Neulich bat mich eine Kollegin, ein „Manifest für den Frieden“ zu unterstützen, das von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer veröffentlicht worden war. Darin fordern die Erstunterzeichner, zu denen ehemalige Politiker, ein Bundeswehrgeneral a.D. und eine berühmte Schauspielerin gehören, die rasche Verhandlungslösung des Ukrainekriegs. Frieden – ein ehrenhaftes Anliegen. Außerdem wird in dem Manifest-Text (sehr pathetisch) vorm Dritten Weltkrieg gewarnt.
Ich wollte das Manifest aber nicht unterstützen. Nicht nur, weil ich es für naiv hielt, sondern auch, weil ich ganz persönliche Vorbehalte gegen die Initiatorinnen pflege. Für Alice S. ist das Kopftuch Teufelszeug und jeder/e Sexworker/-in ist per se ein traumatisiertes Opfer. Was mit der komplexen Realität von Religions- und Sexualausübung in Deutschland ungefähr so viel zu tun hat wie fliegende Siebenschläfer mit einer Schachgroßmeisterin.
Frau W. oszilliert gerade zwischen Querfrontflirts, Fraktionszänkereien und (Neo)-Montagsdemos. In ihrem Manifest-Text beklagen sich die beiden, dass sie medial nicht so richtig voll gehört würden. Das kennt man auch von den blauen AfD-Berufspostenjägern und Hobbytrollen. Mein Name ist mir immer noch zu gut, um ihn unter einen von Sarah W. und Alice S. abgesegneten Text zu setzen. In diesem Sinne antwortete ich der Kollegin.
Daraufhin warf sie mir vor, kein Linker mehr zu sein. Womit sie recht hatte. Ich bin Linksliberaler. Das teilte ich ihr auch mit. Sie wusste damit nicht so wirklich etwas anzufangen. Kein Wunder. Wir zählen zu einer aussterbenden Gattung. Linksliberale finden Krieg grundsätzlich scheiße.
Aber noch beschissener finden wir imperialistische Diktatoren und Kriegsverbrechen. Weswegen wir unsere pazifistischen Tendenzen ab und zu zurückstellen und uns für Arm – bzw. Panzerfaustkasse als Gegenmittel entscheiden.
Linksliberale finden, dass Kapitalismus bisher – bei aller Scheiße – besser funktioniert hat als Realsozialismus. Aber wir wissen auch, dass wir in einer merkwürdigen Form von Neofeudalismus leben, befeuert und befestigt von einer Milliardärsoligarchie, die Steuern hinterzieht und die Umwelt mit CO₂ zerdampft.
Linksliberale glauben an Eigenverantwortung und daran, dass es Aufgabe des Staates sei, für Fair Play zu sorgen. Aber zu viele Politiker haben diesen Teil ihres Jobs in den letzten Jahrzehnten vernachlässigt. Linksliberale glauben, dass Faschismus grundsätzlich unzumutbar sei.
Wir sind uns bewusst, dass eine Volksbefragung zur Todesstrafe nach einem Terrorangriff so ausgehen würde, wie es blaue Schlipsnazis gerne hätten, aber nicht wie es verantwortungsvolle, ihrer bürgerlichen Rechte wie Pflichten klar bewusste Staatsbürger bevorzugen. Aber Linksliberale wissen auch, dass es längst notwendig ist, mehr demokratisches Mitspracherecht in den politischen Alltag zu integrieren.
Linksliberale wissen, dass es drecksegal ist, wer wie Sex hat, solange der einvernehmlich passiert und es ist uns ebenso grundegal, ob du Queer, Mann, Frau oder Alien in die Formularfrage nach dem Geschlecht einträgst. Wir finden auch, dass ein Kopftuch zunächst eben nur ein Zeichen von religiöser Zugehörigkeit ist, so wie das Kreuz, der Davidsstern oder Pentagramme, die viele Leute in diesem Land tragen.
Was uns trennt ist, dass die Jüngeren unter uns Dieter Nuhr für hochgradig unwitzig halten. Was uns wiederum selbst in dieser Frage eint ist, dass selbst dieser Mann wie Sarah W. und Alice S. das Recht haben, ihre Meinungen in die Öffentlichkeit zu schleudern. Genauso wie wir das Recht haben, sie zu ignorieren.
„Haltungsnote #48: Alice ohne Wunderland“ erschien erstmals am 24. Februar 2023 in der aktuellen Printausgabe der Leipziger Zeitung (LZ). Unsere Nummer 110 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.
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Dieter Nuhr ist total wichtig! Kein anderer macht mehr Witze der Art “Ich bin kein Homophober, nur weil ich den jahresaktuellen Buchstaben der Lgbtqsdefghi-Reihe noch nicht kenne.” (frei zitiert)