„Der Marsch der Frustrierten“ hat die „Zeit“ am 14. Januar einen Artikel zu den Protesten im vom Abbaggern bedrohten Lützerath überschrieben. Das Ganze gipfelte dann in der eigentlich unsinnigen Frage: „Ist das noch der richtige Weg?“ Als wenn der mit massivem Polizeiaufgebot abgeräumte – und größtenteils friedliche – Protest damit nutzlos wird, weil erfolglos. Aber so etwas schreiben Journalisten, die sich natürlich „mit keiner Sache gemein machen“. Auch nicht mit einer guten. Oder ist es vielleicht eine lebenswichtige?

Auch der „Zeit“-Beitrag bestätigt, dass der Protest in Lützerath größtenteils friedlich verlief.

Dass für Häme und Stimmungsmache vom heimischen Sessel aus überhaupt kein Grund gegeben war – außer dass sich die Sesselkommentatoren irgendwie wie Sieger fühlten. So wie Ex-Verkehrsminister Andreas Scheuer, der sich über ein Foto von Luisa Neubauer mokierte, auf dem sie von drei Polizisten weggetragen wird – aber gut ausgeleuchtet.

Aber so weit entfernt davon war auch der Artikel in der „Zeit“ nicht: „Und so wird die Großdemo auch zu einem Marsch der Frustrierten. Die Rasanz der Räumung hat viele in der Bewegung nachdenklich gemacht. Die meisten Aktivistinnen und Aktivisten hatten sich einem friedlichen Protest verschrieben. Bis auf wenige Zwischenfälle war das Vorhaben auch eingehalten worden. Das bestätigt auch die Polizei. Zweieinhalb Jahre hatten sich die Aktivisten auf diesen Augenblick vorbereitet. Doch nur innerhalb weniger Tage war zumindest ihr physischer Widerstand gebrochen. Einer nach dem anderen wurde wegtragen, aus Lock-ons gemeißelt, aus Baumhäusern und selbst gezimmerten Hütten gezerrt und weggetragen. Manche fragen sich jetzt: Ist das noch der richtige Weg?“

Hat da jemand mit Gewalt gerechnet?

Was natürlich auch ziemlicher Quatsch ist, denn wenn man friedlich protestiert, wehrt man sich auch nicht gegen Polizeigewalt. Dann ist die Frage nach dem „physischen Widerstand“ Nonsens. Genau das wollten die Versammelten in ihrer großen Menge ja nicht: das Ganze zu physischer Gewalt ausarten lassen.

Das hat friedlicher Protest nun einmal so an sich: Wenn Minister beschließen, einen Protest mit Polizeigewalt abzuräumen, kann friedlicher Protest nur weichen. Bleiben bestenfalls friedliche Blockaden oder eben Sitzblockaden – und trainierte Polizeibeamte müssen dann etwas mehr schleppen.

Aber man darf nicht vergessen: Sie waren im Auftrag da.

Und die beauftragenden Minister wollten solche Bilder. Genau solche. Sie wollten nicht verhandeln und sie wollten den in Lützerath Protestierenden auch keine Diskussionsbühne geben. Sie wollten ein Zeichen setzen und ihrer Wählerschaft signalisieren, dass sie nicht einknicken.

Dass das aber falsche Bilder sein könnten, wird sichtlich auch einigen Journalisten nicht so recht klar, die das Ganze kommentieren, als sei es ein Fußballspiel, bei dem eine Provinzmannschaft gegen geschulte Polizeieinheiten verloren hat.

Darum geht es aber nicht. Schon lange nicht mehr.

Das Kohle-Aus kommt früher

Das haben auch NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) nicht berücksichtigt, als sie am 4. Oktober 2022 ihren Deal mit dem RWE-Vorstandsvorsitzenden Markus Krebber verkündeten – Lützerath quasi als Bauernopfer für das Versprechen von RWE, die Kohleförderung spätestens bis 2030 einzustellen.

Was für sie wohl wie ein gutes politisches Tauschgeschäft aussah, denn damit würde NRW früher als Sachsen aus der Kohle aussteigen, wo nach wie vor die Jahre 2035 (Region Leipzig) und 2038 (Lausitz) gelten.

Woran aber der sächsische Umweltminister Wolfram Günther schon lange nicht mehr glaubt. Denn steigende Kosten für CO₂-Zertifikate und wachsende Anteile erneuerbarer Energien werden Kohle schon weit vor dem Jahr 2030 unrentabel machen. Was man in den großen Kohlekonzernen schon lange weiß. Auch in Sachsen setzen sie deshalb schon längst auf den Ausbau von Solar- und Windkraftanlagen.

Am Wochenende hat es Günther auf Twitter noch einmal wiederholt. Man kann es ja nicht oft genug sagen, sonst bekommen es die Politiker der anderen Parteien, die immer noch behaupten, man müsse an Atom, Kohle und Gas festhalten, einfach nicht mit.

Lützerath ist dabei nicht nur ein Symbol als letztes, von der Kohle bedrohtes Dorf. Es steht auch für die Unfähigkeit konservativer (und leider nicht nur konservativer) deutscher Politiker, die Energiewende konsequent zu denken. Denn dann würde man auch als Bundesminister mit Konzernmanagern anders verhandeln.

Dann würde man ihnen richtige Zugeständnisse abringen. Denn bei Lützerath geht es schon lange nicht mehr um die behaupteten 280 Millionen Tonnen Kohle, die unter dem Dorf liegen sollen. Nicht einmal um die effektiv noch 90 bis 100 Millionen Tonnen, die frei werden, wenn das Dorf abgetragen wird.

Wir sollten Zukunft denken lernen

Die Kohle wird gar nicht gebraucht, schon gar nicht, wenn 2030 Schluss sein soll mit dem Kohleabbau. Das zeigte eine Studie des DIW für kohlecountdown.de. Eine von der Landesregierung in NRW in Auftrag gegebene Studie scheint das zwar zu widerlegen.

Aber darum geht es schon lange nicht mehr, nachdem schon die Verhandlungen um den deutschen Kohleausstieg bis 2035/2038 allein die Interessen der großen Kohlekonzerne berücksichtigten und eben nicht die Frage stellten: Wo muss eigentlich wirklich Schluss sein, wenn Deutschland sein 1,5-Grad-Ziel einhalten will?

Man weiß es: am noch verbliebenen „Rest“ von „erlaubten“ CO₂-Emissionen. Zu denen die deutschen Kohleausstiegspläne schlichtweg nicht passen. Deswegen gibt es ja Habecks Versuch, den Ausstieg auf 2030 vorzuverlegen.

Aber der massive Polizeieinsatz in Lützerath zeigt eben auch, dass die Mehrheitsgesellschaft auch im Jahr 2023 nicht wirklich verstehen will, dass der alte, fossil getriebene Lebensstil ein Ende finden muss. Dass wir alle künftig anders leben müssen. Und auch werden.

Nur dass die Wahl lautet: ein völlig entgleistes Klima, das nicht nur unseren Wohlstand, sondern unsere gesamte Existenz infrage stellen wird. Oder ein Umdenken in allen Bereichen, das uns alle zu einem nachhaltigen Lebensstil bringen wird.

Ja, auch ohne etliche der Lieblingskinder der fossilen Wohlstandspolitik. Ein anderer Konsum, eine andere Mobilität, ein anderer Städtebau, eine andere Ernährung. Alles sehr große Themen, die ans Eingemachte gehen.

Die Notwendigkeit des langen Atems

Und natürlich dauert das lange, wenn sich die Vorstellungen von einem „Leben in Wohlstand“ erst einmal in den Köpfen verfestigt haben. Dann sieht das aus Sicht der Älteren wie „Verzicht“ und „Verlust“ aus. Da fühlt man sich dann im Recht, hat es sich ja irgendwie verdient, hat dafür geschuftet und bezahlt. Und nun kommen die jungen Leute und finden, dass das enden muss.

Muss es auch.

Und die Veränderung hat längst begonnen. Nicht erst vor zwei Jahren. Sondern vor 22 Jahren, manchmal noch früher. Das kann schon nerven, wenn sich scheinbar gar nichts oder viel zu wenig rührt und die Mehrheit, die ihren Wohlstand auch bei Wahlen verteidigt, sich nicht verändern will und alle Mittel einsetzt – auch ihre Verfügungsgewalt über die Polizei –, damit sich an ihren Gewohnheiten und Bequemlichkeiten nichts ändern muss.

Nichts ist so widerstandsfähig wie ein Wohlstandsbürger im heimischen Sessel, der seine Vorstellung vom Wohlstand mit Ausdauer und Beharrungsvermögen verteidigt. Er muss ja nicht da hinausgehen und gegen die Protestierer antreten. Das übernehmen für ihn ja Polizeibeamte aus 14 Bundesländern.

Allein diese Vorstellung …

Aber genau so ist es.

Wichtig ja, aber …

Der Widerspruch sitzt zu Hause auf dem Sofa oder wahlweise auch am Steuer seines Autos. Und wenn er gefragt wird, ob er einen „möglichst schnellen Kohleausstieg“ wichtig oder sehr wichtig findet, antwortet er mit 73 Prozent mit „Ja“. Wenn dann aber junge Leute dafür protestieren – mal auf der Straße, mal im Museum, mal am Tagebaurand – dann findet er es nicht akzeptabel.

Was nicht neu ist. Wer über Themen wie Mobilitäts- und Energiewende in Deutschland berichtet, weiß, dass diese Reaktionen immer kommen. Denn nichts ist stärker als Gewohnheiten. Und die meisten Menschen tun sich unheimlich schwer damit, eingeübte Gewohnheiten zu ändern. Das ist das Wählerpotenzial für alle konservativen Parteien, die ihren Wählerinnen und Wählern ja vor allem eines versprechen: Es ändert sich nichts.

Damit gewinnt man in Deutschland Wahlen. Und die Herzen (und Spenden) der großen Konzerne, die mit dem Es-ändert-sich-nichts schon immer Kohle gemacht haben.

Wie aber ändert man das? Wie kommt man zu neuen Narrativen in den Köpfen von Menschen, die Änderungen vor allem für eine Bedrohung halten? Die sich nicht vorstellen wollen, wie es sich ohne die Segnungen einer fossilen Wirtschaft lebt und das vor allem mit Ängsten verbinden, nicht mit der in Deutschland so gern gerühmten Ingenieurskunst?

Lassen wir die Frage stehen. Sie gehört zur journalistischen Begleitung einer Veränderung, die durch politisch gewünschte Bilder aus Lützerath nicht aufgehalten wird. Nur verlangsamt, aufgeschoben und damit unerledigt bleibt, bis das nächste Ahrtal fällig ist. Oder das nächste Waldsterben.

Die Welt bleibt niemals so, wie sie in den Köpfen der Bestandswahrer aussieht. Wir haben nur in der Hand, den Wandel zu gestalten. Und klüger zu gestalten als unsere phlegmatischen Mitbürger, die felsenfest überzeugt sind, alles bliebe beim Alten und Lützerath wäre jetzt so etwas wie eine „krachende Niederlage“ für die Klimaprotestbewegung.

Ist es aber nicht.

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