Der Text- und Übersetzungsfonds #FreeAllWords ist ein gemeinsames Unterstützungsprojekt für belarussische und ukrainische Autor/-innen aller Genres, und wird unter dem Dach des European Writers’ Council (EWC) organisiert. Bisher sind 12 Autoren/-innen, 71 Übersetzer/-innen aus 24 Ländern am Projekt beteiligt und 64 berührende und großartige Texte entstanden.
Im Rahmen von #FreeAllWords werden kurze, aktuelle, bestehende als auch originale Texte, Interviews, Reportagen, Essays, Gedichte und andere literarische Formen in europäische und internationale Sprachen übersetzt und auf vielfältigsten Kommunikationswegen – digital, Print, in Blogs, Medien verbreitet.
Wir haben mit der Initiatorin Nina George, Präsidentin des European Writers’ Council, über das Projekt gesprochen.
Wie ist das Projekt entstanden und was ist das Ziel?
Nina George: FreeAllWords beruht auf zwei Ereignissen: im Herbst 2021 wurde die Union der belarusischen Schriftsteller/-innen durch den illegitimen Diktator Lukashenka zwangsaufgelöst; ihre bisherigen Mitglieder kamen auf schwarze Listen, werden in den sozialen Medien überwacht, sie können keine Texte mehr publizieren, nicht mal als Blog, ohne Gefängnis oder andere irrwitzige, fast kafkaeske Bestrafungen zu riskieren, wie das Einfrieren ihrer Konten, Reiseverbot oder das Konfiszieren ihrer Computer oder Mobiltelefone.
Hier wollten wir ermöglichen, dass ihre Texte, ihre Stimmen, außerhalb von Belarus gelesen und gehört werden, wir wollten die Informations-Brandschutzmauer von Lukashenka einreißen. Die Finanzierung von Texten und Übersetzungen und die Verbreitung ist dazu der Schlüssel.
Am 24. Februar eröffnete Russland den Krieg gegen die Ukraine – es war uns sofort klar, dass wir auch hier nicht nur mit Protest- oder Entsetzensbekundungen Solidarität mit unseren Kolleg/-innen ausdrücken, sondern mit Pragma.
Entsprechend ist der Text- und Übersetzungsfonds #FreeAllWords erweitert worden, und soll auf lange Sicht, und sofern sich mehr Stiftungen entscheiden, das Anliegen zu unterstützen, auch auf andere Krisenzonen Europas erweitert werden. Überall dort, wo Autorinnen und Autoren verfolgt, drangsaliert, ihrer Stimme beraubt werden.
Ziel ist zunächst, rund 100 kürzere Texte von ukrainischen und belarusischen Kolleg/-innen in so viele europäische und internationale Sprachen wie möglich zu übersetzen und zu verbreiten; wir hoffen hier auf Mithilfe unserer 46 EWC Mitgliedsorganisationen, der 29 CEATL Mitgliedsorganisationen, aber auch der Presse und freien Medien.
Wir haben durch vier Stiftungen aus Norwegen und der Schweiz jetzt einen Grundstock zusammen gesammelt, mit dem wir arbeiten können und Autor/-innen und Übersetzer/-innen einladen, sich zu bewerben.
Sprache ist Kultur und schafft Identität. Sie verändert sich aber auch, immer: besonders aber in diesen Kriegszeiten? Wie nehmen Sie das wahr?
Ich sehe einen Drift in Äsopische Sprache; der Bericht über Krieg von Russland gegen die Ukraine und gewaltsame Repressionen in Belarus wird in allegorische Umschreibungen gefasst, das Grauen selbst wird dadurch diffus. Das gilt insbesondere in der freien und regierungsunabhängigen Presse in Russland, die auf Äsopische Sprache ausweicht, um Zensur, Verhaftung und Zwangsauflösung zu entgehen.
Aber auch in der deutschsprachigen Presse lese ich eine Distanziertheit heraus, es gibt wenige Medienorgane, die von den Gräulen so berichten, wie sie sind. Distanz aber überdeckt Angst, Blut und Tod auf eine Weise, die Mitgefühl und pragmatische Hilfe eher verhindert, und uns entfernt von den Menschen, die unter Krieg und Diktatur leiden.
Der ukrainische Schriftsteller Andrej Kurkow hat unlängst in einem Interview gesagt, „Ich schreibe keine Literatur mehr. Ich schreibe nur noch über den Krieg“. Der Krieg habe seine Rolle als Schriftsteller maßgeblich verändert. Wie sind ihre Erfahrungen hierzu? Welche Art der Texte erreichen Sie?
Erstaunlicherweise oft Lyrik. Die verdichtete Essenz von Grauen, Angst, Hoffnung, Trostlosigkeit, aber auch Regimekritik oder der Versuch des Nachvollziehens: wie konnte es so weit kommen, was ist geschehen, wo waren die Sollbruchstellen, was kann man selbst tun, wie überwindet man Ohnmacht? Lyrik ist die unmittelbarste, die direkteste Ansprache von Mensch zu Mensch, und die Texte sind entsprechend intim, es sind Stimmen der Verzweiflung. Gesehen werden, verstanden werden.
Für unsere Kolleginnen und Kollegen in der Ukraine und Belarus ist die Gegenwart so allumfassend, so lebensbedrohlich, so tief traumatisierend, dass ihre Werke das widerspiegeln; doch wie will man über etwas schreiben, was kaum in übliche Worte zu fassen ist, wie ringt man darum, die höchste Not auszudrücken, ohne dass die, die von Krieg, Gewalt und Zensur unberührt sind, das nicht als pathetisch marginalisieren?
Sie sind in Kontakt mit vielen Autor/-innen? Wie ist deren derzeitige Lebenssituation?
Der Kontakt zu ukrainischen Kolleg/-innen ist maximal volatil. Männer bis 60 Jahre sind aufgerufen, im Land zu verbleiben, sie verteidigen ihr Land, ihre Heimat, sie helfen in Krankenhäusern, sie versorgen Alte, Familien, und Kinder, denen der Krieg die Eltern ermordet hat. Aber auch Frauen bleiben; und wenn sie außer Landes geflohen sind, dann ist ihre Situation immer ungewiss, wenn sie keine Verwandten oder Kolleg/-innen mit genug Wohnraum haben.
Es läuft viel über unübliche Kommunikationskanäle. Wir sind angewiesen auf ukrainische Kolleg/-innen im Exil, aber haben auch innerhalb des Buchsektors Kontakte zu Bibliotheken, Verlagen, Messen oder anderen Literaturinstitutionen oder Stiftungen, die weltweit regionale Büros unterhalten. Es ist gut, dass die Buchbranche weltweit ständig in Kontakt ist, über Grenzen, Sprachen und Kulturen hinweg, sozusagen eine globale Spezialeinheit in Dienst der Freiheit des Wortes.
Zu unseren belarusischen Kolleg/-innen haben wir, da sie Mitglied in unserer europäischen Föderation sind, engen Kontakt seit den gefälschten Wahlen im August 2020. Und mussten relativ hilflos mit ansehen, wie ihr Land sich in eine Diktatur verwandelt; der gefährlichste Beruf dort ist, in der Kultur zu arbeiten.
Zivile und kulturelle Organisationen sind zwangsaufgelöst, damit sich das Volk nicht mehr „organisieren“ kann, es ist als freier Autor quasi unmöglich, zu veröffentlichen, die sozialen Medien werden überwacht und Verhaftungen und Gefängnis für Postings oder re-Postings bösartiger Alltag geworden. Bücher von Autorinnen und Autoren der schwarzen Listen werden verboten, zerstört, Leser/-innen von verbotenen Büchern sanktioniert, im Staats-TV wird zur Hinrichtung von Anhängern der Demokratiebewegung aufgerufen.
Die Kolleg/-innen werden überwacht, ausspioniert, schon der Kontakt zu einem ausländischen Schriftstellerverband ist Grund genug, ihn oder sie zu drangsalieren. Gleichzeitig wollen unsere belarusischen Kolleg/-innen sich nicht den Mund verbieten lassen; ob sie mit Klarnamen oder Pseudonymen ihre Texte zu uns schleusen, ist beides möglich, und wir werden auf die individuelle Gefahrensituation eingehen.
Ein sehr großer Teil der belarussischen und ukrainischen Autor/-innen ist mittlerweile über ganz Europa verstreut. Was bedeutet das für die Betroffenen / im Exil Lebenden und was bedeutet das für deren Sprache/ Identität?
Es ist ein ewiges Leben aus dem Koffer. In vielen Ländern gibt es – deutlich zu wenige – Aufenthaltsprogramme, wo Autorinnen und Autoren leben und arbeiten können; das Arbeiten ist zentraler Aspekt. Oft sind sie ausgereist, mit einem Rucksack in der einen Hand, und in der anderen: nichts. Die in Europa gut vernetzten Communities von Ukrainern und von Belarusen sind essenziell, aber auch die unbedingte Vernetzung mit lokalen Kulturorganisationen vor Ort.
Diese benötigen wiederum monetäre Unterstützung; vieles kann eben nicht mehr nur allein ehrenamtlich gestemmt werden. Hier sind die politischen Entscheidungsträger/-innen jedes europäischen Landes gefragt, sich ihrer Verantwortung zu stellen, und entsprechende Ausweitung der Stipendien- und Aufenthaltsprogramme für Kulturmenschen, für wissenschaftlich Arbeitende oder für Kinder und Jugendliche signifikant zu erhöhen.
Wie kann man sich als Autor/-in bzw. Übersetzer/-in an #FreeAllWords beteiligen? Wie kann man das Projekt allgemein unterstützen?
Autorinnen und Autoren aus der Ukraine und Belarus sind aufgerufen, sich mit kurzen, neuen oder bereits erschienenen Texten zu bewerben. Das können Reports, Essays, Lyrik oder auch Interviews sein. Ebenso können sich literarische Übersetzer/-innen, die aus den ukrainischen und belarusischen Sprachräumen übersetzen, registrieren lassen. Auch sie werden auf der Homepage entsprechend vorgestellt; die Honorare werden aus den Spendenbasierten Fonds für Texte und für Übersetzungen beglichen.
Da das Projekt rein spendenbasiert ist, können sich auch Stiftungen oder Institutionen, die das Anliegen monetär unterstützen wollen, als Partner einbringen. Wir benötigen zum Beispiel noch Unterstützung, um Buchmessenveranstaltungen oder kurze Lesungsreihen zu realisieren.
Alles, was nötig ist, um die Situation der ukrainischen und belarusischen Kolleginnen und Kolleginnen nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, und um aktive Hilfe für ihre Profession zu bieten. Details sind anzufragen unter contact@freeallwords.org
In den nächsten Monaten werden einige Texte der #FreeAllWords-Autor/-innen auf l-iz.de erscheinen.
Das Interview entstand im Rahmen der Workshopreihe „Bürgerjournalismus als Sächsische Beteiligungsoption‘ – gefördert durch die FRL Bürgerbeteiligung des Freistaates Sachsen.
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