In Leipzig beteiligten sich zuletzt wieder mehr Personen an rechten Demonstrationen. Am vergangenen Montag kam es dabei zu einem schweren Angriff auf Antifaschist/-innen. Auch in anderen Teilen Sachsens gehen montags Tausende auf die Straße. Die Leipziger Zeitung (LZ) hat mit dem Soziologen und Stadtforscher Paul Zschocke, unter anderem bei der Dokumentationsplattform „chronike.LE“ aktiv, über das Problem gesprochen.

In einer lokalen Tageszeitung war kürzlich zu lesen, dass am 19. September in Leipzig eine „nicht-linke Demonstration“ über den Ring lief. Was für Leute demonstrieren dort deiner Einschätzung nach?

Die Demonstrationen werden von extrem rechten Akteuren dominiert. Dort waren Neonazis und Hooligan-Gruppen auf der Straße, um die Konfrontation mit dem politischen Gegner zu suchen. Dementsprechend erinnert mich die Szenerie sehr stark an die Legida-Demonstrationen, die 2015 und 2016 auch montags stattgefunden haben. Sowohl militante Rechte fühlen sich davon angezogen als auch Menschen, die offensichtlich rechten Weltbildern anhängen, das aber von sich selbst nicht behaupten würden.

Es gibt also personelle Kontinuitäten?

Wir sehen dieses Setting seit Jahren: Angefangen mit den Migrationsbewegungen ab 2015, über die Integration der Geflüchteten und die Coronakrise, bis hin zur Ukraine- beziehungsweise Energiekrise. Dabei tauchen immer wieder ähnliche Akteure auf. Man könnte sie als rechte Bewegungsunternehmer bezeichnen. Diese wissen sehr genau, wie sie die Menschen zu solchen Protesten mobilisieren, und benutzen einfache Feindbilder. In der Regel sind das die Bundesrepublik und deren Repräsentant/-innen. Jahrelang war Angela Merkel die Hassfigur. Jetzt sehen wir, dass sich das relativ einfach auf andere Politiker/-innen übertragen lässt.

Wie viele Menschen demonstrieren aktuell in Sachsen?

Wir sind weit von einem Volksaufstand entfernt, allerdings ist die Zahl der Demonstrierenden in Sachsen verhältnismäßig hoch. Die Polizei sprach zuletzt von etwa 20.000 bis 25.000 Teilnehmenden. Dazu gibt es größere Protestveranstaltungen wie in Plauen, wo etwa 5.000 Menschen zusammengekommen sind. Insgesamt knüpft das nahezu ungebrochen an die Mobilisierung gegen die Corona-Schutzmaßnahmen an. Größtenteils ist das eine ähnliche Protestklientel.

Inwiefern spielt Corona als Thema aktuell noch eine Rolle?

Das LZ Titelblatt vom Monat September 2022. VÖ. 30.09.2022. Foto: LZ

Bei den Protesten, die ich vor Ort oder auf Videos gesehen habe, sieht man schon noch Schilder gegen die Impfpflicht oder Verharmlosungen der Gefahren, die von Corona ausgehen. Bei den Reden auf der Kundgebung der „Freien Sachsen“ am 5. September hatte ich das Gefühl, dass das Thema überhaupt keine Rolle mehr spielt.

Es geht den Leuten, die die Proteste organisieren, eher um eine Metaerzählung, die sie um die verschiedenen Krisen herum aufbauen. Dabei spielen beispielsweise das „Compact“-Magazin von Jürgen Elsässer oder die „Sezession“ von Götz Kubitschek eine Rolle. Von den Auswirkungen der aktuellen Krise sind die Menschen stärker individuell betroffen – das macht die aktuellen Proteste anschlussfähiger als beispielsweise die Proteste im Zuge der sogenannten Migrationskrise.

Manche machen Sören Pellmann und die Demonstration der Linkspartei am 5. September mitverantwortlich dafür, dass die Zahl der Teilnehmer/-innen an rechten Protesten in Leipzig zuletzt gestiegen ist. Wie siehst du das?

Diese Veranstaltung hat ein Möglichkeitsfenster für rechte Akteure geöffnet, um zusammenzukommen und einen aus ihrer Sicht nachvollziehbaren Versuch zu starten, hier eine Querfront aufzubauen: Linke und Rechte gemeinsam gegen die Regierung. Das ist aber nicht passiert. Es gab von den Linken eine starke Abgrenzung.

Nichtsdestotrotz sind dort allerhand einflussreiche Akteure der extremen Rechten zusammengekommen. Das war ein breites Spektrum von Leuten, die sich nicht immer ganz grün sind, die aber an den Mythos glauben, Leipzig zu einer „Frontstadt“ zu erklären. Sie wollen den Eindruck vermitteln, dass die Rechten die Straßen dominieren. Ich glaube, dass auch deshalb die Demonstrationen in Leipzig gerade so groß sind. Zentrale Akteure reisen offenbar gezielt zu diesen Protesten an.

Wir führen dieses Gespräch wenige Stunden vor einem Treffen, zu dem „Leipzig nimmt Platz“ aufgerufen hat, um Strategien gegen die rechten Demos zu diskutieren. Was wäre deine Empfehlung?

Es braucht eine doppelte Strategie. Zum einen braucht es Blockaden, um extreme Rechte in die Schranken zu weisen. Meiner Meinung nach ist das ein legitimes Instrument einer demokratischen Auseinandersetzung, das in Leipzig seit Jahren einen breiten Konsens in der Zivilgesellschaft hat. Zum anderen sollte die politische Linke die Proteste nicht den Rechten überlassen. Das ist auch eine Lehre aus der Coronakrise.

„Wir sind weit von einem Volksaufstand entfernt“ erschien erstmals am 30. September 2022 in der aktuellen Printausgabe der Leipziger Zeitung (LZ). Unsere Nummer 106 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.

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