„Meine Freundin Stina hat mir einen Link zu dem Onlinekongress geschickt, an dem sie teilnimmt. Wollen wir da mal reinsehen?“, sagt die geliebte Geliebte. „Nee.“ „Er heißt Männlichkeit 2.0.“ „Ich bin mir meiner Privilegien bewusst und ich mag die. Ich will mir kein schlechtes Gewissen darüber einreden lassen. Zumal von Menschen, die ich sowieso nicht kenne.“
„Aber S. kennst du doch! Und Boris von Heesen ist auch dabei!“ „S. ist deine Freundin! Ich kenne nur zwei Boris’, einer ist gerade in London aus Number Ten geflogen und der andere war ein kirgisischer Drogendealer. Die nehmen nicht an Onlinekongressen über neue Männlichkeit teil.“
„Männlichkeit 2.0 heißt der Kongress. Das macht gerade keinen Spaß mit dir!“, antwortet die geliebte Geliebte gekränkt und geht ins Nachbarzimmer.
Ich tippe weiter an meinem Romantext und frage mich, ob wir vor einem Streit stehen. Etwas später kommt sie zurück und stellt demonstrativ ihr Tablet auf den Tisch.
Ich versuche, es zu ignorieren. Aber sie weiß ganz genau, dass gegen meine Neugier kein Kraut gewachsen ist. Also schaue ich doch auf den Screen. Dort sind zwei Männer zu sehen, die eine Art Zoomcall halten. Beide ganz gut ausgeleuchtet und einer von denen hat einen Manbun. Nicht mein Ding. Hippes, denke ich. Die Geliebte schaltet den Ton lauter. Ich kann gar nicht anders als zuzuhören.
„Das ist Boris von Heesen. Er redet über die Kosten des Patriarchats“, erklärt die Geliebte. „Hat er die in Bier oder Stadionticketpreisen errechnet? Und ist da die Inflation schon drin?“, versuche ich mich an einem Witz. Aber ich höre dabei eben doch zu und vergesse schließlich den Romantext für eine Weile. „Männer zahlen ja auch mehr Steuern ein als Frauen“, sagt Markus, der Typ mit dem Manbun.
Er hat recht. Statistisch gesehen zahlen Männer tatsächlich mehr ins Steuersäckel ein. Was allerdings nicht daran liegt, dass sie grundsätzlich fleißiger wären, sondern damit zu tun hat, dass sie weniger in Teilzeitjobs arbeiten und die lukrativen Posten in Staat und Wirtschaft von ihnen dominiert werden. Falls man z. B. Carework angemessen bezahlen würde in diesem Land, wären Frauen diejenigen, die den höheren Anteil zum Steueraufkommen beitragen.
„Was sind denn die Bereiche, in denen Männer die höchsten Kosten verursachen?“, fragt Markus. Boris von Heesen erklärt, dass die Kosten fürs Patriarchat vor allem im Bereich der Sucht lägen. Zwar sind Frauen bei Medikamentenabhängigkeit oder ernährungsbezogenen Süchten besser dabei. Aber alle anderen Süchte werden von Männern dominiert und je heftiger die Sucht, desto größer wird der Anteil der Männer.
58 % der Raucher sind Männer. Aber bei Alkoholikern liegt der Männeranteil bei 73 % und was illegale Drogen betrifft, da sind 80 % der User männlich. Ganz besonders hoch ist ihr Anteil bei Glücksspielsucht, denn dort dominieren sie die Statistiken mit knapp 88 %. Für diese Bereiche laufen sehr hohe Kosten auf, um die 40 Milliarden Euro pro Jahr, mit all den direkten und indirekten Kosten.
Hm, denke ich, in den Knästen liegen Männer auch vorn. Denn 95 % der Insassen in deutschen Knästen sind männlich.
„Wer ist dieser Boris noch mal?“, frage ich die Geliebte.
„Ökonom und Männerberater.“
„Männerberater?“
„Ja, der setzt sich zum Beispiel für Männerschutzräume ein. Und dafür, dass das Stigma um missbrauchte Männer aufgelöst wird.“
Da hat er viel Arbeit vor sich, denke ich, und höre gerade noch, dass die gesellschaftlichen Mehrkosten, die Männer verursachen, um die 63 Milliarden Euro pro Jahr liegen. Wow, denke ich und frage mich, wie es kommt, dass von Heesen der Erste ist, der den Kostendeckel von Patriarchat und toxischer Männlichkeit zusammengezählt hat.
„Nehmen wir zum Beispiel den deutschen Verkehrssicherheitsrat“, sagt von Heesen gerade. „Der wird gemeinsam vom Bund und Unfallkassen finanziert. Er ist für die Erhöhung der Sicherheit auf den Straßen zuständig. Im 42-köpfigen Führungsgremium sitzen gerade einmal vier Frauen. Da frage ich mich schon, warum die ganzen Männer nicht aktiv und regelmäßig auf das extreme Verhalten von Männern im Straßenverkehr aufmerksam machen. Das ist dringend notwendig und würde Leben retten.“
„Und?“, fragt die Geliebte. „Scht! Ich will das hören!“, antworte ich und denke: 63 fucking Milliarden Mehrkosten, nur weil Kerle unbedingt weiter an ihren Rollenstereotypen – immer stark zu sein, sich stets durchzusetzen, Gefühle zu verdrängen – festhalten. Dennoch ist das nicht so einfach mit der Änderung der Männerwelt.
Das Patriarchat schlägt leise zurück und hält zäh an seinen Privilegien fest. Sophie Passmann hat ihren Twitteraccount neulich ja auch deaktiviert. Zufall? Bestimmt nicht. Die Geliebte bereitet Ofengemüse vor. Ich mache mir ein Bier auf und denke an Schnitzel, während ich Ofengemüse esse.
„Haltungsnote: Fifty Shades of Männlichkeit“ erschien erstmals am 30. September 2022 in der aktuellen Printausgabe der Leipziger Zeitung (LZ). Unsere Nummer 106 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.
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