In den vergangenen Tagen habe ich von vielen Menschen unterschiedlichen Alters und Bildungsgrades gehört: Ich kann die Nachrichten nicht mehr sehen … Ich halte das nicht mehr aus … immer die gleichen Themen, immer die gleichen Stereotypen in der Argumentation, ohne dass ich das Gefühl habe, meine eigenen Einstellungen sind gefragt … Eine solche Gemütslage kann ich gut nachvollziehen.

Denn gerade die medial gesteuerte Debatte um die Panzerlieferungen an die Ukraine, aber auch die von einigen Politiker/-innen und sog. Militärexperten unverhohlen praktizierte Kriegsrhetorik zeigen an: Inzwischen wird ziemlich bedenkenlos nicht mehr der Frieden, sondern der Krieg zum „Ernstfall des Lebens“ erklärt.

Das geht aber an dem berechtigten und – Gott sei Dank! – weit verbreiteten Wunsch vieler Menschen vorbei, alles zu tun, um zum einen den Krieg zu beenden und zum andern militärische Aggression und imperiales Machtgehabe einzugrenzen. Immer wieder gewinnt für mich der programmatische Satz von Gustav Heinemann (1899–1976) in seiner Antrittsrede als Bundespräsident am 1. Juli 1969 eine neue Bedeutung:

„Nicht der Krieg ist der Ernstfall, in dem der Mann sich zu bewähren habe, wie meine Generation in der kaiserlichen Zeit auf den Schulbänken lernte, sondern der Frieden ist der Ernstfall, in dem wir alle uns zu bewähren haben. Hinter dem Frieden gibt es keine Existenz mehr.“

Es wird keinen Vorteil bringen, wenn sich Politik von diesem Grundsatz abwendet und den demokratischen Diskurs vernachlässigt! Darum: Unabhängig davon, wie der Einzelne über eine militärische Unterstützung der Ukraine durch Deutschland und die NATO-Staaten denkt – es sollte ganz klar im Fokus stehen: Ziel aller Politik muss der Frieden sein! Ziel muss sein, möglichst schnell in einen Zustand zu geraten, dass alle Interessenskonflikte ohne militärische Gewaltanwendung gelöst werden – natürlich unter Wahrung der freiheitlichen Demokratie und der Menschenrechte.

Dass dieses sich nicht widerspruchsfrei vollziehen lässt, ist klar – insbesondere dann, wenn ein Konfliktpartner wie derzeit die russische Regierung mit brutaler militärischer Gewalt seine nationalistischen Interessen durchzusetzen versucht. Darum ist Debatte vonnöten; und darum darf die russische Regierung ihre Kriegsziele nicht erreichen und die Ukraine muss ihre Souveränität behalten!

Ein Blick auf 1953 (Niederschlagung des Aufstands in der DDR), 1956 (Niederschlagung der Revolution in Ungarn), 1961 (Mauerbau) und 1968 (Okkupation der damaligen CSSR durch die Truppen der Warschauer Pakt Staaten) sollte uns mahnen: Wenn damals die westlichen Länder auf die militärische Aggression der Sowjetunion so reagiert hätten, wie sich das auch damals viele wünschten und wie es jetzt im Blick auf die Ukraine zunehmend praktiziert wird, nämlich mit Panzern und Raketen, wo würden dann heute stehen?

Was wäre von Deutschland übrig geblieben? Damals hat sich – noch einmal: Gott sei Dank! – eine Politik durchgesetzt, die den Fokus auf den Aufbau einer europäischen Friedensordnung gerichtet hat, auch in der Erkenntnis, dass Krieg nur Verfeindung, Zerstörung bedeutet.

Und noch einen Aspekt gilt es zu beachten: Den wichtigsten Beitrag, den wir in der derzeitigen Krisenlage hier leisten können, ist, die freiheitliche Demokratie gegen jede Form von Autokratismus, Nationalismus und Militarismus zu verteidigen. Denn autokratische Systeme tragen den Keim des Krieges und der Menschenverfeindung in sich. Demokratien aber zetteln keine Kriege gegeneinander an und gewährleisten gesellschaftliche Vielfalt.

Wenn jetzt mit Macht die Bundeswehr aufgerüstet wird, müssen wir immer im Blick haben: Niemals darf eine Bundeswehr Teil eines autokratischen Systems werden. Doch dass die Demokratie bei uns erhalten bleibt, kann keine Hochrüstung garantieren. Das vermögen allein die Menschen, die die Demokratie leben, sich an ihr beteiligen, sie verteidigen.

In diesem Sinn sind die Demokratie und die Menschenrechte die schärfsten Waffen, die wir in auch militärisch aufgeheizten Konfliktsituationen einsetzen können – Waffen, die Leben und Würde nicht vernichten, sondern ermöglichen und bewahren.

Auch darum ist es so wichtig, dass wir am 30. Januar 2023 den Leipziger Ring zum Leuchten bringen:

  • Im Geist der Friedlichen Revolution 1989/90. Sie war im Kern ein Aufbruch zur Demokratie!
  • In Erinnerung an die sog. Machtergreifung der Nationalsozialisten unter Führung von Adolf Hitler am 30. Januar 1933. In wenigen Wochen wurde 1933 die Demokratie von den Faschisten bis in die Fundamente zerstört. Damit war aber nicht die Demokratie als solche gescheitert. Es gab zu wenig Demokrat/-innen in Deutschland.
  • Im Bewusstsein, dass der wichtigste Beitrag eines jeden Bürgers, einer jeden Bürgerin gegen den Krieg der Kampf für die freiheitliche Demokratie und gesellschaftliche Solidarität ist.

Zum Blog von Christian Wolff: http://wolff-christian.de

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Keine Kommentare bisher

Der Duktus dieses Artikels kann auch heißen” Keine Panzer an die Ukraine – Verhandlungen ! “.
Da werden sicherlich dann auch Transparente der Montagsschwurber heute Abend zum Leuchten gebracht. Es ist Zeit, dass sich in Amerika ein Texter an den den Song “The Russians” von Sting heranwagt.

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