Seit dem Wahlkampf zur Bundestagswahl 2021 ist es ruhig geworden, in den großen Parteien, um Julian Assange. Annalena Baerbock, die sich im Wahlkampf noch für Julian Assange einsetzte, wird als Außenministerin nicht für ihn aktiv wird und Claudia Roth vertraut plötzlich auf die US-amerikanische Justiz.

Um das zu verstehen, schaue ich mal in die deutsche Gesetzgebung zum Thema Whistleblower und Journalismus. Was wäre Julian Assange ohne Chelsea Manning? Wäre Edward Snowden durch die deutsche Gesetzgebung geschützt?

Hinweisgeber oder Whistleblower

Mit großem Tamtam wurde ein Whistleblower-Schutz-Gesetz angekündigt und wie so oft kreißte der Berg und gebar eine Maus. Der Gesetzentwurf (Regierungsentwurf) heißt „Gesetz für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen – Hinweisgeberschutzgesetz“ und der Begriff Whistleblowing taucht nur einmal, nicht einmal im Gesetz, sondern in der Begründung, unter Absatz A – Problem und Ziel, auf.

„Für Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber bleibt allerdings angesichts der unscharfen Kriterien für ein zulässiges ‚Whistleblowing‘ ein erhebliches Risiko, wenn sie einen Rechtsverstoß an externe Stellen melden.“

Whistleblowing und Meldung an externe Stellen, da ist schon einmal nicht der Whistleblower gemeint. Dieser ist ja einer der: „Die für die Öffentlichkeit wichtige Informationen aus einem geheimen oder geschützten Zusammenhang veröffentlicht.“

Inhalt des Hinweisgeber-Schutz-Gesetzes

Ich habe mir den Gesetzentwurf durchgelesen und zu meinem Erstaunen festgestellt, dass dieser sich zwar in epischer Länge und Detailtiefe, aber nicht im Grundsatz von der zur Compliance-Richtlinie gehörenden Richtlinie „Sprich es an“ des Konzerns, in dem ich beschäftigt war und an deren Erarbeitung ich als Mitglied des Gesamtbetriebsrates beteiligt war, unterscheidet.

Der Fokus liegt auf der Einrichtung von Meldestellen, der Definition von Meldewegen und in diesem Zusammenhang dem Schutz von Hinweisgebern.

Das ist alles gut und schön, was hat es aber mit dem Whistleblower zu tun?

Was wäre, wenn?

Schauen wir uns also an, ob Chelsea Manning und Edward Snowden, im Falle sie wären deutsche Staatsbürger und unterlägen somit der deutschen Rechtsprechung, durch diese Richtlinie geschützt wären.

Zu Julian Assange, der kein Whistleblower ist, komme ich am Schluss.

Ausnahmen im Gesetz – so wichtig

Nach langen Begriffsbestimmungen und ähnlichem kommen in § 5 „Vorrang von Sicherheitsinteressen sowie Verschwiegenheits- und Geheimhaltungspflichten“ die Einschränkungen für den Hinweisgeberschutz:
Es gibt viele Ausnahmen, exemplarisch für meine Betrachtungen sind die in § 5 (1) 1–2 genannten Bereiche.

Das sind „… die nationale Sicherheit oder wesentliche Sicherheitsinteressen des Staates, insbesondere militärische oder sonstige sicherheitsempfindliche Belange des Geschäftsbereiches des Bundesministeriums der Verteidigung … betreffen“ und „Informationen von Nachrichtendiensten oder von Behörden oder sonstigen öffentlichen Stellen des Bundes, soweit sie Aufgaben im Sinne des§ 100 Nummer 3 des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes wahrnehmen …“

Kurz gesagt, alles was Edward Snowden und Chelsea Manning getan haben.

Der Stempel „Geheim“

In § 5 (2) 1 wird dann auch noch eingeschränkt, wenn ihr entgegenstehen: „eine Geheimhaltungs- oder Vertraulichkeitspflicht zum materiellen oder organisatorischen Schutz von Verschlusssachen“, es sei denn, man meldet es intern.

Hier sollte man nicht vergessen, dass die Ministerien und Behörden zu großen Teilen selbständig, um nicht zu sagen selbstherrlich, die Einstufung von Dokumenten und Informationen in die verschiedenen Geheimhaltungsstufen vornehmen.

Offenlegung von Informationen

Damit komme ich zum eigentlichen Whistleblower, wir erinnern uns: Dieser veröffentlicht geheime Informationen.

Bezeichnenderweise steht das ganz hinten im Gesetzentwurf. Es nennt sich im § 32 „Offenlegen von Informationen“ und ist an Bedingungen geknüpft. Nur unter diesen Bedingungen fallen wirkliche Whistleblower unter den Schutz des Gesetzes.

Die Bedingungen sind in § 32 (1) 1–2 benannt und besagen, dass zunächst eine Meldung an eine externe Meldestelle gemacht werden muss (1) 1.

Interessant ist hier der Punkt 2. weshalb ich ihn im Volltext zitiere.

2. hinreichenden Grund zu der Annahme hatten, dass
a) der Verstoß wegen eines Notfalls, der Gefahr irreversibler Schäden oder vergleichbarer Umstände eine unmittelbare oder offenkundige Gefährdung des öffentlichen Interesses darstellen kann,
b) im Fall einer externen Meldung Repressalien zu befürchten sind oder
c) Beweismittel unterdrückt oder vernichtet werden könnten, Absprachen zwischen der zuständigen externen Meldestelle und dem Urheber des Verstoßes bestehen könnten oder aufgrund sonstiger besonderer Umstände die Aussichten gering sind, dass die externe Meldestelle wirksame Folgemaßnahmen nach § 29 einleiten wird.

Hier wäre meines Erachtens nach 2.c der einzige wirkliche Grund für eine Offenlegung unter dem Schutz des Hinweisgeberschutzgesetzes, für Manning und Snowden. Allerdings nur der letzte Teil: „(dass) aufgrund sonstiger besonderer Umstände die Aussichten gering sind, dass die externe Meldestelle wirksame Folgemaßnahmen nach § 29 einleiten wird“.

Allerdings mit der Einschränkung, „Es muss ein hinreichender Grund zur Annahme bestehen“, was den Whistleblower in die Beweisnot bringt.

Die externe Meldung, also an die Meldestelle eines Staatsorgans, ist zu vernachlässigen. Der Inhalt der geleakten Dokumente ist ja bei den vorgesetzten Stellen meist bekannt.

Was fehlt im Gesetz?

Was der Gesetzentwurf, meines Erachtens, nicht regelt, ist das Kopieren von Dokumenten und Dateien zur Beweissicherung durch den Whistleblower. In § 3 – Begriffsbestimmungen – Abs. 3 (Informationen) und 4 (Meldungen) ist dazu nichts ausgeführt.

Das bedeutet, dass zwar die Offenlegung einer Information über Verstöße unter den Schutz des Gesetzes fallen mag, die Veröffentlichung der Details zu den Verstößen in Form von Dokumenten oder Dateien, gemäß entsprechender Gesetze, weiter strafbewehrt bleiben kann.

Zusammenfassend komme ich zu der Ansicht, dass das Hinweisgeberschutzgesetz tatsächlich den Hinweisgeber schützt – nicht aber den Whistleblower. Ich gehe sogar so weit zu sagen, es verhindert bürokratisch das Whistleblowing.

Ich verweise hier auch auf die Stellungnahme des Whistleblower Netzwerk e. V. zum Gesetzentwurf. Auch der BDZV (Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger) bezeichnet den Whistleblowerschutz im Gesetz als unzureichend.

Was ist nun mit Julian Assange, dem Journalisten?

Er fiele, als Presseverleger, jedenfalls nicht unter den Schutz dieses Gesetzes, für ihn gälte letztendlich der Vorwurf der Beihilfe, laut Strafgesetzbuch § 353 b „Verletzung des Dienstgeheimnisses und einer besonderen Geheimhaltungspflicht“ besonders Abs. 3a. Dieser Absatz wurde 2010, zur Stärkung der Pressefreiheit, geändert.
(3a) „Beihilfehandlungen einer in § 53 Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 der Strafprozessordnung genannten Person sind nicht rechtswidrig, wenn sie sich auf die Entgegennahme, Auswertung oder Veröffentlichung des Geheimnisses oder des Gegenstandes oder der Nachricht, zu deren Geheimhaltung eine besondere Verpflichtung besteht, beschränken.“

Somit hätte sich Julian Assange, als Presseverleger, nach deutschem Recht wohl nicht vordergründig strafbar gemacht.

Allerdings gibt es auch hier Bestrebungen, der Presse einen Maulkorb anzulegen. Erinnert sei an die causa „Maaßen vs. Netzpolitik.org“ (2015), als der damalige Chef des Verfassungsschutzes eine Ermittlung wegen Landesverrat (StGB § 94) gegen die Journalisten einleiten wollte. Wichtig hierbei war die Klassifizierung der geleakten Dokumente als Staatsgeheimnis (StGB § 93).

Das wird kein Einzelfall bleiben, Landesverrat, Geheimnisverrat oder Spionage eignen sich für Unterstellungen gegen Journalisten auch in Deutschland.

Würde Assange als Presseverleger eingestuft werden?

Es ist nicht klar, ob nach deutschem Recht für Julian Assange und Wikileaks das Presserecht gälte. Zumindest wenn der Maßstab aus dem „Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz)“, speziell § 87f Begriffsbestimmungen angelegt wird.

Nach diesem Paragrafen ließe sich ableiten, dass Julian Assange kein Presseverleger und Wikileaks kein Presseerzeugnis ist. Es heißt dort schließlich: „Presseveröffentlichung ist eine hauptsächlich aus Schriftwerken journalistischer Art …“ Journalistische Art bedeutet eine journalistische oder redaktionelle Bearbeitung der Daten, nicht die unkommentierte Veröffentlichung von Rohdaten.

Die US-Justiz stützt sich auch auf die Argumentation, dass Julian Assange kein Journalist wäre.

Es ist also nicht sicher, ob ein deutscher Julian Assange eine Strafverfolgung zu befürchten hätte.

Fazit

Aufgrund dieser aktuellen und geplanten Gesetzeslage verwundert mich die Zurückhaltung deutscher Politiker und Politikerinnen in der causa Julian Assange nicht. Was mich verwundert, ist die Ruhe in den Medien, deren Freiheit durch den Fall Assange beschnitten werden kann.

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