Der Stadtrat von Schneeberg, in Sachsen, hat sich in trauter Gemeinschaft von Linken, CDU, SPD, Grünen und AfD mit einem Brandbrief an Bundeswirtschaftsminister Habeck gewandt, in dem man ein Ende der Russlandsanktionen forderte, um so höhere Gaslieferungen von Putin zu erbetteln. Einige Zeit zuvor hatten sachsen-anhaltinische Handwerker bereits ähnliches getan. Handwerker sind keine Politiker. Aber Stadträte sind es. Was den Bettelbrief der Schneeberger Stadtväter nur umso ärgerlicher macht.
Abgesehen von der politischen Kurzsichtigkeit des Anliegens löste der Brief einen Spontandiskurs in der Linkspartei aus. Deren Bundesvertreter waren überrascht davon, dass dort die Namen ihrer Genossen gemeinsam mit denen der sächsischen CDU und AfD auftauchten. Das Wagenknecht-Lager wird’s gefreut haben. Das ist schließlich für die Pflege altlinker Denkfolklore bekannt, zu der eine gewisse Russlandhörigkeit so unausweichlich gehört wie eine Fiedel zu einer Irish Folkband.
Andere Genossen, darunter der Leipziger Sören Pellmann, forderten angesichts eines bevorstehenden Winters der Knappheit und des zu erwartenden (tiefen) sozialen Missvergnügens schon vor einiger Zeit neue Montagsdemos. Pellmann zählte bis vor kurzem ebenfalls zur Wagenknecht-Clique. Noch zum Parteitag in Erfurt im Juni versuchte diese, Passagen im Leitantrag durchzusetzen, denen zufolge man keine Solidaritätsbekundungen mit der Ukraine abgeben sollte – die immerhin einen Verteidigungskrieg gegen einen imperialistischen Aggressor führt. Von Karl Marx über Rosa Luxemburg und Garcia Lorca bis hin zu George Orwell rotieren angesichts solch historischer Dummheit einige linke Ikonen zweifellos in ihren Gräbern.
Doch in historischer Ignoranz und Doppeldenk hat die aktuelle Linke in Deutschland gerade gute Form. Ich bin bei den Originalmontagsdemos (hier bitte Copyrightzeichen mitdenken) mitgelaufen und vor der Stasi weggerannt. Es gab Helden, die sind nicht gerannt – ich bin es und steh dazu.
Seit Pegida und Legida und alle übrigen IDAS das Prinzip Montagsdemo in feinster Abstimmung mit Reichsbürgern, AfD-Brüllhonks und Dünnsuppenesoterikern kopierten, um sich damit sehr bewusst in eine Tradition des Kampfes für bürgerliche Freiheitsrechte zu stellen versuchten, ist das Prinzip Montagsdemo jedoch verbrannt. Die Querfrontscheibe lauert nur darauf, sich an eine linke Protestbewegung anwanzen zu können. Montagsdemos am Dienstag oder Freitag wären vielleicht eine Lösung, wenn auch eine sehr kurzfristige. Zumal man auch schon die letzten treuen PDS-Traditionshansel ums Fähnlein beim Sören P. vor sich stehen sieht. Was eher lächerlich als überzeugend wirken dürfte.
Dabei ist aktuell kaum etwas nötiger als eine Umverteilungsdebatte mit Augenmaß, bei der endlich auch mal diejenigen berücksichtigt werden, die schon lange nicht mehr wählen gehen, weil ewig schon keine Partei mehr die Bedürfnisse der ganz unteren Einkommen energisch vertritt.
Die Linke schon gar nicht. Die zerlegt sich gerade in erbärmlichen Flügelkämpfen, gegenseitigem öffentlichen Egoshooting und erschreckend mies gehandhabten sexuellen Missbrauchsvorwürfen selbst. Obwohl man vermuten darf, dass sich im Rosa-Luxemburg-Haus einige heimlich die Hände reiben, weil sie sich eine Gelbwestenbewegung auch in Deutschland erhoffen, auf die frau/man dann aufspringen könnte, um als Volkstribun/-in die Umfragewerte verbessern zu können. Nur was nützt das Hoffen auf Demos, wenn man den Laden intern trotzdem nicht im Reinen mit sich und den Weltläufen hat? Nix. Ein Trauerspiel.
„Haltungsnote: Vorwärts und nie vergessen …“ erschien erstmals am 26. August 2022 in der aktuellen Printausgabe der Leipziger Zeitung (LZ). Unsere Nummer 105 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.
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Handlungsreisender in Sachen Trost & Grauen
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Was soll das? Ist mit dem Abkanzeln und Framen des Protests und der LINKEN das zugrundeliegende Problem beseitigt? Zu kurz gesprungen!