Dass jemand wie ich gefragt wird, ob er sich vorstellen könnte, seine Träume aufzuschreiben, kam überraschend. Und nun sitze ich doch an diesem Text und überlege hartnäckig, was meine Wünsche oder Träume sind. Vielen anderen Menschen würde die Antwort auf diese Frage sicher leichtfallen, doch jemandem, der sein Leben lang verzweifelt den roten Faden in seinem Leben gesucht hat, vielleicht nicht.

Jeden Tag erlebe ich eine Berg-und-Tal-Fahrt an Gedanken und Emotionen, sodass ich meistens nicht weiter als ein paar Stunden plane. Um ehrlich zu sein, bin ich froh, wenn ich nicht gleich vergesse, was ich vorhatte.

Psychische Probleme beherrschen mein Leben seit meiner Jugend und immer habe ich mich danach gesehnt, „normal“ – wie jeder andere – zu sein. Arbeit, Heiraten, Familie, Haus, irgendwas aus mir machen, denn was würden sonst die Nachbarn sagen … diese Predigt begleitete mich früher jeden Tag. Heute bin ich einer der Gründer von Strange Designs UG. Wer hätte das gedacht, dass ich jemals so etwas sage? Ich nicht. Strange, was?

Mit der Gründung des Unternehmens habe ich, gemeinsam mit meinem Partner, plötzlich eine Zukunftsperspektive erhalten. Vielleicht der Anfang von dem roten Faden, den ich früher immer gesucht habe? Genau weiß ich es nicht. Und hier fängt mein Geträume an, weniger für mich, aber für andere, denen es wie mir ergeht:

In den Jahren, in denen ich krankheitsbedingt zu Hause saß, kam ich mir oft unendlich nutzlos vor. Jedes Mal, wenn ich dachte, jetzt könnte es etwas werden, spielte mir meine Psyche wieder böse mit. Alle Jobangebote, die ich mir ansah, waren toll. Doch je länger ich sie anblickte, fühlte ich mich nicht gut genug. Ich würde es so oder so nicht schaffen.

Genau diese Ängste begleiten mich noch heute und ich weiß, dass es vielen anderen auch so geht. Angst vor den Anforderungen, vor dem, was die Kollegen denken könnten, Mobbing und Vorgesetzte oder Kunden, die diese Krankheiten nicht verstehen. Es fängt schon da an, nur diese eine E-Mail abzuschicken, wenn man sie mal fertig geschrieben hat.

Titelblatt der Dezember der LEIPZIGER ZEITUNG, LZ 109.
Titelblatt der Dezember der LEIPZIGER ZEITUNG, LZ 109. Foto: LZ

Psychische Krankheiten, die nicht mal eben weggehen oder überspielt werden können, indem man sich zusammenreißt, bedeuten einen ziemlichen Leidensdruck. Ich wünsche mir vor allem, dass dieses Tabuthema viel offener behandelt wird. Es soll ja nicht alles hingenommen werden, wie es ist, aber wenn man keine Angst haben muss, ohne Verurteilung über so etwas zu reden, ist das viel wert.

In unserem Unternehmen z. B. tun wir nicht so, als ob das alles so in Ordnung ist, wir reden offen darüber, wenn mal etwas richtig schiefläuft. Wenn es Mitarbeitern oder ja, auch mir mal nicht gut geht. Wir finden unsere Stärken heraus und das, was nicht so gutgeht und gehen dennoch zusammen alle an unsere Grenzen, um auszutesten, was wir vielleicht doch noch alles funktionieren können.

Der Unterschied liegt wohl darin, dass wir keine Angst haben brauchen, wenn ich als Borderliner (und anderen psych. Erkrankungen) zusammen mit anderen Borderline-Kollegen mal kurz einen Moment doofes Zeug quatsche. Was uns triggert, wird so gut es geht aus dem Arbeitsalltag herausgehalten. Und da machen wir auch keine Unterschiede, ob jemand krank ist oder nicht.

Gerade für unser Unternehmen wünsche ich mir, dass wir noch weitere inklusive Plätze schaffen können. Dass wir zusammen wachsen können und noch etwas viel Besseres aus dem schaffen können, was wir bisher geschafft haben. Für uns und auch noch für andere. Mein Traum ist es, einen sicheren Ort zu schaffen, an dem Menschen mit eben diesen Einschränkungen zeigen können, was sie können.

Ich möchte jungen Menschen mit diesen Problemen die Chance auf geschützte und unterstützte Praktika geben, damit sie keine Angst haben, was später einmal wird oder „mal eine gute Erfahrung“ sammeln können. Nichts und niemand auf dieser Welt ist „normal“, das musste ich erst einmal lernen. So gleich wie wir alle auch sind, so individuell sind wir. Ein Leben ohne Angst zu haben, weil man krank ist, wäre toll.

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Mein Traum ist es, einen sicheren Ort ohne Angst und Verurteilung zu schaffen“ erschien erstmals am 16. Dezember 2022 in der aktuellen Printausgabe der Leipziger Zeitung (LZ). Unsere Nummer 109 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.

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