Wenn sich Michael Stürzenberger irgendwo in der Republik zu Wort meldet, wissen die wenigen, die seinem Ruf folgen, stets, was sie zu erwarten haben. Der selbsternannte „Brückenbauer“ aus Unterfranken gilt als Extremist, wenn es um den Islam geht. Wobei er gelernt hat, seine Aufstachelungen mittels wörtlicher Auslegung des Koran und Terroraufzählungen gegen eine weltweit weitgehend friedlich gelebte Religion in den Claim des „politischen Islam“ zu verpacken. So auch am 22. Oktober ab 13 Uhr auf dem Leipziger Marktplatz.
Über den Hintergrund Stürzenbergers ist so viel berichtet, dass es der Anmerkungen vorab genug ist, auch Siegfried Däbritz (PEGIDA) ist am Samstag, 22. Oktober, in Leipzig beim Schauspiel des mehrfach wegen seiner Hetze vorbestraften Straßenpredigers anwesend zu sehen.
Wer dabei die aufgerissenen Augen, das frenetische Auf- und Ablaufen und die weit ausholenden Bewegungen des Mannes, der selbst behauptet, daran erkenne man Fanatismus, über einige Zeit hinweg aufmerksam beobachtete, konnte den Eindruck gewinnen, in eine Art durchradikalisierten Gottesdienst einer evangelikalen Kirchgemeinde geraten zu sein.
Allerdings ohne den glückseligen Jubel und Hosianna. Dafür mit einer Aggressivität, die den, nach eigener Aussage, am 11. September 2001 „erwachten“ Stürzenberger ausmacht.
Dass das frühere CSU-Mitglied entgegen seiner Maskerade mit dem „politischen Islam“ ein generelles Problem mit Muslimen hat, ist lange bekannt. Mittlerweile umgeht er jedoch soweit irgend möglich solche Forderungen, wie er sie noch in seiner politischen Anfangsphase bei der Partei „Die Freiheit“ in den Jahren 2012/13 auf der antiislamischen Hetzseite „Politically Incorrect“ (später PI-News) formulierte.
Hier forderte er noch ganz pur religionsfeindlich, „dass Muslime, die ihrem Glauben nicht abschwörten, zur Ausreise gezwungen werden müssten“. (TAZ)
Einen Prediger unterbricht man nicht
Immer wieder schreit Michael Stürzenberger in einer endlosen Flut von lauten Worten und dem einen oder anderen „Gott sei Dank“ angesichts einer langsam aber stetig anschwellenden Menge von Antifaschist/-innen und sichtbar mutmaßlich aus anderen Ländern stammenden Menschen, man solle ihn ausreden lassen. Um dann beispielsweise einem jungen Mann aus Afghanistan erst gönnerhaft das Mikrofon zu überlassen und ihn schon beim ersten, stichhaltigen Argument umgehend selbst zu unterbrechen.
Es gehört zum Stil seiner Auftritte, andere die Stichworte liefern zu lassen, um dann wahlweise zu loben, wie angepasst sich „der Moslem“ hier gab oder umgehend Beweise zu erheben, dass hier ein aufmüpfiger Demokratiefeind vor ihm stehen würde.
Nur hat ihn der seit vier Jahren in Leipzig lebende Afghane ausgerechnet darauf hingewiesen, dass die religiösen Fanatiker der Taliban von den USA militärisch ausgestattet worden seien und Stürzenberger wohl nicht so viel von Afghanistan verstehe.
Was für Stürzenberger keine Hürde darstellt: das war ja wegen der Russen. Interessant am Bruch mit seiner eigenen Darstellung in den gesamt rund vier Stunden Spektakel: für ihn selbst geht es irgendwie rückwirkend dann doch klar, politisch mit religiösen Fanatikern und Islamisten zusammenzuarbeiten, als es noch gegen den Kommunismus ging.
Sonst natürlich nicht, da geißelt Stürzenberger eher die wortwörtliche Koran-Auslegung muslimischer Fundamentalisten – indem er ihn selbst wortwörtlich auslegt. Oder aus einer brutalen Beziehungstat wird ein politischer Terroranschlag.
Der Balken im Auge
Das Buch, einst als letzter großer Leitfaden der drei großen „Buchreligionen“ verfasst, ist für den Bayern im Laufe der Jahre zur Zweitbibel geworden, wenn es darum geht, aus dem 7. Jahrhundert heraus dem Islam Frauen- und Homosexuellenfeindlichkeit, Mordlust und sonstiges Verbrechertum anzulasten. So findet der Christ hier, was er im Hauptwerk seiner Religion scheinbar überliest: auch da wird in den Zeiten der Vor-Aufklärung mit harten Strafen (Gottes) gedroht, wenn Mann und Mann beieinanderliegen. Und der Frau ganz selbstverständlich die Rolle der Pflegenden im Hintergrund zugewiesen – sie, die aus der Rippe des Mannes entstand, angeblich beim Abendmahl nicht zugegen war und die Vertreibung aus dem Paradies zu verantworten hat.
Genau genommen ist auch dieser Umstand für Michael Stürzenberger egal. Für ihn führt sein Kampf von Leipzig so oder so immer wieder zurück auf den Islam (in hoher Erregung auch mal ohne das „politische“ davor) als Wurzel allen Übels auf der Welt. Selbst bei dem Zuruf aus dem Gegenprotest, den „Holocaust haben die Deutschen auch ganz allein geschafft“, findet der Brückenbauer ganz schnell den Weg zurück zum Thema.
Denn natürlich war da für Stürzenberger auch der Islam in Form eines deutsch-türkischen Friedensvertrages von 1941 dabei und damit pro industriellem Massenmord. Spätestens an dieser Stelle schaut der Abgrund dann in Stürzenberger zurück.
Für den Dauerredner selbst reicht es an dieser Stelle nur noch zu einem Aufstöhnen, einem Griff an die Stirn zum international anerkannten Idiotenzeichen und der Fassungslosigkeit, dass er hier auch nach vier Stunden Anti-Islam-Rede mit leichten Einsprengseln von Fremdenfeindlichkeit (bei faulen, unangepassten Muslimen aka „Asylanten“!) bei den für ihn Unwissenden einfach nicht durchdringt.
Was sicherlich damit zu tun hat, dass Stürzenberger immer und immer wieder mit zugespitzten Halb-Wahrheiten aufkreuzt. So sei der Islam die „einzige Religion, wo Politik und Religion miteinander verwoben sind“. Da fragt man sich angesichts dieser „reinen Lehre“ Stürzenbergerscher Ausprägung dann schon, warum es auch in Deutschland Parteien wie die Christlich Demokratische Union (CDU) gibt, der Staat die Kirchensteuern eintreibt und Regierungschefs im Protestantenkernland Sachsen in der Katholischen Kirche sind.
Vom Aufstieg der Kirchen als stete Machtzentren der Politik in Europa ganz zu schweigen. Sollten Länder mit vorrangig muslimischer Glaubensrichtung nach einem Staat mit mustergültiger Trennung von Religion und Politik suchen, wäre Deutschland wohl kaum ein Vorbild.
Am Ende das Ergebnis
Rund vier Stunden gehen die Tiraden Stürzenbergers, ab und an unterbrochen von Redebeiträgen seiner mitgebrachten Entourage (ua. Irfan Peci dabei) und Einwürfen vom Gegenprotest. Immer wieder sehen sich muslimische Leipziger/-innen genötigt zwischen den Reden zu erklären, dass sie hier friedlich leben würden, versuchen ihr Missfallen über die holzschnittartigen Einlassungen zum Ausdruck zu bringen.
Um ganz im Stil eines jeden Fanatismus von Stürzenberger abgewürgt, gemaßregelt oder bewusst falsch verstanden zu werden. Denn Gnadenlosigkeit scheint für ihn, für den die Kreuzzüge nach eigener Auskunft einfach zu spät kamen, vor jeder Toleranz gegenüber dem Islam zu kommen.
Eine Grundstimmung, so gereizt wie ein gemeinsam erlebter Morgen nach einer langen Partynacht ohne Kaffee, bei kalter Bude und dröhnender Marschmusik im ganzen Haus; das ist, wonach Stürzenberger sucht und er wird fündig. Für manche im Publikum ist das Dauerstakkato statt echter Debatte fast unaushaltbar.
Schreie, Zwischenrufe, Protest flankieren anschwellend den Auftritt des vom bayrischen Verfassungsschutz beobachteten Reisepredigers und dann reißen die Nerven.
Ein Ei fliegt über die längst gebildete Polizeikette hinweg zu Boden, der oder die Werfer/-in trifft sein Ziel wohl nicht ganz und flieht. Daraufhin weiteres Getümmel, Nachstellungen unter anderem von Michael Stürzenberger selbst bis auf die Grimmaische Straße, am Ende Schubsen und Schlägerei unter den Augen der Polizei unter Beteiligung beider Seiten.
Kurz darauf, weiteres Gerangel vor Ort, Fahnen werden niedergerissen, Stürzenberger verlangt Festnahmen und gerät selbst mit den Einsatzbeamten aneinander (siehe Video).
Schaut man auf die teils sichtlich vor den Kopf gestoßenen Migranten im Publikum, einige leicht Verletzte und den tiefen Spalt, den Stürzenberger an diesem späten Nachmittag in der Messestadt hinterließ, fragt man sich wohl zurecht, wann er eigentlich inmitten all des mitgebrachten Hasses seine Brücke bauen wollte.
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