Seit Monaten sorgen Berichte über sexualisierte Übergriffe und Belästigungen in der Linkspartei für Aufsehen. In den sozialen Medien thematisiert unter dem Hashtag „LinkeMeToo“ vor allem die Linksjugend das Problem. Carla Büttner ist Mitglied der Leipziger Linksjugend und war im Juni auf dem Bundesparteitag, wo das Thema ebenfalls zur Sprache kam. Im Interview mit der Leipziger Zeitung (LZ) redet sie über schleppende Aufarbeitung, die Situation in Sachsen und anderthalb hoffnungsvolle Tage auf dem Parteitag.
Du gehörst zu den Erstunterzeichner/-innen eines Offenen Briefes mit dem Titel „Aktion für eine feministische Linke“. Darin heißt es, dass die Berichterstattung über Sexismus-Vorfälle in der Linkspartei schockierend, aber nicht überraschend gewesen sei. War das auch dein ganz persönliches Empfinden?
Auf jeden Fall. In dem „Spiegel“-Artikel kamen ja auch Betroffene selbst zu Wort, weshalb in den Parteistrukturen schon vorher bekannt war, dass es einen Text geben wird. Dass es sexistische Vorfälle in der Linken und speziell in Hessen und in der Bundestagsfraktion gegeben hat, war auch schon mehreren Leuten bekannt. Das hat sich herumgesprochen.
Wusste man, wer genau die Personen sind, gegen die sich diese Vorwürfe richten?
Über Hessen wusste ich nichts Konkretes; da kenne ich mich nicht so gut aus. Auf der Bundesebene gibt es bestimmte Personen, zu denen man als junger Mensch den Hinweis erhält: Da gehst du lieber nicht hin.
Was war aus deiner Sicht ausschlaggebend dafür, dass diese internen Vorwürfe teilweise an die Öffentlichkeit gedrungen sind?
Meines Wissens hatten Journalisten zu dem Thema recherchiert, Betroffene gesucht und eben auch die Linksjugend angefragt. Entgegen Gerüchten ist aber nicht die Linksjugend auf die Presse zugegangen.
Wie ist die Linksjugend mit den Gerüchten umgegangen, die sich in der Partei verbreitet haben?
Wir haben die Informationen gesammelt und viele Gespräche mit Betroffenen geführt. Es war wichtig, vor allem auf deren Wünsche einzugehen. Außerdem haben wir ein Awareness-Team gegründet.
Gab es auch schon Forderungen an die Beschuldigten?
In unserem Offenen Brief haben wir auch Forderungen formuliert. Alle beteiligten Personen, Täter und Mitwissende sollen von ihren Ämtern und Funktionen zurücktreten. Außerdem soll es eine lückenlose Aufklärung geben, Awarenessstrukturen sollen etabliert werden und die Betroffenen sollen finanziell unterstützt werden.
Für die Vorfälle in der Linkspartei hat sich schnell das Hashtag „LinkeMeToo“ etabliert. Was genau ist – aus deiner Perspektive – damit eigentlich gemeint?
Das umfasst einen ziemlich weiten Bereich von sexistischen Äußerungen bis zu Vergewaltigungen. Es ist auch wichtig, das zu unterscheiden: Eine Person, die sich sexistisch äußert, kann man läutern, aber Vergewaltiger haben in der Partei nichts zu suchen.
Gab es schon Konsequenzen für Täter?
In Rheinland-Pfalz ist die Landesvorsitzende Melanie Wery-Sims unter anderem wegen des Umgangs mit „LinkeMeToo“ in der Partei ausgetreten, woraufhin ein Kreisvorsitzender weiterhin sexistische Äußerungen getätigt hat. Gegen ihn läuft nun ein Ausschlussverfahren und er wurde suspendiert. Es gibt also Konsequenzen, aber es passiert sehr schleppend und nicht in allen Fällen.
Warum geht es so schleppend voran?
Das liegt an Männern, die die Partei seit Jahren dominieren, miteinander verstrickt sind und zusammenhalten. So etwas gibt es in der normalen Gesellschaft, aber auch in der Linken, und das ändert sich nicht von heute auf morgen. Es profitieren immer noch Leute davon, dass sich nichts ändert.
Aber gibt es zumindest etwas Bewegung?
Ja. Auf dem Bundesparteitag gab es zum Beispiel ein FLINTA-Plenum, bei dem einigen wohl zum ersten Mal klarwurde, wie weit Sexismus in der Partei verbreitet ist. Es ist auch gut, dass so ein Plenum überhaupt mal stattfand. Auf der Bundesebene gibt es mittlerweile ein Awareness-Team. Ich glaube, es geht in kleinen Schritten voran.
Muss man unterscheiden zwischen Personen, die von den Vorfällen wissen und diese dulden oder gar fördern, und Personen, denen das Ausmaß innerhalb der Linkspartei überhaupt nicht bewusst ist?
Auf jeden Fall. Die zweite Gruppe ist gar kein geringer Teil der Partei. Deshalb ist es so wichtig, in Kreisverbänden darüber aufzuklären, dass das keine Medienkampagne ist, wie es manchmal heißt, und auch nicht nur junge Menschen betrifft. Es gibt auch ältere Genossinnen, die schon seit 20 Jahren bestimmte Personen kennen, die sich immer wieder sexistisch äußern. Auf dem Bundesparteitag haben wir auf der Bühne Aussagen von Betroffenen vorgelesen. Danach haben uns mehrere Mitglieder gesagt, dass sie erst dadurch erkannt hätten, wie gravierend die Fälle teilweise sind.
Auf der anderen Seite gab es nach der Wahl der Vorsitzenden einige Wortmeldungen von Betroffenen, die daraufhin ausgebuht wurden.
Das war eine komische Situation, weil sich einige sehr über die Wiederwahl von Janine Wissler gefreut haben und andere sich deshalb schlecht fühlten. Die Buhrufe kamen eher von einzelnen Personen. Eine davon musste sich ja später noch auf der Bühne dafür entschuldigen. Ich hatte das Gefühl, dass die Linksjugend und die Betroffenen an den ersten anderthalb Tagen relativ ernst genommen wurden; später haben dann einige „LinkeMeToo“ am Mikrofon als „Hexenjagd“ bezeichnet. Das hat mich schockiert.
Glaubst du, dass „LinkeMeToo“ für die Wahlentscheidungen auf dem Parteitag eine wichtige Rolle gespielt hat?
Ich glaube, dass dieses Thema die Wahlen nicht stark beeinflusst hat. In den Kandidaturen wurde es auch höchstens mal in einem Satz erwähnt. Es hatte vielleicht in dem Sinne einen Einfluss, dass manche Janine Wissler gerade wegen dieser Vorwürfe gewählt haben – um sie gegen die Kritik zu bestärken.
Mit welchen Hoffnungen bist du an den Parteitag herangegangen?
Ich hatte die Hoffnung, dass wir und die Betroffenen ernst genommen werden. An den ersten anderthalb Tagen ist das passiert. Ich würde sagen, die Hoffnung hat sich also halb erfüllt.
Nach dem Parteitag ist zum Beispiel Sarah Dubiel, ein Mitglied des Bundesvorstandes der Linksjugend, aus der Partei ausgetreten. Hast du auch schon mal über solche Konsequenzen nachgedacht?
Noch nicht. Wenn ich austreten würde, dann nicht nur wegen „LinkeMeToo“. Da gibt es noch viele andere Faktoren. Aber sollte es keine Aufarbeitung geben, würde das zeigen, in welchem Zustand sich diese Partei befindet. Das wäre nicht die linke, feministische Partei, in der ich sein möchte.
Bist du selbst auch von „LinkeMeToo“ betroffen?
Nein, bin ich nicht. Irgendwelche dummen Kommentare bekommt man schon mal, aber ich bin nicht akut betroffen.
Was für Kommentare sind das? Alltagssexismus?
Ja, genau.
Sind dir Vorfälle in Leipzig bekannt?
Ich habe mal beim Awareness-Team der Linksjugend auf Bundesebene nachgefragt. In Sachsen gibt es zehn Fälle; davon vier in Leipzig. Es gibt aber auch Ansprechpersonen auf kommunaler und Landesebene – deshalb weiß ich nicht, wie aussagekräftig dieses Zahlen sind. Auch weiß ich nicht, inwiefern da schon Konsequenzen gefolgt sind.
Gibt es in Leipzig konkrete Personen, die intern als problematisch bekannt sind?
Nee, das ist mir nicht bekannt. Ich glaube, wir haben in Leipzig und Sachsen einen ganz guten Umgang damit. Hier würde so etwas schon problematisiert werden. Aber vielleicht ist es auch ein bisschen naiv, das anzunehmen.
An wen könnte man sich wenden, wenn man betroffen ist?
In Leipzig gibt es zwei Vertrauens- beziehungsweise Ombudspersonen, an die man sich wenden kann, wenn man innerhalb der Partei von sexualisierter Gewalt, Mobbing oder Beleidigungen betroffen ist. Auf Landesebene haben wir im November 2021 eine Richtlinie für einen antisexistischen Konsens beschlossen und damit auch Sanktionen innerhalb der Partei ermöglicht; außerdem haben wir eine ehrenamtliche Vertrauensperson. Auf Bundesebene gibt es seit Ende letzten Jahres auch eine Vertrauensgruppe.
Gab es von der Parteispitze in Leipzig mal ein Angebot oder einen Vorschlag Richtung Linksjugend, über das Thema „LinkeMeToo“ zu reden?
Es gibt Stadtbezirksverbände, die Leute von der Linksjugend zu diesem Thema einladen. Aber große Gesprächsrunden gab es noch nicht. Ab und zu redet man untereinander darüber.
Wie erklärst du dir eigentlich, dass es ein „LinkeMeToo“ gibt, aber kein „SPDMeToo“, „GrüneMeToo“ oder „FDPMeToo“?
Diese Probleme gibt es in der gesamten Gesellschaft, in der Linken und in jeder anderen Partei. Ich kann mir vorstellen, dass es da die gleichen oder ähnliche Probleme gibt, diese aber einfach noch nicht nach außen getreten sind. Meines Wissens gibt es bei den Grünen aber auch Awarenessstrukturen.
Bist du optimistisch, dass in der Linkspartei eine konsequente Aufarbeitung stattfinden wird?
Ich glaube, dass man noch sehr viel Druck machen muss, damit etwas passiert. Die Frage ist ja auch, was konsequente Aufarbeitung bedeutet. Parteiausschlussverfahren sind sehr schwierig; das hat nur in ganz wenigen Fällen Erfolg. Es wird sehr viel Zeit benötigen, die Strukturen aufzubrechen. Falls es gelingt, habe ich wieder Glauben an die Partei, aber falls es nicht gelingt, ist die Partei am Ende.
„Es profitieren immer noch Leute davon, dass sich nichts ändert“ erschien erstmals am 26. August 2022 in der aktuellen Printausgabe der Leipziger Zeitung (LZ). Unsere Nummer 105 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.
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