Die Wohnungsfrage betrifft alle, Fragen der Mietverhältnisse immerhin die meisten. Rund 54 % der Wohnungen in Deutschland sind Mietobjekt – wenn man Stadt und Land zusammen betrachtet. Bezogen auf Großstädte wie Leipzig und Halle sind es im Schnitt sogar gut drei Viertel des Wohnbestandes.
Wer in der Stadt eine Bleibe sucht, ist also besonders der jeweiligen Marktlage ausgeliefert. Unsicherheiten betreffen dabei aber nicht nur die, die gerade auf der Suche nach einem neuen Zuhause sind. Auch schon bestehende Mietverhältnisse können innerhalb weniger Wochen plötzlich ungewiss werden. Ein Bericht aus Halle.
Was heißt hier Entmietung?
„Entmietung“ hat sich als Oberbegriff für verschiedene Prozesse etabliert, mit denen sich Mieterinnen und Mieter plötzlich konfrontiert sehen können. Ein häufiges Muster: Das (oftmals alte und daher relativ günstige) Gebäude wird an einen neuen Eigentümer verkauft, der sich aus seiner Investition selbstverständlich einen Profit erwartet. Dazu will er die Wohnungen renovieren. Die Bewohner wollen aber nicht ausziehen.
Und wenn sich dann einfach kein rechtssicherer Kündigungsgrund auftreiben lässt, wird zu anderen Maßnahmen gegriffen. Die Kommunikation mit den Mietern wird abgebrochen, Baumaßnahmen ohne Vorwarnung begonnen oder für dringend notwendige Reparaturen ist niemand mehr zu erreichen; kurz: ein „softer Rausschmiss“ der Hausbewohner durch mindestens rücksichtslose Eingriffe in den privaten Rückzugsraum.
Der prominenteste Fall der letzten Jahre in Halle ist wohl das Eckhaus in der Großen Steinstraße 34, von seinen Bewohnern „Stein34“ genannt. Anders als viele andere Betroffene sind sie mit ihren Erfahrungen an die Öffentlichkeit gegangen, waren laut und haben protestiert.
Am Donnerstagabend fassten sie ihre Erfahrungen in einer Pressekonferenz mit anschließender Diskussionsrunde zusammen. Das inoffizielle Motto des Abends: Entmietung ist auch ein Gefühl. Diese Wahrnehmung – der psychische Stress, den der monate- oder jahrelange Kampf in und um den eigenen Wohnraum mit sich bringt – war immer wieder Bezugspunkt der Rednerinnen und Redner.
„Für uns war, als wir gehört haben, dass das Haus verkauft werden soll, schnell klar: Niemand kauft so eine Bruchbude, ohne zu planen, sie zu sanieren, und kein Vermieter saniert, ohne am Ende die Mieten zu erhöhen“ erklärt Lotte, eine (bald ehemalige) Bewohnerin der Stein34. Die angekündigten gesteigerten Mieten hätten sich die Bewohner sich nicht leisten können.
Die letzten Monate der „Stein34“
Der Eigentümerwechsel fand zum Jahresanfang 2022 statt. Vorher hatten die Bewohner des Hauses selbst versucht, das Gebäude für stolze 1,5 Mio. Euro zu kaufen. Doch der Vorbesitzer verkaufte an einen anderen Investor von der Firma iQ Invest. Dieser habe sich auch bald bei den Bewohnern erkundigt, ob sie denn im Haus wohnen bleiben wollten oder man sich anderweitig einigen könnte.
„Wir waren eigentlich immer auf dem Standpunkt, eigentlich wohnen bleiben zu wollen“, erzählt Lotte im Vorfeld der Pressekonferenz gegenüber LIZ. Doch dann sei der Kontakt abgebrochen worden – bis im März eine fristlose Kündigung im Briefkasten lag, Begründung: unerlaubte Untervermietung.
„Es war aber relativ schnell klar, dass das keine Substanz hatte“, erklärt Lotte weiter, „weil wir ja seit Jahren eine WG waren und einen entsprechenden Mietvertrag hatten“. Danach passierte ein paar Wochen nichts.
Plötzlich standen im April unvermittelt und unangekündigt Bauarbeiter im Haus. Lotte erinnert sich: „Einen Tag später haben die Bauarbeiter begonnen, die schon leerstehenden Wohnungen zu entkernen. Das war alles ziemlich laut. Und sie haben eben auch keine Schuttrutsche benutzt, sondern den Schutt aus allen Stockwerken ungesichert in den Lichthof geworfen.“
Der Fahrradschuppen sei ohne Vorwarnung abgerissen, die Fahrräder zusammen mit Schutt auf einen großen Haufen geschmissen worden. Ein Bewohner wäre beim Müll herausbringen beinahe von einer Latte getroffen worden. „Es war chaotisch, gefährlich, laut“, sagt Lotte.
Natürlich habe man versucht, mit Vermieter und Hausverwaltung in Kontakt zu kommen. Nur: Die nach dem Verkauf neu eingesetzte Hausverwaltung wollte von ihrer dazugewonnen Zuständigkeit gar nichts wissen – obwohl die Miete seit Monaten auf ihr Konto ging.
Einige Störungen konnten die Mieter mit einer einstweiligen Verfügung beseitigen, doch es kamen immer neue Probleme hinzu, von der herausgerissenen Klingelanlage über massive Verdreckung bis zu versperrten Keller- und Hofzugängen. Es sei so staubig gewesen, dass „man buchstäblich die Hand vor Augen nicht sehen konnte“, erzählt Lotte.
Schließlich konnten die Bewohner in einem zweiten Gerichtsverfahren einen Baustopp erzwingen – derartige Maßnahmen müssen nämlich drei Monate im Voraus angekündigt werden. Aber mittlerweile sind die Lagen im Haus sehr unterschiedlich.
Die verbliebenen Mietparteien seien in Verhandlungen, z. B. über ein Rückkehrrecht nach der Sanierung, aber Lottes wurde lange kein solches Angebot gemacht. Erst vor kurzem konnten sie sich mit dem Vermieter einigen. Über Details dürfen sie nicht öffentlich sprechen, jedoch scheint klar, dass sie ihr bisheriges Zuhause dennoch nur widerwillig verlassen.
Es ist kein Einzelfall
Die Geschichte der Großen Steinstraße 34 ist ohne Zweifel kein Einzelfall. Hört man sich in der Stadt um, gibt es ähnliche Vorkommnisse an allen Ecken.
Keine zehn Minuten Fußweg vom Eckhaus in der Steinstraße wohnte bis vor kurzem noch Paul. Das alte Haus, in dem er lange Zeit mit seiner WG wohnte, wurde von einer Leipziger Firma gekauft. Die neuen Eigentümer meldeten sich bei den verbliebenen Mietparteien an, um sie einmal kennenzulernen.
„‚Zufälligerweise‘ war beide Male ein Architekt mit dabei“, erzählt Paul am Telefon. Dieser habe die Wohnungen vermessen und Skizzen anfertigen wollen, die Eigentümer selbst fragten die Bewohner aus, wie lange sie noch dort wohnen zu bleiben gedachten.
Schon bei Bekanntwerden des Verkaufs hatte sich Pauls WG eine Rechtsschutzversicherung zugelegt – zu bekannt war das Muster und zu hoch das Risiko, bald zwecks Aufwertung aus der Wohnung geschmissen zu werden.
„Es war ganz interessant, sie haben da auch versucht, Strohfeuer zu legen und mal zu gucken, wie wir so reagieren“, erinnert sich Paul. Mit „Strohfeuern“ meint er zum Teil völlig aus der Luft gegriffene Aussagen, bspw. dass der Mietvertrag ja ohnehin Ende des Jahres auslaufen würde und ob sich die Bewohner schon nach neuen Bleiben umgesehen hätten – bei einem stinknormalen unbefristeten Mietvertrag eine völlig hanebüchene Frage.
„Im Nachhinein stellte sich dann heraus, dass sie unseren Mietvertrag gar nicht kannten. Später haben sie dann gefragt, ob wir den Mietvertrag nicht mal schicken könnten“, erzählt Paul weiter. „Wir haben ihnen natürlich geantwortet, dass das gar nicht in unserem Interesse liegt. Als Mieter haben wir da erst mal gar keine Auskunftspflicht.“ Der neue Eigentümer hätte bei derlei Anfragen einfach auf die Naivität der Mieter gebaut und diese so auch austesten wollen.
Aber als studentische WG ist es schwierig, Kämpfe um Immobilien zu führen. Denn die meisten Studenten und Auszubildenden sind zwar auf billigen Wohnraum angewiesen, gleichzeitig bleiben sie selten auf Dauer in den Wohnungen. Schlussendlich, nach einer Menge juristischen Hin-und-Her, haben sie sich dann für eine außergerichtliche Einigung mit Abfindung entschieden.
Dennoch bedauert Paul, dass mit der WG weiterer erschwinglicher Wohnraum verloren geht. Aber er zieht auch ein zufriedenes Fazit: „Das deutsche Wohnrecht steht in vielen Fällen auf der Seite der Mieter. Wenn man nicht ohnehin ausziehen will, sollte man das nutzen und sich zur Wehr setzen. Und dann hat man auch gute Chancen, nicht kampflos gehen zu müssen“, ist er sich sicher.
Einen weiteren Fall findet man jenseits der Berliner Brücke, in Halle-Ost. In der Reideburger Straße 5 steht ein altes Haus, daneben ein Garten, dahinter ein Gebäude, das früher Ateliers und Proberäume beherbergte. Bis vor einiger Zeit gehörte das Gelände einer Gruppe von Privatpersonen, die das Haus vermieteten. Dann wurde es an die Immobiliengesellschaft ISIHOME verkauft.
„Mit vielen im Haus war es davor schon wackelig. Manche hatten gerade Kinder gekriegt und sind dann auch schnell gegangen“, erzählt Lizzy, eine der verbleibenden Bewohnerinnen. Die Firma würde mittlerweile auf die Mieter nicht mehr reagieren, der eigentlich vorhandene Hausmeisterservice würde nicht bezahlt werden, notwendige Reparaturen bleiben aus.
„Man hält uns in der Schwebe“, sagt Lizzy, „Sie wollen uns ja auf jeden Fall raus haben, denn so Mietern drin kann das Haus nicht restauriert werden. Man weiß einfach immer nicht genau: Was kommt heute wieder.“ Es sei ein Gefühl der dauerhaften Unsicherheit. Was den Bewohnern geholfen hat, war die Vernetzung: Bei einer Demonstration der Bewohner der „Stein34“ im Sommer haben die Mieter der Reideburger Straße einen Redebeitrag vor dem Büro von ISIHOME gehalten. Das war an einem Samstag.
„Am Montag wurde auf unsere Beschwerden reagiert“, erzählt Lizzy nicht ohne Stolz. Aber natürlich können nicht alle Mieter, die Probleme mit Gebäudeeigentümern haben, jedes Mal erst einen Protestzug zusammentrommeln, um diese zu lösen.
David und Goliath?
Die Geschichten aus den verschiedenen Häusern zeigen: Mit diesen Prozessen sehen sich am ehesten die Mieter konfrontiert, die ohnehin in einer komplizierten Wohnsituation sind.
„Es sind ja meistens nicht die teuren Wohnungen, wo man glaubt, das kann man mit dem Mieter machen, sondern Altbauten oder Wohnblöcke, die nicht so gut saniert sind. Vermieter trauen sich sowas eben nicht in der Villensiedlung“, sagt dazu der Leipziger Mietrechtsanwalt Max Malkus, der auch die Bewohner der Großen Steinstraße 34 vertritt. Dort wohnende Milieus liefen daher eher Gefahr, entmietet zu werden.
Auf der anderen Seite haben Investoren in der Regel bereits viel Geld in die Hand genommen und sind daher eher bereit, einen langwierigen Rechtsstreit in Kauf zu nehmen. „Es ist einfach so, dass Vermieter ein Interesse daran haben, ihre Mieter herauszubekommen, bevor sie sanieren. Eine Sanierung mit Mietern im Haus ist schlicht viel teurer“, erklärt der Rechtsanwalt.
„Es gibt sehr redliche Vermieter, die dann mit Ausgleichswohnungen arbeiten, oder kooperative Prozesse. Aber eben auch diese Negativbeispiele, die dann in dem Moment für die Betroffenen krasse Erfahrungen sind.“
Dabei hätten Mieter oft gar nicht so schlechte Chancen, meint der Experte: „Das Wohnraummietrecht ist relativ strikt. Eine außerordentliche Kündigung ist nur in den seltensten Fällen gerechtfertigt.“ Oft würden Mieter aber auch solche Kündigungen schon deswegen akzeptieren, weil sie die Auseinandersetzung fürchteten, und zudem in ihrem privaten Wohnraum angegriffen seien.
Paradoxon Wohnraumverbesserung
Die Ankündigung von Sanierungen bringt Mieter in die widersprüchliche Situation, gegen Verbesserungen an ihren Wohnungen zu kämpfen – weil sie sich oftmals die höheren Preise nicht leisten können. Dabei ist es natürlich keine Lösung, auf alle Zeiten in verfallenden Häusern zu wohnen.
Lotte aus der „Stein34“ bezeichnete ihr Haus bei der abendlichen Pressekonferenz selbst als Bruchbude. Auch an den Häusern in der Reideburger Straße sind sichtlich Reparaturen notwendig, und das Heizen mit Kohleöfen hat sicher ebenfalls keine ewige Zukunft.
Anwalt Malkus dazu: „Modernisierungen sind ja notwendig. Und Kommunen freuen sich natürlich, wenn es einen Investor gibt, der da Geld in die Hand nimmt. Es darf aber eben nicht um jeden Preis sein.“ Es könne nicht sein, dass die Kommunen die Augen verschließen und es als privaten Rechtsstreit abtun, wenn solche – an sich wünschenswerten Maßnahmen – auf dem Rücken der aktuellen Mieter ausgetragen werden. „Städte müssen auf jeden Fall ein Konzept dafür haben, wie man mit Gentrifizierungsprozessen umgeht“, so der Mietrechtsexperte.
Was tun?
Bisher sind Mieterinnen und Mieter aber eher auf sich allein gestellt. Bei der Pressekonferenz erzählen die Bewohner der „Stein34“ von Problemen mit dem halleschen Ableger des Mieterbunds, der dringende Dokumente gar nicht erst weitergeleitet hätte. Ebenso habe man das Ordnungsamt über die widerrechtlichen Baumaßnahmen verständigt – ohne Erfolg.
Aber die Bewohner der „Stein34“ waren gut vernetzt, hatten das Wissen und die Ressourcen, ihr Problem in die Öffentlichkeit zu tragen. Das können nicht alle. Lukas Bärlauch, ein Unterstützer der Hausbewohner, macht bei Pressekonferenz deutlich: „Es zeigt sich ja genau daran: Lohnarbeit und das Mietverhältnis sind zwei Seiten des Problems.“
Eigentlich müsste man daher für eine Verringerung der Arbeitszeit bei gleichem Lohn kämpfen. Das mag etwas hochtrabend sein. Als etwas realistischeren Vorschlag bringt er das Konzept einer Mietergewerkschaft ins Spiel. Diese würde sich von Vereinen wie dem Mieterbund durch tatsächliche Mobilisierung ihrer Mitglieder unterscheiden.
Diese könnten füreinander auf die Straße gehen und proaktiv für mehr Mieterrechte eintreten. Ein Beispiel dafür gibt es in Schweden: Die dortige Mietergewerkschaft Hyresgastforeningen, die seit 1915 existiert. Nach eigenen Angaben verhandelt sie über die Mieten von etwa drei Mio. Mietern.
Ob das Konzept in Deutschland umsetzbar wäre, ist fraglich. Selbstorganisation stellt eine wesentliche Hürde dar. Klar ist dennoch, dass die Wohnungsfrage Land und Leute auch in der Zukunft beschäftigen wird. In den Großstädten wird die Versorgungslage mit Wohnraum nicht besser. Es wird sich zeigen, wie der kommende Winter und die aktuelle Krise die Lage verändern werden.
Die Vermieterfirma der Großen Steinstraße 34 war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.
Hinweis: Die Mieterinnen und Mieter, die im Artikel zu Wort kamen, haben um Anonymisierung gebeten. Daher werden sie hier nur unter fiktiven Vornamen genannt.
Keine Kommentare bisher