Jede und jeder Zweite von mehr als 3.700 Befragten in Sachsen hat bereits Erfahrungen mit Formen von Diskriminierung gemacht. Das ist das Ergebnis der am Montag, dem 20. Februar, von der Landesbeauftragten für Antidiskriminierung, Dr. Andrea Blumtritt, gemeinsam mit dem Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) vorgestellten Studie „Diskriminierung erlebt?! Diskriminierungserfahrungen in Sachsen.“
Die Studie wurde vom Sächsischen Staatsministerium der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung (SMJusDEG) in Auftrag gegeben und vom DeZIM umgesetzt.
Für den Erhebungszeitraum der Jahre 2019 bis 2021 gaben beispielsweise 16 Prozent der Befragten an, mindestens einmal sexuelle Belästigungen erlebt zu haben. Neun Prozent gaben an, körperliche Gewalt und sieben Prozent, sexualisierte Gewalt erfahren zu haben. Andere Formen der Diskriminierung sind zwar weniger gravierend, aber dafür häufiger. Fast ein Drittel aller Befragten haben es schon mindestens einmal erlebt, dass ihnen Intelligenz oder eigene Fähigkeiten abgesprochen (29 Prozent), ihre Leistungen abgewertet wurden (28 Prozent) oder dass sie in Behörden respektlos behandelt wurden (27 Prozent).
Das klingt nach Minderheiten. Aber das DeZIM betont auch: „Nichtsdestotrotz ist ein zentrales Studienergebnis, dass insgesamt etwas mehr als jede zweite befragte Person in der sächsischen Bevölkerungsbefragung angibt, schon einmal ausgrenzt oder benachteiligt worden zu sein. Daraus leitet sich ein dringender Handlungsbedarf ab: Wenn knapp mehr als die Hälfte der Befragten angibt, nicht gleichberechtigt behandelt zu werden, stellt dies das Bild einer gleichberechtigten Gesellschaft infrage.“
Hauptproblem: soziale Herabwürdigung
Und weiter: „Am häufigsten erlebten die Befragten in Sachsen Formen der sozialen Herabwürdigung. Jeweils zwischen einem Viertel und einem Drittel der Personen haben es mindestens einmal erlebt, angestarrt zu werden (29 Prozent), Intelligenz oder Fähigkeiten abgesprochen zu bekommen (29 Prozent) oder hinsichtlich ihrer eigenen Leistungen abgewertet zu werden (28 Prozent). Das Risiko, sozial herabgewertet zu werden, ist für einige Personen höher als für andere: Besonders betroffen sind cis Frauen, Personen mit Behinderung und Personen, die keine deutsche Staatsangehörigkeit haben.“
Die Studie fragte unterschiedliche Formen von Diskriminierung entlang des Geschlechts, der religiösen Zugehörigkeit, der äußeren Erscheinung, des Lebensalters, einer Behinderung, der sexuellen Orientierung, aufgrund von rassistischen Zuschreibungen, der Herkunft und dem sozioökonomischen Status ab. Die geschilderten Erfahrungen reichen von sozialen Herabwürdigungen wie respektloser Behandlung, der Abwertung eigener Leistungen oder Benachteiligungen bei der Wohnungssuche bis hin zu Erfahrungen von sexueller Belästigung oder körperlicher Gewalt.
Dazu Dr. Andrea Blumtritt, Landesbeauftragte für Antidiskriminierung, sagt dazu: „Die vorliegende Studie stellt die Erfahrungen, die Menschen in Sachsen hinsichtlich Diskriminierung gemacht haben, in den Mittelpunkt. Es ist wichtig, diese Erfahrungen zu hören und sichtbar zu machen. Diskriminierungserfahrungen können für Betroffene neben materiellen Nachteilen, wie zum Beispiel einen Arbeitsplatz oder eine Wohnung nicht zu bekommen, auch mit gravierenden emotionalen und gesundheitlichen Folgen einhergehen.
Darüber wird noch zu wenig gesprochen. Die gesellschaftliche Sensibilität für Diskriminierung zu erhöhen und den Diskriminierungsschutz in Sachsen mit geeigneten Maßnahmen zu stärken – darauf wird der Fokus der weiteren Antidiskriminierungsarbeit in Sachsen liegen.“
Emotionale und gesundheitliche Folgen
Ganz aktuell sollen die Ergebnisse in den Fortschreibungsprozess des Landesaktionsplanes Vielfalt einfließen, welcher im September mit einem umfangreichen Beteiligungsprozess aufgenommen wurde. Aufbauend auf den Ergebnissen beider Studien, „Lebenslagen von LSBTIQ*Personen in Sachsen“ und „Diskriminierungserfahrungen in Sachsen“ sollen nun die Landesstrategien der Vielfalts- und Antidiskriminierungsarbeit weiterentwickelt werden.
Diskriminierungserfahrungen haben für Betroffene teils gravierende emotionale und gesundheitliche Folgen. Fast die Hälfte der Befragten (45 Prozent) nannte Depressionen oder andere Belastungsstörungen als Folge. 27 Prozent der Befragten gaben körperliche Beschwerden an. Mehr als zwei Drittel der Befragten in der Betroffenenbefragung gaben an, infolge von Diskriminierungserfahrungen öfter traurig oder gestresst zu sein.
„Besonders groß ist das Risiko, diskriminiert zu werden, für queere Menschen, für Menschen mit Behinderungen sowie Menschen, die von rassistischen Zuschreibungen betroffen sind“, sagt Prof. Dr. Sabrina Zajak, Leiterin der Abteilung „Konsens & Konflikt“ am DeZIM-Institut.
„Während der Pandemie haben zudem besonders Alleinerziehende und Menschen, die zu einer Risikogruppe gehören, verstärkt Diskriminierung erfahren. Viele Betroffene berichteten zudem von einem Anstieg von antiasiatischem Rassismus.“
Obwohl es institutionalisierte Möglichkeiten gibt, spezialisierte Beratungsstellen, sich beispielsweise gegen sexuelle Belästigungen am Arbeitsplatz zu wehren und sich zu beschweren, werden diese Möglichkeiten selten genutzt. Die meisten Betroffenen suchen einen individuellen Umgang mit Diskriminierungserfahrungen, etwa durch Gespräche mit nahestehenden Personen.
Die Befragung 2021
Die Bevölkerungsbefragung in Sachsen fand zwischen dem 1. Juni bis zum 9. September 2021 statt, daran nahmen 2.169 Menschen teil. Zuvor wurde zwischen dem 11. März bis zum 30. Juni 2021 in Sachsen eine Betroffenenbefragung durchgeführt, die sich gezielt an Personen mit Diskriminierungserfahrungen richtete, daran nahmen 1.576 Menschen teil. Die Ergebnisse der Betroffenenbefragung flossen in das Gesamtergebnis ein und ermöglichen weitere Analysen. Zum Vergleich wurde im Juni 2021 eine bundesweite Bevölkerungsbefragung bundesweit (außer in Sachsen) durchgeführt. Gefragt wurde, ob und welche Art von Diskriminierung Menschen zwischen Frühjahr 2019 und Frühjahr 2021 erlebt haben.
Erstmals wurde für diese Studie nach verschiedenen Formen der Diskriminierung in Sachsen gefragt – entlang des Geschlechts, der religiösen Zugehörigkeit, der äußeren Erscheinung, des Lebensalters, einer Behinderung, der sexuellen Orientierung, aufgrund von rassistischen Zuschreibungen, der Herkunft oder dem sozioökonomischen Status. Verschiedene zivilgesellschaftliche Organisationen aus dem Bereich der Antidiskriminierungsarbeit haben diese Studie mit ihrer Expertise unterstützt.
Da dieser Zeitraum maßgeblich durch die Covid-19-Pandemie geprägt war, wurde zudem gefragt, wie sich die Pandemie und die Maßnahmen zu deren Eindämmung auf Diskriminierungserfahrungen ausgewirkt haben.
Die Ergebnisse der Studie in Sachsen unterscheiden sich kaum von den Ergebnissen einer bundesweiten Befragung, die zum Vergleich durchgeführt wurde, noch von Studien mit ähnlicher Ausrichtung.
Lara Kronenbitter, Sophia Aalders, Miriam Zineb Meksem, Janne Schleifer & Steffen Beigang „Diskriminierung erlebt?! Diskriminierungserfahrungen in Sachsen“, Nomos Verlag 2023, 404 Seiten.
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