Man hat’s gerade nicht leicht als deutscher Nazi. Noch vor ein paar Jahren lief man mit Sturmhaube im NPD-Demozug und zählte es außerdem zur Jobbeschreibung, Flüchtlingsunterkünfte anzustecken, Migranten durch Innenstädte zu hetzen, Obdachlose halbtot zu prügeln oder in Connewitz einzufallen, um Linke einzuschüchtern und Buchläden zu demolieren.
Das war Action! Da durfte ein Mann noch Mann sein! Nur mit dem Führer hapert es bei Nazis auch damals schon.
Tut’s der Björn? Oder braucht’s zu Beginn des sensibleren 21. Jahrhunderts eine gewisse intellektuelle Patina für die Rolle? Die eher der Guru vom sachsen-anhaltinischen Dreiseitenhof mitbrächte. Der siezt immerhin seine Frau und züchtet Ziegen. Das sind medial gut zu gebrauchende Exzentriken.
Als Redner ist der Hofbesitzer nicht ganz so begabt. Aber Übung macht den Meister. Und der ganz große Rhetoriker ist Konkurrent Björn auch nicht. Aber die Gattin des Hofbesitzers kümmert sich medial mütterlich vor Buchhandlungshintergrund um den Kadernachwuchs. Noch ein Posipoint mehr für den Guru.
Und, Freunde, mal ehrlich, wen will man(n) denn als Nazi am Tag X lieber neben sich auf der Barrikade wissen? Einen Lehrer oder einen Reserveoffizier? Selbst für Rassisten zählt Eigenschutz auf der Barrikade was. Lehrer taugen für den Bundestag.
Am Tag X ist man auf den Epochenschanzen mit dem Ex-Bundeswehroffizier besser dran. Der weiß nämlich noch, wie man eine Panzerfaust bedient und einen Pistolenschuss abfeuert. Aber später, wenn’s dann um die Verhandlungen in Brüssel über Migrantenkontingente und die EU Milliarden ginge, die es braucht um das 4. Reich zu errichten, macht sich der Lehrer dann vielleicht doch besser?
Scheiß Dilemma.
Die Führerfrage weiter ungeklärt. Und dann erst diese ideologische Verwirrung aktuell!
Seit sich Querdenker optimistisch zu einer Volksfront der Gekränkten zuerst mit Reichsbürgern und dann mit AfDlern zusammentaten, darfst du jetzt als Nazi gemeinsam mit Globulifanatikern demonstrieren gehen und läufst Gefahr dir während des Demozugs Vorträge über Gewaltfreie Kommunikation anhören zu müssen?!
Uropa hat an der Ostfront noch auf Russen geschossen und hat sich vor Stalingrad mangels Nahrungsalternativen noch in den Kameraden verbeißen müssen, aber jetzt sollst du Putin-Fan sein und ukrainische Nationalisten hassen, die für die Freiheit ihres Landes kämpfen?
Neulich in Leipzig beim Demozug trugen Menschen vor dem Naziblock ein Plakat auf dem „Schwerter zu Pflugscharen!“ stand und ein paar von Esokonfettiwerfern riefen nach dem (halb)obligatorischen Globulieinnahmeritual sogar zu Friedensgebeten in der Nikolaikirche auf?!
Das ist für Nazis schon ziemlich unzumutbar. Bei aller ideologischer Flexibilität, die der lange Marsch an die Epochenschanzen und zum Tag X erforderlich macht, muss man(n) sich doch bald mal klarmachen, dass Kompromisse wie Krüge sind, gehen sie einmal zu oft zum Brunnen, brechen sie. Und was dann?
Dann stehste als Nazi vor dem Trümmerhaufen deiner Überzeugungen, weißt nicht mehr weiter und beneidest heimlich deine Cousins im reaktionären Geiste, die Islamisten, die sich für solche geistigen Verrenkungen zu fein sind, trotzig auf ihrem Schariafandom beharren und Marktplätze lieber für Enthauptungen und Kreuzigungen nutzen als zu Spontandiskursen über Gewaltfreie Kommunikation nach Marshal B. Rosenberg.
„Haltungsnote: Traditionspflege Zwei Punkt Null“ erschien erstmals am 28. Oktober 2022 in der aktuellen Printausgabe der Leipziger Zeitung (LZ). Unsere Nummer 107 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.
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