Der Samstag des 7. November 2020 hat sich bei denen, die ihn miterlebten durchaus eingebrannt. Während sich im ersten Jahr der Pandemie viele versuchten, an Masken- und Abstands-Regeln zu halten, fanden sich an diesem Tag noch als „Querdenken“ gelabelt aus ganz Deutschland jene in Leipzig ein, die darauf pfiffen. Und in den Versuchen, eine weltweite Pandemie einzudämmen, einen Angriff auf ihre Freiheit erkennen wollten. Ein Aspekt dieses Tages blieb und hat bis heute eine gewisse Konstanz: deutlich überforderte Behörden, welche ihre Augen stets mehr beim Gegenprotest hatten.

22:30 Uhr

Seit geraumer Zeit ist das Versammlungsgeschehen in Leipzig beendet. Eine dermaßen verkürzte Montagsdemo von „Querdenkern“ hat es in Leipzig schon lange nicht mehr gegeben. Selbst am 3. Oktober konnten die Verschwörungserzähler/-innen trotz massiver Blockaden über Umwege eine erhebliche Strecke zurücklegen.

Seit eben jenem 3. Oktober scheint der antifaschistische Gegenprotest deutlich gewachsen zu sein. So viele Politiker/-innen wie heute hat man auch schon lange nicht mehr dabei gesehen. Und die Präsenz von „Promis“ dürfte durchaus Einfluss auf die Bereitschaft des Staates haben, die Sitzblockaden notfalls mit Gewalt zu räumen.

Auf Seiten der Rechten bleibt nun spannend zu beobachten, wie sie ihre Differenzen austragen werden. Ein Teil war definitiv nicht zufrieden mit der Entscheidung der Versammlungsleitung, einfach wieder umzukehren. Wir verabschieden uns mit einem weiteren Video vorläufig. Darin sieht man die Abreise der „Querdenker“, die spontane Antifademo und ein kurzes Interview mit Thomas Kumbernuß.

21:50 Uhr

Kurz vor 22 Uhr ist die antifaschistische Spontandemo auf den Augustusplatz zurückgekehrt. Zuvor war sie aus der Sitzblockade vor der Thomaskirche heraus gestartet und hatte den Weg zurückgelegt, den eigentlich die rechte Montagsdemo nehmen wollte.

Weitere Videoimpressionen vom Abend

21:20 Uhr

Die Stimmung dürfte heute sehr unterschiedlich sein. Während die rechte Montagsdemonstration zurückgekehrt ist und nun am Leuschnerplatz die Heimreise antritt, hat sich der antifaschistische Gegenprotest die Straße genommen und läuft nun mit einem gigantischen Banner über den Ring.

Antifa-Demo auf dem Ring. Foto: LZ
Antifa-Demo auf dem Ring. Foto: LZ

20:45 Uhr

Es wird unübersichtlich. Der „offizielle“ Teil der rechten Montagsdemo ist umgekehrt und möchte zum Augustusplatz zurücklaufen. Ein harter Kern, bestehend aus vielen Rechtsradikalen, möchte nicht mitkommen und bleibt in der Nähe der antifaschistischen Sitzblockade stehen. Zwischen den Gruppen scheint es massive Differenzen zu geben.

Diese hatten sich schon in den vergangenen Wochen angedeutet, etwa als Gewalttaten aus der eigenen Demo heraus kritisiert wurden. Es ist wie so oft bei „Querdenken“-nahen Demos: Manche möchten lieber „Widerstand“ leisten und sehen die Orga als zu zahm an.

20:20 Uhr

Nach dem Willen der Versammlungsbehörde soll sich die Sitzblockade auf den Gehweg entfernen. Es klingt wieder nach Leipziger Linie: Ein bis zwei Sitzblockaden werden zeitlich begrenzt erlaubt, aber dauerhaft dürfen sie nicht bleiben.

Manchmal folgen die Blockierenden den Anweisungen, aber heute ist die Menge so groß, dass da wohl kaum jemand freiwillig das Feld räumen wird.

Die rechten Montagsdemonstrant/-innen stehen sich derweil die Beine in den Bauch. Hier und da ist Sorge zu spüren, dass sie gewaltsam durchbrechen könnten – ähnlich wie vor zwei Jahren, als die Polizei am Hauptbahnhof vor dem rechten Mob kapitulierte.

20:05 Uhr

Mehrere hundert Menschen blockieren auf Höhe Thomaskirche weiterhin den Ring. Es ist ein durchaus symbolischer Ort, ist er doch nur wenige hundert Meter vom Synagogendenkmal entfernt. Die rechte „Montagsdemo“ muss pausieren. Vor einigen Wochen führten massive Blockaden zu einer weiträumigen Umleitung über das westliche Zentrum auf die Jahnallee. Ähnliches deutet sich derzeit nicht an.

Sitzblockade auf dem Ring. Foto: LZ
Sitzblockade auf dem Ring. Foto: LZ

19:40 Uhr

An der Thomaskirche gibt es eine Sitzblockade sowohl auf dem Ring als auch in der Gottschedstraße und Richtung Innenstadt.

Sitzblockade vor der Thomaskirche
Sitzblockade vor der Thomaskirche. Foto: LZ

19:30 Uhr

Die rechte Montagsdemo hat sich mittlerweile in Bewegung gesetzt. An der Front wünscht man sich, dass der „Ami“ nach Hause gehen soll. Zuvor wurde vor allem den USA die Schuld am Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine in die Schuhe geschoben.

Wir beobachten nun, ob der Aufzug störungsfrei über den Ring laufen kann oder ob es wieder Blockaden gibt.

19:15 Uhr

Auch die rechte Montagsdemo wurde mittlerweile eröffnet. Die Anmelderin erklärt, dass sich Fackeln verbieten würden – zumindest einige Teilnehmer/-innen hätten gerne welche mit sich geführt – und dass die Demonstrationen ab dem 21. November wegen des Weihnachtsmarktes auf dem Simsonplatz starten müssten. Zudem geht sie auf verschiedene Ereignisse ein, die in der Neuzeit am 9. November stattgefunden haben.

Die Zahl der Teilnehmenden schätzen wir grob auf 500 bis 1.000 – also deutlich weniger als die angekündigten 3.000, die zwei Jahre nach der verbotenen „Querdenken“-Großdemo am 6. November 2020 erscheinen sollten. Der Gegenprotest ist schon mobil in der Stadt unterwegs.

18:55 Uhr

Schon vor 19 Uhr hat das Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“ seine Kundgebung auf dem Augustusplatz eröffnet. Die Zahl der Teilnehmenden ist im dreistelligen Bereich.

Irena Rudolph-Kokot eröffnet die Versammlung mit deutlichen Worten an die Adresse der Versammlungsbehörde. Diese ermögliche es, dass Neonazis in der Woche des Pogromgedenkens an Stolpersteinen vorbeilaufen. Das sei „unerträglich“. Dem rechten Aufzug jeden Montag per „Daueranmeldung“ den Ring zu überlassen, sei aus Sicht des Aktionsnetzwerkes „Rechtsbeugung“.

Der 7. November 2020: Neonazis, Mythen und was davon 2 Jahre danach übrig ist

Noch drei Tage nach dem Ende der herbeigezwungenen Ringumrundung von „Querdenken“ konnte der damalige Innenminister Sachsens, Roland Wöller, in einer improvisierten Pressekonferenz nicht erkennen, was mehrere Journalist/-innen und Medien schon am Abend vor Ort beobachteten. Dass es unter anderem bekannte Neonazis und gewaltsuchende rechte Kampfsportler waren, die am 7. November 2020 an der Spitze des Demozuges der kurz zuvor ausgedünnten Polizeiketten durchbrachen.

Denn fast zeitgleich zum Durchbruch waren Polizeibeamte von der Einsatzleitung abgezogen worden, um am Wilhelm-Leuschner-Platz auf eine etwa 2.000 Menschen starke, linke Gegendemonstration aufzupassen.

Vor den tausenden teils mit Reise-Bussen nach Leipzig gekarrten Teilnehmer/-innen hatte man damals schon Stunden zuvor kapituliert, indem Polizei und Ordnungsamt Leipzig praktisch keine der Auflagen, welche maßgeblich im Maskentragen und einer Maximalmenge von 20.000 Teilnehmenden auf dem Augustusplatz bestehen sollten, auch durchzusetzen. Das Signal war damit gegeben, was folgte war ein Gang über den Ring, den es so nie hatte geben sollen.

In die Leipziger Stadtgeschichte ging der Tag zudem als jener ein, an welchem erst Rechtsextreme erfolgreich und bis heute ungestraft auf Höhe Wintergartenhochhaus eine Polizeikette attackieren konnten, während die Einsatzbeamten erst später in Leipzig Connewitz ihre offenbar vorher falsch geparkten Wasserwerfer doch wiederfanden, als sich im Viertel der Frust von linksradikaler Seite entlud.

Was die „Bewegung Leipzig“, entgegen der Realitäten an diesem Abend, im Vorfeld des heutigen „Jubiläums“ bei Telegram gern zeigt, sind Bilder mit Kerzen auf den Schienen am Goerdelerring. Eine Suggestion von Friedlichkeit der weiter hinten im Demozug laufenden Reisedemonstranten, Nazis gab es hier keine, auch keine Gewalt – so der Mythos.

Seit nunmehr zwei Jahren drehen sich die überwiegend Montags stattfindenden Demonstrationen um rechtsoffene Themen, Wissenschaftsleugnung und aktuell zur Abwechslung mal um den Glauben, Putin führe mit einem seiner Angriffskriege (nach Georgien, Tschetschenien, der Krim) in der Ukraine eine Abwehrschlacht gegen „den Westen“. Und würde diesen einstellen, wenn man ihm gäbe, wonach er verlangt.

Dass dies laut der Maximal-Forderungen des neuen Zaren in Moskau mal eben ein EU- und Nato-Rückzug auf den Stand von 1997 wäre, mögen manche in Deutschland als „nicht mein Problem“ oder wahlweise „nicht mein Krieg“ missverstehen. In den baltischen Staaten, dem Balkan, wie auch in Polen und Tschechien haben die Mehrheiten das Signal sehr wohl gehört und eher keinen Bedarf an einer Wiederholung von russischer Einflusszone hier und Rechtsstaatlichkeit und Demokratie erneut nur westlich ihrer Grenzen da.

Der 7. November 2022: Fackel-Ideen, Putin-Fans und Reichsbürger

30.000 Teilnehmende sind es die „Querdenken“-Ableger „Bewegung Leipzig“ und „Bürgerbewegung Leipzig“ in den vergangenen zwei Jahren in Leipzig nie wieder gewesen, sie schafften es danach kaum noch einmal wie am 5. September 2022 die 2.000 wirklich zu überschreiten.

Für heute nun wollte neben der normalen „Montagsdemo“ eine Ableger-Gruppierung der „Bewegung“ eigentlich mit Fackeln über den Ring spazieren. Besonders perfide an der Idee, dass sich am 9. November 2022 die sogenannte „Reichskristallnacht“, das massive NS-Pogrom von 1938 gegen die jüdische Bevölkerung, jährt. In ganz Deutschland wurden dabei nicht nur Scheiben von Geschäften demoliert, auch die Synagogen brannten – wie jene an der Gottschedstraße, wo sich heute eine Gedenkstätte mit Stühlen zum Verweilen befindet.

Die extra für den Fackelzug extra angemeldete zweite Demonstration soll nun doch heute ab 19 Uhr ohne Fackeln in einem Abstand von 50 Metern hinter dem regulären „Querdenker“-Zug herlaufen. Ob die Fackeln wegbleiben sollen, weil es das Ordnungsamt beauflagt hat oder die Anmelder selbst darauf verzichten, ist unklar.

Umso klarer verbreitet man auf dem aufrufenden Kanal „Patriotische Stimme für Deutschland“ bei Telegram eine der Urmuttern der Verschwörungserzählungen, den angeblichen Fortbestand des Kaiserreichs von 1871 bis heute. Denn alle Probleme der heutigen Tage gingen auf die angeblich „fehlende Souveränität Deutschlands“ zurück.

So befinde sich „die BRD (…) in Geiselhaft der globalistischen Finanzmafia. Die Hoheitsrechte über unser Land befinden sich seit dem 2. Weltkrieg, bis heute, immer noch in Washington. Die BRD ist nicht Deutschland, sondern ein anektiertes Wirtschaftsgebiet der Amerikaner und steht bis heute immer noch unter alliierten Besatzungszustand.“

Für die Fackelfreunde ist „der Deutsche Kaiser (…) der einzige Mensch auf dieser Welt, der den Weltkrieg beenden kann. Die Deutschen haben ihn 1918 ins Exil gejagt, von dort müssen ihn die Deutschen jetzt zurückrufen. Der rechtmäßige Kaiser ist vorhanden und er ist bereit.“

Bei Licht betrachtet, sind diese letzten Kaisertreuen heutiger Tage damit nicht weit entfernt vom Revanchismus Wladimir Putins. Ginge es nach diesen Kräften in Europa, würden bald noch weit mehr Konflikte und Kriege beginnen.

Starten wird der ganze Mummenschanz samt Gegenprotest heute ab 19:00 Uhr am Augustusplatz und ab 19:15 Uhr soll es mal wieder über den Ring gehen. An diesem entlang sind erneut einige Gegendemonstrationen geplant, welche sich maßgeblich am Beginn am Paulinum – ebenfalls auf dem, Augustusplatz versammeln.

Übersicht Gegenprotest: LNP Kundgebung “Kein Fußbreit den Faschisten” am Augustusplatz, Paulinum, ab 18:30 Uhr. Kunstaktion Gottschedstraße Ecke Dittrichring, Netzwerk gegen Islamfeindlichkeit und Rassismus Leipzig e. V. 17:00 Uhr bis 19:30 Uhr. Pilgerweg zu Themen der Friedensdekade – ab 19:30 Uhr, Pfarrer i.R. Albrecht Häußler.

Die heutige Demonstrationskarte von „Leipzig nimmt Platz“

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Es gibt 3 Kommentare

Frau Eicker,

ich glaube eigentlich nicht, dass Sie farbenblind sind. Offensichtlich trägt die Gegendemo eher schwarze Kleidung und schwarze Masken und die Anderen eher bunte Straßenkleidung. So ist dass eben die Schwarz Uniformierten sind die Linken und die Bunten die Rechten. sehen Sie sich doch ihre selbst gemachten Bilder einfach nochmal an.

@gerd stefan Ich setze die Maske auch erst auf, wenn ich in einer Menschenmenge bin, also auch vor so einer Demo. Warum sollte das nichts mit Corona zu tun haben? Und dass die Teilnehmer der “Querdenker-Demo” allgemein als “böse” angesehen werden liegt nicht an den fehlenden Masken, sondern an den Teilnehmern. Einfach machen es sich nur Menschen wie sie, die fundierte Gründe anderer als einfach abtun.

Das sich mittlerweile verfestigte Symbol des sog. Gegenprotestes ist die Maske, wobei es dabei auch zwischen weißer und schwarzer Maske eine in Richtung Militanz gehende Abstufung gibt. Die schwarze Kleidung steht hier analog. Also, die die Maske bei der Demo tragen, welche dann aber meist auch erst kurz vor Demobeginn aufgezogen wird, ist zunehmend kein Mittel der Coronahygiene sondern ein mittlerweile offensichtliches politisches Erkennungszeichen. Und die die keine Maske tragen und bei der anderen Demo teilnehmen sind eben die Rechtsradikalen und Nazis. Wie einfach dass doch ist 2022 in Leipzig. Also mein Vorschlag: Maskenträger sind die Linken und die Nichtmaskengänger die Bösen. Offensichtlich korreliert auch der Impfstatus mit dem Maskentragen, womit sich natürlich die Kräfteverhältnisse langfristig sowieso verändern werden.

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