Träume zu deuten ist schwierig, aber sie lügen nicht. Ich weiß nicht mehr, wo ich das aufgeschnappt habe, aber es klingt jedenfalls, als könnte da was dran sein. Ehrlicherweise bleibt mir als angehendem Koch bei der ganzen Arbeit auch keine Zeit dafür. Schade. Früher im Schulunterricht hat das immer wunderbar funktioniert. 

Ich bin Optimist. Als ich ein Kind war und meine Mutter einmal fragte, was eigentlich in dem riesigen Kraftwerk passiert, an dem wir gerade vorbeifuhren, erzählte sie mir, dass da die Wolken hergestellt würden, und die werden dann aus den Türmen in den Himmel gepustet. Das leuchtete mir irgendwie ein. 

Heute ist es weniger die Naivität, sondern eher der optimistische Spirit, den ich behalten habe. Auch wenn es so scheint, als würden Naivität und Optimismus in der gesellschaftlichen Wahrnehmung immer mehr zusammenrücken, vielleicht sind sie sogar schon längst verschmolzen. Wem will man das vorwerfen? 

Im Zweiten Weltkrieg entstand ein Akronym: S.N.A.F.U. Das steht für „Situation Normal, All Fucked Up.“ Und das trifft es. Genau so sieht die Nachrichtenlage aus, und das seit Jahren. Nach Licht am Ende des Tunnels sucht man auch vergeblich. Zappenduster. Fehlt nur noch, dass demnächst Männer mit wirren Haaren und Bärten, auf der KarLi rumstehend, lautstark den Anfang der Apokalypse verkünden. Und auf dem Pappschild steht: „Das Ende ist nah.“ 

Gut, ganz so weit sind wir zum Glück noch nicht. Auch wenn verwirrte Menschen, die in Fußgängerzonen und auf abstrusen Demonstrationen krude Verschwörungstheorien verbreiten, beunruhigenderweise Hochkonjunktur zu haben scheinen. Ob Corona oder der Krieg in der Ukraine ist dabei zweitrangig. Man kann zuweilen das Gefühl bekommen, wir leben in postfaktischen Zeiten. 

Titelblatt der Dezember der LEIPZIGER ZEITUNG, LZ 109.
Titelblatt der Dezember der LEIPZIGER ZEITUNG, LZ 109. Foto: LZ

Das Problem ist, dass sich die am wenigsten reflektierten Menschen ihrer Sache immer sicher sind, während die Reflektiertesten stets zweifeln. 

„Der Mensch ist zu einer beschränkten Lage geboren. Einfache, nahe, bestimmte Zwecke vermag er einzusehen, und er gewöhnt sich, die Mittel zu benutzen, die ihm gleich zur Hand sind. Sobald er aber ins Weite kommt, weiß er weder, was er will, noch was er soll.“ Da hatte Goethe, der alte zugezogene Leipziger, einen Punkt. 

Ich als angehender Koch weiß selbstverständlich, wie ich eine solide Sauce Hollandaise zubereite oder den perfekten Garpunkt von einem Steak feststelle. Wie man aber den Menschen im Iran oder der Ukraine oder den Arbeitern in Katar am besten hilft, oder die Klimakrise bewältigt, ist mir dann doch eher schleierhaft. 

Vielleicht lügen Träume doch, zumindest sind sie widersprüchlich. Zum einen träume ich von mehr Bescheidenheit, zum anderen auch von einer klareren gesellschaftlichen Haltung zu bestimmten Themen. Aber um ehrlich zu sein, sind die meisten meiner Wünsche persönlicher Natur. Ich bin Koch in den letzten Zügen der Ausbildung, das Geld ist knapp und die Zukunft der Branche durch absurd gestiegene Kosten ungewiss. 

Was bleibt am Ende? Klar, die Welt geht vor die Hunde, aber ich drehe erst einmal eine Runde mit meinem Hund, das hilft immer. Und Optimist bleibe ich, nicht trotz, sondern wegen der bescheidenen Umstände. Kann nur besser werden, zumindest wenn wir alle lieb zueinander sind. 

Man wird ja wohl noch träumen dürfen. 

*Zum Verfasser: Franz Böhme (24) ist angehender Koch und beendet seine Ausbildung voraussichtlich im kommenden Jahr. Er lebt und arbeitet in Leipzig.

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„Wenn Leipziger/-innen träumen: Träume und ihre Widersprüchlichkeit“ erschien erstmals am 16. Dezember 2022 in der aktuellen Printausgabe der Leipziger Zeitung (LZ). Unsere Nummer 109 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.

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