Die Leipziger Zeitung berichtet regelmรครŸig รผber Demonstrationen in Leipzig, um es einfach zu halten, verweise ich auf das LZ-Archiv der Berichte รผber Demonstrationen in Leipzig. Am 21. November 2022 fand wieder eine dieser Demonstrationen statt, die sich โ€žMontagsdemonstrationenโ€œ nennen und mit mehr als dem Wochentag der wirklichen Montagsdemonstrationen in den Jahren 1989/90 nichts gemeinsam haben.

Was diese Kundgebungen und Demonstrationen in meinen Augen dagegen ganz klar kennzeichnet, ist die hohe Bereitschaft, die Fakten zu verdrehen. Konsequent wรคre, wir alle wรผrden sie einfach Donnerstagsdemonstrationen nennen, egal zu welchem Wochentag sie stattfinden, bei anderen Tatsachen nehmen sie es ja sonst auch nicht so genau.

Aber bleiben wir bei den Fakten. Fakten, fรผr die sie nun selbst mit Schulnote Eins den Nachweis erbringen. Dem Vorwurf, dass sie Rechtsextremisten und andere Demokratiefeinde unter sich dulden, erwiderten sie lange damit, dass es diese Rechtsextremen nicht gรคbe in ihren eigenen Reihen. Seit etwa zwei Wochen aber laufen nun zwei โ€žMontagsโ€œ-Grรผppchen, die bisher als gemeinsamer Aufzug auftraten.

Am 15.11.2022 hรถrte ich selbst, wie wichtig es der Anmelderin des hinteren Aufzugs war, einen gebรผhrenden Abstand zum abgespaltenen vorderen Grรผppchen zu wahren, welches schon anhand ihrer Banner sichtbar als extrem bis rechtsextrem einzuordnen ist. Auf Hรถhe des Wilhelm-Leuschner-Platzes kam es aus irgendeinem Grund fรผr wenige Minuten zum Stillstand. โ€žDie da vorne stehen, wir mรผssen warten, mit denen wollen wir nichts gemeinsam haben.โ€œ schallte es durchs Megafon aus dem hinteren Aufzug. โ€žOb sie es selbst bemerken?โ€œ, fragte ich mich.

19:30 Uhr am 21.11. 2022 an der HarkortstraรŸe / Simsonplatz. Foto. LZ

Immerhin, kรถnnte man sagen, sie haben es geschafft, einen Teil der Fakten anzuerkennen. Wo lange keine Demokratiefeinde waren, von denen man sich lieber distanzieren sollte, waren plรถtzlich doch welche auszumachen. โ€žMacht mal Generalinventur!โ€œ, mรถchte ich ihnen entgegenrufen, denn mit bloรŸem Auge sehe ich auch im hinteren Aufzug noch mehr und die Sorge der Gegendemonstrant/-innen um unsere Demokratie halte ich fรผr mehr als berechtigt.

Wenn es schwierig ist, die Demokratiefeinde in den eigenen Reihen zu erkennen, hilft man sich selbst am meisten, sich nicht einfach einen schlanken FuรŸ zu machen und รผber Kritik von auรŸen leichtfertig hinwegzugehen.

Schwierigkeiten, aber fรผr wen?

Ganz andere Schwierigkeiten habe ich nun diesen Montag an anderer Stelle gesehen, nรคmlich Schwierigkeiten darin, die grundgesetzlich verbriefte Teilnahme an einer Versammlungen wahrnehmen zu kรถnnen.

Als ich am 21. November 2022 auf dem Simsonplatz ankam, sah ich folgendes. Auf der einen Hรคlfte des Platzes standen die โ€žMontagsdemonstrant/-innenโ€œ und auf der anderen die Teilnehmenden der Gegendemonstration. Auf der Fahrbahn der HarkortstraรŸe saรŸ eine Gruppe Menschen, davor und dahinter abgesperrt durch Polizeibeamte. Kurz nach meiner Ankunft hรถrte ich die Polizei รผber den Lautsprecher verkรผnden, dass sich fรผr die Gruppe auf der Fahrbahn eine Versammlungsleitung gefunden und die Versammlungsbehรถrde diese offiziell als Versammlung anerkannt habe. Die Versammlung sollte dennoch die StraรŸe in Richtung Simsonplatz rรคumen, hieรŸ es weiter.

In der Ferne sah man wรคhrenddessen den Aufzug der โ€žMontagsdemonstrat/-innenโ€œ in die entgegengesetzte Richtung abziehen. Diejenigen, die sich auf der StraรŸe versammelt hatten, offenbar um ihre Meinung gegenรผber den โ€žMontagsaufzรผglernโ€œ kundzutun, hatten damit nun keine Chance mehr, gehรถrt zu werden. Woraufhin sich das Geschehen auf der StraรŸe, letztlich genauso, wie es die Polizei forderte, in Richtung Simsonplatz auflรถste.

Ein Polizeikessel aus nicht ersichtlichen Grรผnden

Was aber dann geschah, war in meinen Augen aber nicht mehr im Sinne unserer Verfassung, genauer gesagt im Sinne der Versammlungsfreiheit. Nachdem auf der Gegenkundgebung auf dem Simsonplatz รผber den Lautsprecher auf einen weiteren Versammlungsort einer anderen Gegendemonstration aufmerksam gemacht wurde, bewegten sich einige sofort in eine Richtung, offensichtlich auf dem kรผrzesten Weg zur eben genannten weiteren Kundgebung.

Nach etwa zwanzig Metern aber war bereits wieder Schluss. Der Weg wurde von der Polizei blockiert und eine Gruppe vor allem junger Menschen wurde von der Polizei eingekesselt. Erst nur durch Polizeibeamte, im Laufe der Zeit wurden zusรคtzlich mehrere Einsatzwรคgen extra herbeigeordert, um die Gruppe noch mehr abzuschirmen.

Warum das geschah, war aus meiner Beobachtung heraus nicht ersichtlich. Die Aussagen der Polizisten vor Ort brachten auch keine Klarheit und sie waren teilweise sehr unterschiedlich.

Ein Polizeibeamter sagte mir, es hรคtte eine Art โ€žBefehl von Obenโ€œ gegeben, diese Gruppe erst einmal festzuhalten und sie wรผrden schon gleich wieder freikommen, ich solle mir da keine Sorgen machen. Ein anderer erklรคrte, die Gruppe hรคtte versucht, eine Polizeisperre zu durchbrechen. Etwas, was meiner Beobachtung nach in dieser Konsequenz nicht stattgefunden hatte.

Und ein dritter Polizeibeamter meinte, sie wรผrden feststellen mรผssen, ob jemand in der Gruppe eine Spontanversammlung anmelden wolle, was von auรŸen betrachtet รผberhaupt keinen Sinn ergab.

Versammlungsfreiheit ja, aber nicht jetzt

Was ich kurz vor der Kesselung durch die Polizei beobachtet hatte, war ein lautes, aggressives Zugehen von Polizist/-innen auf die Personen, die anschlieรŸend ca. 20 Minuten im Polizeikessel stehen mussten. Auch wurde ich zu Beginn aufgefordert, mich hinter eine Absperrung zu begeben, mit der Begrรผndung es wรผrde โ€žeine MaรŸnahmeโ€œ stattfinden.

Meiner artikulierten Sorge, dass diese Menschen gerade daran gehindert werden, ihr Recht auf Versammlungsfreiheit wahrzunehmen, indem sie nicht auf die andere Versammlung gehen konnten, entgegnete mir ein Polizist, ich wรคre nicht Teil der Gruppe und es wรคre nicht meine Angelegenheit. Nicht erst da hรคufte sich in mir ein groรŸer Wille, dem zu widersprechen.

Man sieht den Protest vor lauter Polizeifahrzeugen nicht

Das, was ich auf der StraรŸe zuletzt bei mehreren Versammlungen in Leipzig beobachtet habe, macht mir Sorgen. Augenscheinlich optimiert sich der Staat ein Geschehen zurecht, in dem das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit immer mehr von der Gesamtgesellschaft als solche abgeschirmt stattfindet. Wie auch vorvergangenen Montag wurden am 21. November 2022 wieder massiv viele Polizeibeamte in der Leipziger Innenstadt eingesetzt und frรผhzeitig ganze Bereiche im รถffentlichen Raum abgegittert.

Die bloรŸe Zahl an eingesetzten Polizeibeamt/-innen ist natรผrlich nicht der Kern dessen, worรผber ich mir Sorgen mache, sondern darรผber, wofรผr diese eingesetzt werden.

Wie ich eingangs beschrieb, ist der Gegenprotest gerechtfertigt und notwendig. Mir selbst wurde von Teilnehmenden der โ€žMontagsdemonstionenโ€œ schon die Forderung nach einer Art Rรผckfรผhrung in eine Monarchie verstรคndlich gemacht. Eine Forderung, die mit unseren Grundfesten unserer Verfassung, wie etwa der Gewaltenteilung, nicht vereinbar ist. Und ja, diese Forderung von einem Teilnehmenden dieser Kundgebung ist nicht weiter verwunderlich, denn die von den โ€žMontagsaufzรผglernโ€œ mitgefรผhrten Fahnen der โ€žFreien Sachsenโ€œ lassen erahnen, woher das kommt.

Im Kern geht es mir darum, dass es in meinen Augen irgendwo zwischen total naiv bis maximal gefรคhrlich einzuordnen ist, wenn die Verantwortlichen im Staat die Strategie verfolgen wรผrden, eine Art Deckel auf den Protest zu halten und deswegen auch den Gegenprotest entsprechend frรผhzeitig abwรผrgen zu wollen.

Genau danach sieht es aber in meinen Augen aktuell aus. Das Aufgebot der eingesetzten Polizei wurde zuletzt immer grรถรŸer. Vergangenen Montag konnte man sehr gut beobachten, wie sehr vorausgeplant der Einsatz stattfand.

Grundrechte sind nicht zuletzt Rechte der Bรผrger/-innen gegenรผber dem Staat

Am 21. November begleitete die Polizei die โ€žMontagsversammlungโ€œ รผber den Ring nicht nur im direkten Umfeld des Aufzugs. Mehrere Einsatzgruppen der Polizei liefen weit vor dem Geschehen der zwei โ€žMontagsaufzรผgeโ€œ, immer bereit, bereits kleinere Grรผppchen von potentiellen Gegendemonstrant/-innen anzusprechen, sie zu verscheuchen oder ihnen gleich ganz den Weg zu versperren.

Der Versammlungsverlauf wird immer mehr zu einem strategischen Manรถver der Polizei, die selbst bei kleineren Versammlungen aufgrund ihrer hohen Anzahl und der technischen Ausstattung das Geschehen deutlich bestimmt. Das ist nicht nur deshalb schwierig, weil dies den in meinen Augen nicht nur legitimen, sondern auch dringend notwendigen Gegenprotest und damit auch die Versammlungsfreiheit als solche erschwert.

Uns muss klar sein, dass die Grundrechte nicht zuletzt die Rechte beschreiben, die die einzelne Person im Staat gegen die Willkรผr des Staates zu schรผtzen versucht und sich nicht zuletzt genau dadurch unsere Demokratie von einem autokratischen System unterscheidet.

Ja, die Exekutive muss den Verlauf einer Versammlung absichern. Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit ist aber immer, also zur gleichen Zeit auch immer in einer gleichen Verteilung fรผr alle gรผltig. Eine Bevorzugung einer Gruppe oder ein irgendwie geartetes โ€žFirst-Moverโ€œ-Prinzip halte ich mit dem Geist des Grundgesetzes nicht vereinbar.

Und: Das Recht aller, โ€žsich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammelnโ€œ, ist eben nicht das Recht der Staates und auch nicht der staatlichen Exekutive. Es ist damit definitiv nicht mit dem Grundrecht vereinbar, dass das Versammlungsgeschehen durch die Polizeibehรถrde regelrecht bestimmt wird.

Auch Gegenprotest muss jederzeit mรถglich sein, das Optimieren der Durchfรผhrung von Versammlungen muss daher auch klare Grenzen haben und erst recht darf dieses Optimieren nicht dazu fรผhren, dass Randgruppen in ihren Grundrechten beschnitten werden.

Wir mรผssen uns dessen bewusst sein: Demokratie ist keine Statistik und die Bรผrgerinnen und Bรผrger sind keine Statisten. Auch ein Gegenprotest gegen demokratiezersetzende Strukturen besitzt neben dem GEGEN immer auch ein noch sehr viel groรŸeres FรœR, nรคmlich das FรœR die Demokratie. Fรผr-Demokratie-Protest ist halt nur ganz besonders sperrig.

Das vermeintliche โ€žKatz-und-Maus-Spielโ€œ zwischen Gegenprotest und Polizei ist nicht ausschlieรŸlich ein Spiel der Gegenprotestant/-innen, sondern immer auch ein Spiel der staatlichen Exekutive. Je stรคrker sich die Polizei darauf konzentriert, dem Gegenprotest zuvorzukommen, umso stรคrker wird nicht nur die Ausรผbung der Grundrechte erschwert, sondern auch das GEGEN hervorgehoben und noch stรคrker zu einem GEGEN stilisiert, wรคhrend gleichzeitig das FรœR unter der allgemeinen Wahrnehmungsschwelle zu verschwinden droht.

Der optimierte Staat muss zwangslรคufig Grenzen haben. Es geht um den Interessensausgleich derer, die diese Grundrechte innehaben, also um den Interessensausgleich zwischen Bรผrgerinnen und Bรผrgern und nicht zwischen Bรผrger/-innen und Staat. Der Wunsch nach Optimierung ist vollkommen nachvollziehbar, aber nicht das MaรŸ aller Dinge. In dem Augenblick, in dem aber aus nicht ersichtlichen Grรผnden und scheinbar โ€“ wie in der eingangs geschilderten Situation โ€“ prophylaktisch Menschen festgesetzt werden, droht nicht zuletzt der Staat seine Macht zu missbrauchen.

Nachtrag: Hatte ich รผbrigens erwรคhnt, dass sich in dem eingangs erwรคhnten Polizeikessel am 21.11.22 in erster Linie Jugendliche, die teils nach Augenschein noch nicht einmal 18 Jahre alt waren, befanden? Wenn nicht, dann habe ich das jetzt nachgeholt.

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Es gibt 2 Kommentare

@Sebastian, zu ersterem: du kannst nicht zur gleichen Zeit in einem Polizeikessel sein und gleichzeitig an einer Kundgebung teilnehmen, die woanders stattfindet.

Bei Randgruppen hatte ich ehrlich gesagt junge Menschen unter 18 adressieren wollen. Kam nicht rรผber? Dann ist es jetzt noch mal klar benannt. Damit zusammen hรคngt auch der letzte Absatz, der ursprรผnglich genau nach diesem Satz mit den Randgruppen geschrieben stand.

> โ€œDas ist nicht nur deshalb schwierig, weil dies den in meinen Augen nicht nur legitimen, sondern auch dringend notwendigen Gegenprotest und damit auch die Versammlungsfreiheit als solche erschwert.โ€
Aber eben nicht verhindert, wie in anderen Textstellen behauptet oder angedeutet. Der Gegenprotest IST jederzeit mรถglich, es geht lediglich um das Verhindern des in Leipzig salonfรคhig gemachten Blockadeverhaltens, um andere Leute (mit von mir aus teils kruder Meinung) daran zu hindern sich wichtig zu machen.
โ€“
> [โ€ฆ] und erst recht darf dieses Optimieren nicht dazu fรผhren, dass Randgruppen in ihren Grundrechten beschnitten werden.
Sie meinten jetzt aber nicht die Demokratiefreunde, also die im Gegenprotest, mit der โ€œrichtigenโ€ Meinung mit โ€œRandgruppenโ€, oder?
โ€“
> โ€œHatte ich รผbrigens erwรคhnt, dass sich in dem eingangs erwรคhnten Polizeikessel am 21.11.22 in erster Linie Jugendliche, die teils nach Augenschein noch nicht einmal 18 Jahre alt waren, befanden?โ€
Es wรคre mittels โ€œSTRG+Fโ€ mรถglich gewesen diese rhetorische Frage zu ergrรผnden. Aber unabhรคngig davon: Was finden Sie daran erwรคhnenswert? Die junge Generation strebt nach Verantwortung (ich wรผrde formulieren: Teile der erwachsenen Generation schiebt wenigen jungen Leuten Verantwortung zu, also denen, die die gleichen Werte wie sie selbst teilen), soll/mรถchte eher wรคhlen gehen, soll/mรถchte die Klimapolitik in โ€œStreiksโ€ und Protesten รคndern und befindet sich Ihrer Aussage nach auch auf Demos gegen Rechte โ€“ natรผrlich begibt sich ein von mir aus 16jรคhriger Jugendlicher damit komplett ins Demogeschehen. Oder reden wir hier von Kleinkindern, wie sie mancher Querdenker in vorigen Demos mitbrachte?

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