bieten diese Beratungen Amnesty International und der Sächsische Flüchtlingsrat (SFR) an. Auch sie klagen über Probleme und Verbote. Die Regierung von Oberbayern wollte auf Anfrage keine Stellung nehmen und verwies auf die Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts.
Verbot wegen „Ruhebedürfnis der Bewohnenden“ und „Brandschutz“
Begründet wurde das Verbot durch die Regierung Oberbayerns mit der Hausordnung: Wegen des „Ruhebedürfnisses der Bewohner/-innen“ und „sicherheitsrechtlicher Aspekte, nicht zuletzt des Brandschutzes“ darf der bunte Kleintransporter nicht mehr in den Innenhof der Einrichtungen. Die Aufnahmezentren seien „umzäunte Massenquartiere“, in denen die Menschen „weggesperrt“ würden, entgegnet der Anwalt des MFR, Hubert Heinhold. Da sei sowieso nichts mit Privatsphäre oder Ruhe.
„Die Leute, die zu acht drin in einem Zimmer sitzen, werden nicht durch einen Bus im Innenhof gestört, sondern durch die sieben anderen Leute im Zimmer“, so Murtaza Farooqi, Mitarbeiter/-in der Infobusse bei einer Kundgebung vor dem Bundesverwaltungsgericht.
Nach der Verhandlung erklärte Murtaza, die Geflüchteten hätten sogar Unterschriften für den Infobus gesammelt. „Ich könnte da jederzeit 200 neue Unterschriften holen.“ Denn die Fluktuation sei groß in der Unterkunft. Aber die Unterstützung auch.
Unabhängige Asylverfahrensberatung ist gesetzlich verankert
Die Zufahrt mit dem Bus sei sehr wichtig, argumentierte auch Hubert Heinhold in der Verhandlung. Viele Geflüchtete hätten ein Misstrauen gegenüber den Behörden. Wenn man den bunten Bus auf dem Hof stehen sehe, auf dem in mehreren Sprachen Wort wie „Gleichheit“ oder „Frieden“ stehen, werde klar, dass es sich um eine behördenunabhängige rechtliche Beratung handele.
Denn auch der Bund ist gesetzlich dazu verpflichtet, Asylverfahrensberatung (AVB) anzubieten. Allerdings ist die Beratung vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) oft allgemein und nicht auf den spezifischen Einzelfall ausgerichtet – wenn es überhaupt eine gibt und diese oft genug stattfindet. Zusätzlich ist natürlich Misstrauen der Geflüchteten vorhanden, in der Beratung nicht ehrlich und offen sein zu können, um ihrem Asylverfahren nicht zu schaden.
Gestützt hatte der MFR seine Argumentation auf §12a AsylG, der die Asylverfahrensberatung regelt. Der war im Zuge der gesetzlichen Änderungen zur Beschleunigung des Asylverfahrens, die am 1. Januar 2023 in Kraft getreten sind, erneuert worden. Er umfasst nun nicht nur Asylverfahrensberatung durch Bundesamt und Wohlfahrtsverbände, sondern grundsätzlich unabhängige Beratungen, also möglicherweise auch den Infobus. In den beiden Vorinstanzen des Verfahrens war sich noch auf die alte Version des Gesetzes gestützt worden.
Der Bund will mit der Neuerung des Gesetzes die unabhängige Beratung auch fördern. Dafür sind im Jahr 2023 20 Millionen Euro im Bundeshaushalt festgelegt. Fördern bedeute aber nicht nur, so Hubert Heinhold im Verfahren, Geld zu geben, sondern auch die Beratung überhaupt erst zu ermöglichen. Was nütze eine Beratung für Gefängnisinsassen, wenn die Beratenden nicht hinein dürften.
Das Recht muss sich an der Realität messen lassen – oder nicht?
Sowohl Gericht als auch der Oberlandesanwalt des Freistaats Bayern argumentierten, dass die Bewohner/-innen natürlich nach draußen dürften und der Vergleich deshalb nicht stichhaltig sei. Außerdem könnten die Bewohner/-innen einfach „auf Anruf“ eine Beratung vom Infobus anfordern. Nach Auffassung des Freistaates Bayern sei außerdem die Auslegung, dass im §12a AsylG mehr als nur finanzielle Förderung gemeint sei, unzutreffend.
Die Argumentation von Gericht und Freistaat ziehe, so Heinhold für den MFR, nicht in Betracht, dass Aushänge und Beratung auf Anforderung eine zu große Hürde sein können. Aushänge allein machten nicht ausreichend klar, dass die Beratung behördenunabhängig sei. Man brauche auch ein Gesicht dazu, um Vertrauen bei einem so sensiblen Thema zu finden.
Außerdem wüssten viele gar nicht, dass das Asylverfahren in Deutschland viele Hürden und Probleme darstellen kann. In den letzten Jahren seit dem Zugangs-Verbot habe sich auch gezeigt, dass der Zugang auf Anfrage an bürokratischen Hürden scheitere, weil zum Beispiel die Security der Einrichtung nicht informiert wurde und diese deshalb trotzdem den Zugang verwehre. Außerdem besitzen, laut Aussage des MFR im Gespräch mit der LZ, nicht alle Geflüchteten ein Telefon, mit dem sie anfragen könnten.
Auch aus EU-Recht ergebe sich kein Anspruch
Der Oberlandesanwalt des Freistaats Bayern, Marcus Niese, lieferte auch bei der Frage, ob sich aus EU-Recht ein Anspruch auf Zugang ergebe, eine detaillierte juristische Analyse. Im Artikel 18 der EU-Aufnahme-Richtlinie, auf die sich der MFR berufe, sei der Zugang für Beratende nur festgelegt, „um den Antragstellern zu helfen“, nicht aber, um „ihre Hilfe anzubieten“.
Dies spreche dafür, dass nur für einen Zugang auf konkrete Anfrage von Geflüchteten ein Anspruch bestehe. Juristisch scheint diese Auslegung wohl nicht falsch, Hubert Heinhold betonte aber immer wieder, dass sie an der alltäglichen Realität vorbeigehe.
Aus Sicht des Oberlandesanwaltes seien es lediglich „Einzelfälle“, in denen der mandatierte Zugang tatsächlich nicht gewährt würde. Auch dem Vorschlag von Hubert Heinhold, eine gemeinsame Regelung zu finden und den Zugang des Infobusses in der Hausordnung zu verankern, wurde nicht entsprochen.
Was bedeutet das für Leipzig?
„Auch in Sachsen verhindert das Innenministerium (…), dass NGOs in Erstaufnahmeeinrichtungen kommen können, um zu beraten“, so Linken-Stadträtin Juliane Nagel vor Ort. „Es gibt zwei Ausnahmen: Die Max-Liebermann-Straße in Leipzig und die Erstaufnahme in Dölzig. Dort hat der Flüchtlingsrat (und Amnesty Leipzig) tatsächlich einen Zugang. Das wird begründet mit einem separaten Eingang, der dort da ist.“
Das Urteil bedeutet nicht, dass allen NGOs automatisch der Zugang verwehrt wird. Allerdings kann er jederzeit durch Hausordnungen wie in Bayern eingeschränkt werden. Das Urteil legt fest, dass es dann keinen Anspruch auf Zugang gibt, auf den geklagt werden kann.
„So habe ich zum Beispiel keine Erlaubnis mehr, die Erstaufnahme in Leipzig-Mockau zu betreten“, erklärt Dave Schmidtke vom Sächsischen Flüchtlingsrat. „Einfach, weil wir dort mehrfach Missstände kritisiert haben. Diese wurden aber von den Geflüchteten an uns herangetragen. Diese Form öffentlicher Kritik ist ihr gutes Recht!“
Auch in Bayern gehen die Beratungen trotz allem weiter. Bei Wind und Wetter parkt der Infobus in Sichtweite der Aufnahmeeinrichtungen und bietet die Beratungen auf der Straße an. Außerdem bewirbt sich das Projekt auf eine Förderung als Asylverfahrensberatung nach §12a AsylG, was jedoch am Zugang nichts ändern wird. „Wir werden jetzt versuchen politisch Druck zu machen, dass dieser Zugang gesetzlich verankert wird“, so Loulou Kinski.
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