Natürlich ist das ärgerlich, wenn sich – mitten im Berufsverkehr – ein paar junge Leute auf die Fahrbahn kleben und den Verkehr für eine Weile zum Stocken bringen. Da vergisst so mancher Eilige am Steuer, dass es bei den Aktionen von „Letzte Generation“ genau darum geht: Das Gewohnte und Übliche ins Stocken zu bringen. Doch deutsche Innenminister wollen nicht ins Nachdenken kommen. Auch nicht Sachsens Innenminister Armin Schuster.
„Wir haben intensiv und in Teilen auch kontrovers diskutiert. In den allermeisten Punkten waren wir uns aber einig“, rekapitulierte Innenminister Armin Schuster die am Freitag, 2. Dezember zu Ende gegangene Innenministerkonferenz in München in einer Pressemitteilung. Die Innenminister und -senatoren der Länder tauschten sich mit der Bundesinnenministerin Nancy Faeser unter anderem zu Klimaaktivismus, Migration, Speicherung von IP-Adressen zur Bekämpfung des Kindesmissbrauchs und den Bevölkerungsschutz aus.
Das können sie ruhig machen. Aber auch für diese Runde in der Regel streng konservativer älterer Herren gilt das deutsche Recht. Auch wenn gerade die Union seit Wochen mit ihrer Behauptung durch die Lande tingelt, da wüchse eine „Klima-RAF“ heran. Völlig unbegründet, wenn man der Einschätzung des Bundesverfassungsschutzpräsidenten Thomas Haldewang folgt.
Und trotzdem fahren die Innenministerien gerade der unionsgeführten Länder alle Geschütze auf, für die jungen Leute, die sich da auf Straßen und an Bilderrahmen kleben, ein besonderes Recht zu konstituieren.
Quasi Störung des öffentlichen Verkehrs und Sachbeschädigung gleich mal auf die Stufe des Terrorismus zu heben und damit härtere Bestrafung denkbar zu machen.
Her mit der „kriminellen Vereinigung“!
Und Armin Schuster machte am Freitag deutlich, dass er die Sache genauso sieht. „Wenn sich sogenannte Aktivisten an Kunstschätze, auf Straßen oder Landebahnen kleben, außerdem Kraftwerke blockieren und so schwerwiegend in unseren Alltag eingreifen, habe ich dafür kein Verständnis. Da hier zumeist Straftaten begangen werden, wird das durch die Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte konsequent verfolgt“, sagte er.
Und hat damit schon mehr gesagt, als er als Minister hätte sagen dürfen. Denn was er hier als Straftaten postuliert, könnten Gerichte auch ebenso – und wahrscheinlich berechtigterweise – als Ordnungswidrigkeit einstufen. Das sind nach deutschem Recht zwei verschiedene Paar Schuhe, was ein Innenminister eigentlich wissen sollte.
Und den jungen Leuten auf der Straße, die das Ganze sogar noch bei Schnee und Regen auf sich nehmen, dann auch noch den Aktivismus abzusprechen, ist aus Unionssicht schon gänzlich scheinheilig.
Das wäre mal ein Tag, an dem man einen Unionspolitiker gegen Flughäfen und klimaschädlichen Straßenverkehr demonstrieren sieht. Das wird aber nicht passieren. Denn die Union ist nun eben aktuell Teil des Problems und nicht der Lösung.
Aber hinter dem „sogenannte Aktivisten“ steckt eben auch schon der Versuch der Umdeutung. Den zumeist jungen Demonstrierenden wird das – durch das Grundgesetz gewährte – Recht aberkannt, für ihre Anliegen öffentlichkeitswirksam zu demonstrierten, ihnen also den Status als Aktivisten abzusprechen. Stattdessen versucht auch Schuster, Teile der Klimabewegung zu kriminalisieren.
Das formulierte er auf der Seite des Innenministeriums so: „Es gilt nun vor allem auch zu ermitteln, ob netzwerkartige Strukturen vorliegen und wenn ja, in welcher Dimension. Zudem muss ermittelt werden, ob es Bezüge zur linksextremen Szene gibt. Auch auf die Initiative Sachsens hin wurden die Sicherheitsbehörden des Bundes nun um Erstellung eines Lagebildes gebeten.“
Man möchte also nur zu gern eine kriminelle Vereinigung konstruieren. Und da glaubt Schuster schon einen Ansatz zu finden, wenn die diversen Gruppen der „Letzten Generation“ miteinander im Austausch stehen. Da ist ja – aus seiner Sicht – der Schritt nicht mehr weit bis zur linksextremistischen Terrorgruppe.
Zündeln mit Worten
Alles nur Wortspiele. Aber die scheint ein Armin Schuster sichtlich ernst zu meinen, wenn er sagt: „Die Aktionen der Aktivisten sorgen für Unverständnis, Frust und in Teilen auch Wut bei anderen – das erweist dem eigentlich wichtigen Anliegen, unser Klima zu schützen, einen Bärendienst.“
Sachsens Innenminister als Klimaschützer? Das wäre ja mal eine Überraschung, nachdem sich auch und gerade die sächsische Union immer wieder als Bremser in der Energiewende gezeigt hat und Unions-Verkehrsminister über Jahre die Verkehrswende ausgebremst haben.
Sie haben ein Verkehrssystem am Leben erhalten, das klimazerstörend ist und bislang nicht die Bohne beiträgt dazu, dass Deutschland auch nur anfängt, seine in Paris 2015 versprochenen Klimaziele einzuhalten.
Aber wenn man die Protestierenden zu Terroristen erklärt, kann man so schön ablenken davon, wie sehr es bei den deutschen Bemühungen um eine echte Klimawende klemmt. Und dass auch und gerade der fossile Autoverkehr seine Aktie daran hat. Es sind nicht die jungen Leute, die sich auf die Straße kleben, die das Klima immer weiter zerstören, sondern die Leute hinterm Steuer ihrer Autos.
Von denen manche nicht anders können, weil das Verkehrssystem so ist, wie es ist.
Aber die meisten könnten schon.
Eine Umfrage zum falschen Zeitpunkt
Wobei kein Mensch wirklich weiß, wie groß der Frust da bei wem eigentlich ist. Die aktuellste Umfrage dazu stammt vom 8. November, durchgeführt von Civey im Auftrag der „Augsburger Allgemeinen“, kurz nachdem deutsche Medien mit Wollust darüber berichtet haben, wie in Berlin eine Radfahrerin nach einem Unfall mit einem Betonmischer starb, während gleichzeitig – fünf Kilometer entfernt – eine Straßenblockade von „Letzte Generation“ stattfand.
Wie zuverlässig oder repräsentativ gar Civey-Umfragen sind, wird in Forscherkreisen nach wie vor diskutiert.
Aber wie melodramatisch die meisten Medien über den Unfall und den konstruierten Zusammenhang mit dem „Letzte Generation“-Protest berichtet haben, kann man für den 4. November z.B. bei RND nachlesen.
Die Aufregung wurde von den großen Medien über Tage gehypt. Und damit wurden auch Emotionen geschürt. Was sich natürlich in einer Umfrage niederschlagen muss, die man genau in dieser Zeit durchführt.
Aber kraftstoffbetriebene Fahrzeuge sind keine heiligen Kühe. Sie sind lediglich Teil eines seit Jahrzehnten mit Milliardensubventionen ausgebauten Verkehrssystems, das im Angesicht des Klimawandels schlicht nicht zukunftsfähig ist.
Darüber kann man ruhig mal nachdenken, am Steuer. Und darüber, wie ungleich das Kräftemessen ist, wenn die jungen Leute von der Fahrbahn gelöst und weggetragen sind. Wer hier eigentlich den größeren Schaden für die Allgemeinheit anrichtet.
Fährt man dann also weiter und hat ein gutes Gewissen, weil diese „Klima-Terroristen“ jetzt ordentlich bestraft werden?
Denken Autofahrer tatsächlich so?
Oder spricht aus dem Gepolter des Innenministers nur das schlechte Gewissen eines Teils unserer Gesellschaft, der sein Verhalten nicht ändern will, egal, was die jungen Leute da draußen anstellen?
Nur so als Frage.
Es gibt 3 Kommentare
In weiten Teilen stehe ich hinter dem Kommentar von Ralf Julke.
Innenminister Armin Schuster hat Ermittlungen angestoßen zu Frage, wer die Steuerung der Aktionen im Namen der “Letzten Generation” inne hat.
Diese Frage wird natürlich keine einfachen Antworten liefern. Vielmehr bedient die Fragestellung Verschwörungstheorien über grüne Strippenzieher, die den Wandel der Demokratie hin zu einer vermeintlichen “Klima-Diktatur” vorantreiben.
Wie Jürgen Tallig, Mitbegründer des Neuen Forums Leipzig, in seinem Kommentar zu dem LIZ-Beitrag formuliert, sehe auch ich eher einen innergesellschaftlichen Konflikt, in dem man durchaus auch aufeinander prallende Weltvorstellungen in Verbindung mit Ängsten um die eigenen Lebensverhältnisse sehen kann. Tallig schreibt:
“Auch damals [zu den Zeiten der politischen Wende in der DDR, 1989] waren es vor allem unangepasste junge Menschen, die für eine Demokratisierung und Reform des Landes aktiv wurden und Ihre Angst überwindend, Freiräume und Veränderungen erkämpft haben und sich die Freiheit nahmen, über ihre Angelegenheiten mit zu entscheiden.”
Gegenüber der dpa äußerte der sächsische Innenminister Armin Schuster:
“Wenn sich sogenannte Aktivisten an Kunstschätze oder auf Straßen oder auch auf Landebahnen kleben, außerdem Kraftwerke blockieren, sind das schwerwiegende Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit”
Eine “schwerwiegenden Gefährdung” ist kein juristisch definierter Begriff. Vielmehr steckt darin der Versuch der Umdeutung, wie es Julke formuliert, der Versuch einer politischen Bewertung und Kriminalisierung von Teilen der Klimabewegung.
Die öffentliche Sicherheit sehe ich durch die Proteste bisher nicht oder nur marginal gefährdet.
Der Protest ist vor allem darauf ausgerichtet, Aufmerksamkeit zu erzeugen. Die Billigung des Einsatzes von Gewalt beschränkt sich auf Sachbeschädigung und indirekter, vor allem wirtschaftlicher Schäden infolge der Störung des Verkehrs.
Jedoch wird Armin Schuster auch darin eine mögliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit erkennen, dass die dezentralen Aktionen die Verletzlichkeit und Machtlosigkeit der Staates aufzeigen. Denn es ist seine Aufgabe als Innenminister, die innere Ruhe und Ordnung zu gewährleisten.
Die sprachlichen Übertreibungen und Umdeutung zielen darauf ab, die Aktionen zu missbilligen und damit die öffentliche Meinung zu manipulieren. Es gilt, den Protesten ihre politische Legitimation abzusprechen, potentielle Nachahmer einzuschüchtern und Sympathisanten zu isolieren.
Die Äußerungen sind damit in diesem Zeitpunkt zwar nachvollziehbar, bergen aber ihrerseits eine Gefahr. Die Aktionen nicht nur als Ordnungswidrigkeiten im Zusammenhang mit der Ausübung des Versammlungsrechtes einzustufen, sondern wie der bayrische Innenminister Joachim Herrmann als “erhebliche Straftaten” oder gar terroristische Handlungen (“Klima-RAF”) mit anderen schwerwiegenden Delikten auf eine Stufe zu stellen, kann die Verbreitung von reaktionären Gewaltfantasien in den sozialen Netzwerken und letzlich Straftaten von Seiten einer Gegenbewegung, beispielsweise Übergriffe gegen Anhänger der Klimabewegung provozieren.
Politik und Strafverfolgungsbehörden sollten daher gemeinsam auf eine Verständigung und Deeskalation in diesem Konflikt hinwirken. Mit Mitteln der Problem- und Konfliktbewältigung, wie sie beispielsweise bei der Bürgerbeteiligung um Großprojekte herangezogen werden. Und mit einer Kommunikation, die das Anliegen aller Akteure in die politische Agenda einbezieht.
Danke, Jürgen Tallig. Sie sprechen, bzw. schreiben mir sehr aus dem Herzen. Ich fahre Fahrrad, seit ich auf’s Gymnasium gehe (vorher konnte ich zur Schule laufen). Der Weg zum Gymnasium (15 km) führte über Landstraßen, an denen Autos mit hoher Geschwindigkeit an mir vorbeidüsten. Ich hatte damals (~1995) schon das starke Gefühl, etwas gegen den Klimawandel tun zu müssen. Nachdem ich das mit dem Rad ein paar Mal gemacht hatte, fuhr ich wieder mit dem Bus (ländlicher Raum in Sachsen: da brauchte der Bus damals für 15 km 1 Stunde. Mit dem Rad war ich in 30 Minuten da. Heute fährt da kein Bus mehr). Meine Gesundheit und mein Leben waren mir einfach zu lieb.
30 Jahre später gibt es nach wie vor keine Möglichkeit diese Strecke sicher mit dem Rad zu fahren. Sachsens Politiker (Gendern ist nicht nötig, waren halt immer Männer) haben den Klimawandel m.E. seit 30 Jahren verschlafen. Selbst individuelles klimafreundliches Verhalten wird (bewusst oder unbewusst) sabotiert. Von kollektiven Bemühungen oder politischen Lösungen braucht man da leider überhaupt nicht zu reden. Das macht mich sehr traurig.
Ein sehr guter und notwendiger Beitrag, der die Verhältnisse gerade rückt.
Mich erinnert die gegenwärtige Situation sehr an die Endzeit der DDR, wo eine nicht lernfähige Machtelite die Zeichen der Zeit nicht erkannte und sich festklammerte an nicht zukunftsfähigen Strukturen und diese mit allen Mitteln verteidigte. Das scheint mir heute ganz ähnlich zu sein.
Auch damals waren es vor allem unangepasste junge Menschen, die für eine Demokratisierung und Reform des Landes aktiv wurden und Ihre Angst überwindend, Freiräume und Veränderungen erkämpft haben und sich die Freiheit nahmen, über ihre Angelegenheiten mit zu entscheiden.
Sie legten den Finger in die Wunden und zwangen das verkrustete System und jeden Einzelnen, sich zu bewegen. Später nannte man sie „Helden der friedlichen Revolution“.
Auch heute befinden wir uns in einer Entscheidungssituation, bei der es um sehr viel mehr geht.
Der jüngst verstorbene Michael Gorbatschow sagte seinerzeit sinngemäß: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“ Ein Satz, der auch heute noch gültig ist und der angesichts von Umwelt- und Klimakrise noch eine ganz andere, neue und bedrohliche Dimension bekommen hat.
Jeder sollte jetzt entscheiden, was er tun kann für die Bewahrung des Lebens und die Verhinderung der Klimakatastrophe. Wir sind Menschen und zu Mitgefühl, Solidarität und Liebe fähig; wir sind mehr oder weniger mit Gerechtigkeitssinn und einem Empfinden für Wahrheit und Lüge begabt, nicht wenige auch mit Mut und Uneigennützigkeit,- wir sind nicht nur eine manipulierbare Manövriermasse.
So gibt es einen Aufruf „Klimaschutz ist kein Verbrechen – Solidarität mit der „Letzten Generation“ von Kulturschaffenden und Künstlern, den bereits 1300 mehr oder weniger Prominente unterschrieben haben:
https://klimaschutzistkeinverbrechen.com/
Wir sind die Letzte Generation die die Klimakatastrophe noch verhindern kann, sagte einst Barack Obama. Das bedeutet:
Wir alle sind die letzte Generation und wir haben kein Recht weiter „Öl ins Feuer zu gießen“ und den Planeten in einen lebensfeindlichen Zustand zu versetzen und die Lebensgrundlagen für alle kommenden Generationen irreversibel zu zerstören. Dies ist durch nichts zu entschuldigen und wäre das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte, begangen ohne Not.
Jürgen Tallig der Autor war Mitbegründer des Neuen Forums Leipzig