Gleich mehrere Zubringerdemonstrationen bewegen sich unter dem Motto „Jetzt reichts“ derzeit vor allem aus dem Osten, Westen und Süden Leipzigs Richtung Zentrum, Augustusplatz. Dort werden sich alle aus Protest gegen die sozialen Ungerechtigkeiten, die mit der Energiekrise nur noch offenkundiger werden, zusammenfinden. Getragen werden die Proteste unter anderem vom DGB, SDS und der Linkspartei. Gleichzeitig wird es in Kürze eine Demo der „Bewegung Leipzig“ auf dem Markt geben, eine Biker-Demo rollt von der Messe Richtung Simsonplatz und die Hertha BSC-Fans vergnügen sich entlang der Eisenbahnstraße.

Erste Impressionen von den „Jetzt reichts“-Zubringerdemos

Ein leichtes Stöhnen war schon seitens des Ordnungsamtes und der Versammlungsbehörde zu vernehmen, als sie im Vorfeld die Anzahl der Demonstrationen unter „Verkehrsmeldungen“ versandten. Viele einzelne Demonstrationen, doch früh zeichnet sich heute ab: keine wirklich größer, als erwartet, eher das Gegenteil.

Pro Zubringer waren 50 bis einige 100 Teilnehmer/-innen vorab gemeldet worden, nun schauen wir mal, wie viele Hundert es überhaupt ab 15 Uhr auf dem Augustusplatz werden.

Am Lindenauer Markt aus dem Westen der Stadt haben sich nur wenige Dutzend Menschen versammelt, die Zubringer-Demo des DGB ist ebenfalls unter 100 Teilnehmenden geblieben. Einzg auf der Eisenbahnstraße ist etwas mehr Bewegung als zu erwarten war. Allerdings auch eher dadurch, dass die Hertha BSC-Fans sich hier tummeln, während die Zubringer-Demo aus dem Osten wie alle anderen Demos auch mittlerweile den Innenstadtring erreicht hat.

Den einzigen Redebeitrag, den wir bislang einfangen konnten, hielt Tom Richter von Fridays for Future am Lindenauer Markt. Hier gab er die Ziele der heutigen „Jetzt reichts“-Demonstrationen wieder (Video folgt in Kürze). Im Anschluss meldete sich noch Michael Neuhaus (Stadtrat, Die Linke) zu Wort.

Eisenbahnstraße um 14 bis 14:30 Uhr

DGB-Zubringer ab Volkshaus auf der KarLi 14 bis 14:30 Uhr & Lindenauer Markt

15 Uhr: Eintreffen auf dem Augustusplatz

Die Teilnehmerzahl ist auf den Strecken offenbar gewachsen. Aus dem Osten sind rund 200 Menschen auf dem Augustusplatz eingetroffen, die Raddemo vom Lindenauer Markt meldete beim Start 50 Teilnehmende und der DGB hat ebenfalls rund 50 Teilnehmer/-innen mitgebracht. Dennoch dürfte so die „Jetzt reichts“-Demonstration bislang etwas hinter den eigenen Erwartungen zurückbleiben.

15 Uhr Simsonplatz: Die Klage wegen der Spritpreise

Auf dem Simsonplatz sind mittlerweile auch die Biker von ihrer „Schluss mit Lustig Biker-Demo Leipzig“-Tour ab der Messe eingetroffen und ein Redner beklagt, dass hier nicht „Hunderttausende stehen“. In der Tat sind es eher die angemeldeten 300 Teilnehmende, die ihm lauschen.

Die Klage ist hier nicht weit von der entfernt, die bei den linken Demos bei „Jetzt reichts“ allerdings mit „Wir frieren nicht für Eure Profite“ übersetzt und hier in Form hoher Spritpreise beklagt wird. Unterschiede gibt es also schon noch: hier stehen teure Motorräder vor dem Bundesverwaltungsgericht, während man sich auf dem Augustusplatz um das Existenzminimum sorgt. Weiteres Unterscheidungsmerkmal: ein aufgenähtes, eisernes Kreuz wird man wohl auf dem Augustusplatz auch nicht finden.

Entscheidend aber: alle Demonstrationen und Fanaufläufe gestalten sich friedlich. Mittlerweile ist auch die „Bewegung Leipzig“ Demonstration, welche noch einen Aufzug mit sich bringen soll, auf dem Leipziger Marktplatz gestartet.

Impressionen vom Augustusplatz ab 15 Uhr

Mittlerweile zählen wir 1.000 bis 1.200 Menschen auf dem Augustusplatz, die wegen der „Jetzt reichts“-Demonstrationen gekommen sind. Während die Redebeiträge unter anderem zur Vermietungspraxis von „Vonovia“ (welche mittlerweile auch in Leipzig zunehmend präsent wird) laufen, haben sich am Rand auch rund 10 Personen von der „Aufstehen“-Bewegung (einst rings um Sahra Wagenknecht  gegründet) versammelt.

Auf dem Marktplatz wehen unter anderem die Fahnen von „Der Basis“, die Kleinstpartei, welche sich aus dem „Querdenker“-Milieu gegründet hat und seither politisch eher ein Nischendasein fristet.

16:25 Uhr: Bewegung aller Orten

Während die „Jetzt reichts“ Demo mit etwa 1.200 Teilnehmenden gegen 16:15 Uhr auf dem Augustusplatz noch warten musste und mittlerweile losgelaufen ist, bewegt sich – dem Namen gemäß – die verschwörungspraktische „Bewegung Leipzig“ mit rund 70 Personen durch die Leipziger Innenstadt. Hier erläutert Bernd R. mal wieder Weltpolitik aus russischer Sicht und attestiert der USA gute Konjunkturzahlen, da diese nun ihr Fracking-Gas verkaufen könnten.

Hier möchte man demnach weiterhin mit dem auf dem Rückzug befindlichen Kriegsverbrecher Wlamimir Putin Geschäfte machen, während bei der linken Demo auf dem Augustusplatz die Debatten dahin gehen, dass auch das neue 200 Milliarden-Paket der Ampelregierung nicht bei den Ärmsten im Land ankommt, Mieten gedeckelt, Großvermieter verstaatlicht und zum Beispiel Leiharbeit auf drei Monate begrenzt werden muss.

Die Biker haben ihre Demonstration unterdessen beendet und Richtung Süden vom Simsonplatz aus die Stadt verlassen.

16:40 Uhr: Es gibt Unterschiede, große

Das vielleicht Interessanteste am heutigen Demotag ist der gravierende Unterschied zwischen einer linken Kritik, wie man sie bei der von DGB, SDS und Die Linke maßgeblich gestalteten „Jetzt reichts“-Demonstration erlebt und dem, was man erneut bei der „Bewegung Leipzig“ hören kann. Die Kritik ist bei beiden breit angelegt, doch auf der linken Demonstration konkret auf bestimmte Politikfelder wie Arbeit, Löhne, Mieten und generelle Lebensbedingungen gerichtet.

Hier werden andere, auch radikale Modelle vorgeschlagen, wie beispielsweise Wohnen wieder stärker zur Daseinsvorsorge zu machen, also private Bauherren zurückzudrängen und mehr sozialen Wohnungsbau nicht nur, wie Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) erst neulich, zu versprechen, sondern nun auch umzusetzen.

Oder eben Arbeitsbedingungen in der als „moderne Sklaverei“ bezeichneten Leiharbeit in Zeiten gravierender Personalmangelerscheinungen endlich wirksam einzuschränken und so entweder deutlich höhere Leiharbeitsvergütungen (siehe Frankreich) und eine schnellere Überführung in normale Anstellungsverhältnisse zu erreichen.

Die „Bewegung Leipzig“ adressiert hingegen stets an „die da Oben“ und im Hintergrund wabert eine Forderung, welche sich wohl eher an Moskau und die Führung der russischen Autokratie richtet: Frieden zu schließen und irgendwie wieder zum Status Quo von vor den russischen Annexionen und Annexionsversuchen wie derzeit im Donbass zurückzukehren.

Wird zudem bei „Jetzt reichts“ die Klimakrise durchaus mitgedacht, ist für die „Bewegung Leipzig“ also die Rückkehr zur nur scheinbar billigen, russischen und fossilen Ressourcen (und sicher bei einigen auch der Kohle) ebenso logisch, wie der Ruf nach Konsum.

In der Abwendung von dem westlichen Bündnis mit den USA fordern sie indirekt nur das, was die AfD-Ostverbände auf dem 2022er Bundesparteitag (erfolglos) versuchten zu propagieren: eine Abwendung vom Westen und eine Hinwendung zum sogenannten „Eurasischen Wirtschaftsraum“.

Die wenig demokratischen Zustände in China und Russland sind hier egal: Hauptsache Wohlstand und angeblicher Frieden – im Schulterschluss mit autoritären Staaten ohne freie Wahlen und Einparteien-Strukturen.

16:50 Robuster Pyroeinsatz

Nun kippt ein wenig die Stimmung, vermehrt haben Demo-Teilnehmer bei „Jetzt reichts“ zu Pyrotechnik gegriffen. Die Polizei droht mit Abbruch der Versammlung auf dem Ring. Hertha BSC Fans ziehen unterdessen auf der Jahnallee mit Rufen wie „Red Bull verrecke“ entlang zum Stadion.

17 Uhr: „Bislang alles friedlich“

Trotz der kurzzeitigen Intervention der Polizei nach dem Pyrotechnikeinsatz einiger Demoteilnehmer schätzt die Polizei die Lage noch als grundsätzlich friedlich ein. Polizeisprecher Olaf Hoppe kommentiert für die LZ kurz die Lage aus polizeilicher Sicht.

Dabei kann er sich natürlich auch auf einen sehr hohen Bestand an eingesetzten Beamten verlassen. Die linke Demonstration wird heute von einem Großaufgebot begleitet.

Die Demonstration, auf der nun auch die gesamte Aufmerksamkeit der LZ liegt, ist mittlerweile am Richard-Wagner-Platz angekommen, wo die Polizei einen erneuten Stopp des Aufzuges festlegt.

Unterdessen hat Reporter René Loch mit einem Klicker versucht, die Zahl der Demonstranten exakter zu bestimmen. Er geht von 1.450 Personen aus. Ob dies nun angesichts der durchaus krisenhaften Zeiten viel oder wenig ist, mag jeder für sich selbst festlegen.

Tatsache ist jedoch, dass es im Vorfeld aufgrund des linken Wunsches, sich auch gegen Grüne und SPD als Regierungsparteien in der “Ampel” abzugrenzen, zu keiner breiteren Mobilisierung in diesen Kreisen gekommen ist. Auf dem Ring erschallen nun Rufe wie “Brecht die Macht der Bonzen und Konzerne” und “A, A, Antikapitalista”.

Was an einen Umstand erinnert: innerhalb der Linken ist wohl die derzeit einzige kapitalismuskritische Strömung im Land zu finden. Maximal noch anzutreffen ist diese grundlegende Infragestellung in Kreisen der heute ebenfalls beteiligten “Fridays for Future”-Bewegung. Da eher in Form der Kritik an der Ideologie unendlichen Wachstums.

Kurzer Themenwechsel: Ermordete Frauen in Leipzig

Seit 15 Uhr findet eine erste Erinnerungsveranstaltung an eine von mehreren in Leipzig ermordeten Frauen statt. Bei der noch bis 20 Uhr laufenden Kundgebung „Gegen Feminizide – Erinnern heißt Kämpfen“ von der 2020 gegründeten Initiative „Keine mehr“ sind in der Kolonnadenstraße auf Höhe der Hausnummern 10 -14 Stände mit Informationen aufgebaut und es haben sich ca. 50 Menschen versammelt.

Worum es bei Femiziden geht und warum die Initiative „Keine mehr“ in Leipzig Erinnerungsorte für die ermordeten Frauen schaffen will, hat unser Reporter Jan Kaefer nachgefragt (Video).

Unterdessen auf dem Ring, Höhe Hauptbahnhof

Zur Einordnung: natürlich ist Pyrotechnik auf Demonstrationen untersagt. Es gibt eine gewisse Grauzone bei „kalter Pyro“, wie sie zunehmend angeboten wird. Dennoch haben es die Veranstalter der „Jetzt reichts“-Demo durchaus mit polizeilicher Toleranz zu tun, dass immer wieder Pyrotechnik im Demozug gezündet wird und die Polizei dies in einem gewissen Maß duldet, ohne den Demozug gleich zu stoppen.

Wie lange das gutgeht, hängt also allein von der Polizei und der Einsatzleitung ab.

18 Uhr: Et is noch immer jutgegange …

Die Demonstration ist nun wieder auf dem Augustusplatz eingetroffen und wurde soeben durch Marco Böhme (Linke, MdL) offiziell beendet. Dabei gab er bekannt, dass weitere „Jetzt reichts“-Aktionen geplant seien, darunter nicht nur Demonstrationen.

Unterdessen streifen Beamte der Polizei offenkundig Demoteilnehmern hinterher. Unklar ist aktuell, ob sie versuchen, Personalien von Leuten festzustellen, die Pyrotechnik gezündet haben oder ob dafür andere Gründe vorliegen. Vier Beamte sind so beispielsweise abfließenden Demoteilnehmern hinterher, welche sich Richtung Grimmaische Straße entfernten.

Zwischenzeitlich ist auch der Youtuber „Weichreite“ alias Sebastian W. scheinbar von der „Bewegung Leipzig“-Demo kommend, auf dem Augustusplatz aufgetaucht, um offenbar mal wieder live zu filmen und ins Netz zu übertragen. Zuletzt wurde der Aktivismus des seit 2020 zur „Querdenker“-Szene gezählten Hobbyfilmers seinen eigenen Leuten zum Verhängnis.

In der vergangenen Woche nutzte die Polizei nach der LZ vorliegenden Chatnachrichten Ausschnitte aus seinen Streams vor Gericht zur Beweislage gegen „Querdenker“. Von der LZ wird den jungen Mann hingegen Anfang der kommenden Woche eine kostenpflichtige Abmahnung wegen der Benutzung eines durch uns erstellten Videos auf seinem Youtube-Kanal erreichen. Wie gesagt: Et is noch immer jutgegange … allerdings nicht für alle.

Im Nachgang an das Demoende sollen Polizeibeamte tatsächlich weiteren Teilnehmer/-innen nachstellen, um die Personalien zu erfahren. Gründe können auch zurückliegende Demos und Aktionen sein, nach welchen die Beamten nach bestimmten Personen Ausschau halten.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Michael Freitag über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar