Sie leben seit Jahren in Leipzig, haben sich die Sprache angeeignet, eine Arbeit aufgenommen, sind längst integriert. Aber die Bearbeitung ihrer Einbürgerungsanträge dauert inzwischen Jahre. Jetzt haben Leipziger Betroffene der immer länger dauernden Einbürgerungsverfahren einen Offenen Brief geschrieben.
Der Offene Brief:
„Wir wollen Existenz”. Schluss mit den unmenschlichen Wartezeiten auf Einbürgerung in Leipzig.
Wir leben in einem demokratischen Land mit Bürgerrechten und Grundrechten. Diese sind Teil der deutschen Verfassung. „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“.
Wir leben hier in Leipzig seit langer Zeit, gehen arbeiten, studieren, gestalten unseren Alltag und unser Leben wie jeder andere auch. Wir fühlen uns als Teil der Stadtgesellschaft, wir sind voll integriert.
Der konsequente nächste Schritt ist für uns die Einbürgerung. Damit erlangen wir nicht nur das Wahlrecht, und sind vollwertiger Teil der Gesellschaft und der Demokratie.
Die Einbürgerung gibt uns auch Sicherheit, die wir mit einem anderen Aufenthaltsstatus nie fühlen werden.
Das haben auch in diesem Jahr Beispiele wie das von Pham Phi Son aus Chemnitz gezeigt, dem droht abgeschoben zu werden, nachdem er über 30 Jahre in Deutschland gelebt hat.
Mit dem deutschen Pass erlangen wir außerdem Reisefreiheit, die es uns ermöglicht, Familienangehörige im Exil in anderen Ländern zu treffen und zu besuchen. Viele von uns haben ihre Schwestern, Brüder und Eltern seit 7 oder 8 Jahren nicht gesehen.
Doch mit Einbürgerungen in der Stadt Leipzig gibt es aktuell ein großes Problem. Es sind Wartezeiten von mehreren Jahren. In Sachsen ist vor der eigentlichen Antragsstellung ein Beratungsgespräch vorgeschoben.
In vielen anderen Bundesländern und Städten kann man seinen Antrag auch ohne ein solches Gespräch stellen. Dadurch verlängert sich in Leipzig der Prozess zusätzlich.
Viele von uns warten seit mehr als einem Jahr, teilweise seit 20 Monaten, auf einen Termin für dieses Beratungsgespräch. Erst bei diesem Gespräch bekommt man die Antragsformulare ausgehändigt.
Die SPD-Fraktion hat im September ermittelt, dass über 3.000 Einbürgerungsgesuche bei der Leipziger Ausländerbehörde vorliegen und regelmäßig kommen neue hinzu.
Jedoch schaffen die dortigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nur 500 bis 600 Fälle pro Jahr zu bearbeiten, wie man den statistischen Berichten der Stadt entnehmen kann.
Viele Menschen haben Anfang 2021 eine Anfrage für das Beratungsgespräch gestellt und warten bis heute auf eine Rückmeldung.
Sämtliche Anfragen, ob telefonisch, per Email oder postalisch werden ignoriert, Antworten bleiben aus oder bestehen aus automatisch versendeten Floskeln wie „Bitte sehen Sie von weiteren Anfragen zum Bearbeitungsstatus ab.“
Voraussetzungen für die Einbürgerung sind bei vielen schon gegeben. Auch das Wissen über die notwendigen Unterlagen ist vorhanden. Dennoch besteht die Ausländerbehörde auf ein Beratungsgespräch, was laut Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) in den einschlägigen Paragrafen (§§ 8 bis 16) gar nicht vorgesehen ist.
In einer Willkommenskultur sollte es doch erstrebenswert sein, dass sich voll integrierte Menschen einbürgern.
Angesichts des demografischen Wandels sollte Sachsen ein Interesse an der Gewinnung und Sicherung von Arbeits- und Fachkräften haben.
Doch durch lange Bearbeitungszeiten bei Einbürgerungen verliert die Stadt Leipzig Fachkräfte, die in andere Kommunen und Bundesländer ziehen, in denen das Einbürgerungsverfahren deutlich schneller läuft.
Die Verfahrensdauern könnten durch digitale Prozesse und mehr Personal auf den Ämtern verkürzt werden.
Dabei geht es nicht nur einfach um die Erhöhung der Anzahl der Mitarbeitern. Vielmehr sollte doch in dieser Angelegenheit nach einer schnellen und praktikablen Lösung gesucht werden. Es geht darum, den riesen Antragsstau abzuarbeiten.
Hinter den laut SPD ermittelten 3.000 Anfragen für einen Beratungstermin stehen mit Familienangehörigen ca. 7.500 Menschen, die einen Antrag stellen wollen (vgl. LVZ 23.10.2022).
Selbst wenn 20 neue Mitarbeiter eingestellt werden würden, wird die Dauer des Einbürgerungsprozesses nicht sofort verkürzt, denn die Mitarbeiter müssen eingearbeitet werden und eine Routine entwickeln.
Das kann unter Umständen bis zu einem Jahr dauern. Nutzt man aber das Wissen von Mitarbeitern aus anderen Ausländerbehörden, die Tätigkeiten entsprechend ihrer Eingruppierung ausüben, könnten die vielen Anträge zügiger bearbeitet werden. Das ist unserer Meinung nach das primäre Ziel.
Weitere Möglichkeiten beständen darin, z. B. das Beratungsgespräch, sofern man es weiter durchführen möchte, in Gruppen zu führen. Denn viele Antragsteller haben eine ähnliche Situation und ähnliche Voraussetzungen.
Es lohnt vielleicht auch, nicht nur über zusätzliches Fachpersonal nachzudenken, sondern auch über den Einsatz von Personal, z. B. zur Vorsichtung von Unterlagen, bei dem kein Fachabschluss notwendig ist.
Wie es in vielen anderen Bundesländern längst üblich ist, wenn Kapazitäten knapp sind, kann man auch ganz auf das Beratungsgespräch verzichten und die Menschen z.B. mit einer Check-Liste oder Online-Abfrage informieren, welche Unterlagen benötigt werden. [EM3]
Wir brauchen Ihre und Eure Unterstützung, wir brauchen viele Menschen, um auf dieses Thema aufmerksam zu machen, das nicht weniger als die Existenz von Tausenden Menschen in Leipzig betrifft.
7. Dezember 2022
Verfasst von Mahmoud Abdulrazzak, unterzeichnet von Betroffenen, die auf Einbürgerung warten, sowie weiteren Unterstützerinnen und Unterstützern
Mit freundlichen Grüßen
Mahmoud Abdulrazzak
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