Dresden. Die vergangene Silvesternacht nach den zwei ruhigeren Pandemie-Silvestern hat in aller Deutlichkeit die Hässlichkeit vor Augen geführt, wie wir – bzw. der eine Teil der Gesellschaft – ein „normales“ Silvester feiern. Lärm, Tote, verletzte Kleinkinder, Jugendliche und Erwachsene, Brände, Rettungseinsätze, Müll, Müll und nochmal Müll – das Leid der Natur und der Tierwelt bleibt weitestgehend stumm.
Nein, Silvester ist nicht unser größtes Problem, verglichen mit der Klimakrise oder anderen ökologischen und sozialen Krisen, aber es macht eine menschliche Einstellung sichtbar, die eines unserer größten Probleme ist: Vielen Böllerfans ist die Sicherheit anderer Menschen egal, allen Böllerfans ist die Tierwelt egal oder es mangelt an Bewusstsein – und: Menschen hängen wahnsinnig an Gewohnheiten.
Silvester muss etwas Besonderes sein
Von Letztem will ich mich selber gar nicht ausschließen. Auch ich habe früher Silvester „normal“ gefeiert. Ich hatte zwar schon immer große Angst vor Böllern und habe selten etwas selber gezündet, aber auch ich bin oft um Mitternacht mit rausgegangen und habe das Feuerwerk bewundert.
Und ich merke, dass der Wunsch, um kurz vor zwölf sich anzuziehen, rauszugehen sowie etwas nicht Alltägliches zu machen und zu erleben, sehr groß ist. Jetzt mit Kind ist dieser Wunsch sogar noch größer geworden. Ich möchte auch meinem vierjährigen Kind gerne erlebbar machen, dass diese Nacht bzw. der Jahreswechsel etwas ganz Besonderes ist. Und nein, ein besonders leckeres Essen oder ein Gesellschaftsspiel reichen dafür eben nicht aus. Auch ich möchte etwas, das leuchtet, das Funken sprüht, das knistert oder andere aufregende bzw. sinnliche Erfahrungen liefert.
Nicht mehr auf Kosten anderer
Andererseits ist für mich bedingungslos klar: Ich möchte nicht mehr, dass andere Menschen und vor allem auch die Tiere darunter leiden. Am Neujahrsmorgen bei einer Aufräumaktion von „Wir lieben Elbe“ hat mich ein Bild besonders bewegt: Eine Ente bahnte sich ihren Weg durch ein schlammiges Ufer, aus dessen Wasseroberfläche Flaschenhälse ragten, umringt von Raketenstäben, Plastikverpackungen und anderem Müll.
Auch schon vorher hatte ich durch meine Arbeit bei einem Naturschutzverbund Bilder im Kopf: Tiere, die Knalltraumata erleiden, deren Gehör Schaden nimmt und die bei Feuerwerk in der Brutzeit ihre Jungen verlassen, die dann sterben.
Und alles für ein paar Sekunden Spaß und Nervenkitzel? Nicht mehr mit mir!
Vision von einem anderen Silvesterfest
Gemeinsam habe ich (engagiert bei „Parents For Future Dresden“) mit Ronny Geißler (von „Wir lieben Elbe“) die Initiative „Dresden feiert fair“ ins Leben gerufen. Von Anfang an war uns dabei klar, dass wir dabei aber nicht die schon hunderte Male diskutierten Aspekte des in der Praxis und Realität unregulierten privaten Böllerns in den Mittelpunkt stellen wollten, sondern eine starke Vision.
Bereits am Nachmittag und frühen Abend können alle Menschen entspannt und sicher zu den Orten gelangen, wo sie den Jahreswechsel erleben wollen. Auch Haustierbesitzer/-innen können ihre Tiere beruhigt zu Hause lassen. Kurz vor Mitternacht können sich alle Menschen auf den Straßen und Plätzen Dresdens zusammenfinden. Es gibt in den verschiedenen Stadtteilen an zentralen Plätzen städtische niedrige Feuerwerke, Feuerspektakel oder Lichtershows, welche alle Menschen gemeinsam genießen können.
In der Innenstadt findet eine zentrale Drohnenshow mit Musik statt. Die Menschen auf den Straßen essen gemeinsam Mitternachtssuppe, welche von den Dresdner Gastronomen neben anderen Kleinigkeiten und Getränken auf der Straße verkauft wird. Es wird getanzt. Dresdner Künstler/-innen gestalten das Programm in den Stadtteilen: Kurze Konzerte (in echt oder mit Taschenlampen), gemeinsames Singen und andere Vorstellungen sorgen für tolle Erlebnisse.
Alle gelangen wieder entspannt und sicher nach Hause. Am nächsten Morgen wartet die Stadt mit frischer, klarer Luft, sauberen Straßen und Grünflächen auf die zahlreichen Neujahrsspaziergänger/-innen. Auch die Wildtiere sind sicher und unverletzt ins neue Jahr gekommen.
Natürlich braucht es auch dafür eine Nachhaltigkeitsstrategie. So kann Silvester ein neues Jahreshighlight der Stadt Dresden für alle Dresdner/-innen und ihre Gäste werden.
Freiheit für alle oder Privilegien eines Teils der Gesellschaft
Je intensiver mein Partner in der Initiative und ich uns mit dem Thema beschäftigen, umso mehr wurde uns klar: Die unregulierte private Silvester-Böllerei ist ein Thema der Gesundheit, der Sicherheit, des Tierschutzes, des Umweltschutzes, der Teilhabe und Inklusion, der Gerechtigkeit – und der Freiheit.
Und mit der Freiheit meine ich nicht das, womit Böllerfans und Pyro-Industrie ihre Privilegien betiteln, sondern eine gesamtgesellschaftliche Freiheit, in der niemand an einem der wichtigsten Feste unserer Kultur an sein Haus (oder den irregulären Dienst im Krankenhaus bzw. bei der Feuerwehr) gefesselt ist und alle teilhaben können.
Die Stadt braucht eine neue Feierkultur
Wir fordern insbesondere von der Stadt Dresden, dass sie sich endlich aktiv und engagiert für eine weitestgehend böller- und feuerwerksfreie Feierkultur einsetzt – auf ihren eigenen Veranstaltungen, auf Veranstaltungen, die sie unterstützt – und dass die Stadt auch für private Veranstalter zum erfahrenen Berater für Feuerwerksalternativen wird. Es soll nicht darum gehen, den Menschen etwas wegzunehmen, sondern aufzuzeigen, dass ein besseres, sozialeres, freieres Silvesterfest möglich ist.
Manchmal braucht es im Leben einen Bruch, eine Pause, Abstand zu einer Sache, um sie neu bewerten zu können. Dies haben uns die zwei ruhigeren Pandemie-Silvester verschafft. Und viele Menschen sind jetzt wütender ob der umwelt- und menschenfeindlichen Art, Silvester zu feiern, als viele Jahre zuvor.
Das mediale Interesse am Thema ist enorm. Jetzt ist die Zeit, sich auf den Weg zu einem neuen Silvesterfest zu machen! Mit einem Ende der unregulierten, privaten Böllerei bekämen wir alle auch die Chance, dieses neue Silvester aktiv mitzugestalten.
*Zur Verfasserin: Louise Hummel-Schröter lebt in Dresden und setzt sich mit ihrer Initiative „Dresden feiert fair“ für ein inklusives, gerechtes und umwelt- sowie tierfreundliches Silvesterfest ein.
Der Beitrag entstand im Rahmen der Workshopreihe „Bürgerjournalismus als Sächsische Beteiligungsoption“ – gefördert durch die FRL Bürgerbeteiligung des Freistaates Sachsen.
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Es gibt 3 Kommentare
Wie üblich wird der geschäftliche Kontext vergessen – eine Gesellschaft trimmt 365 Tage im Jahr auf Individualismus, wenn nicht gar Egoismus und Ellenbogen und will ethisch begründete situative Ausnahmen zu Fest- und Feiertagen – paradoxerweise dann per gesellschaftlichen Verbot – wahrlich schizophren – in der Tradition der Puritaner und Protestanten – Dogma – credo, qia absurdum est
Vieles was hier gesagt wurde trifft auch auf die private Hundehaltung zu, also auch verbieten.
Das private Feuerwerk schränkt die Sicherheit und damit Freiheit von Menschen ein. Daher gehört der Verkauf von Feuerwerksartikeln verboten. Fertig !