Es ist nun genau eine Woche her, als es für die „Querdenker“-getriebene Neuformierung um Anmelderin Annette H. am 1. August 2022 das erste Mal wieder nach Monaten auf dem Ring kein Weiterkommen mehr gab. Die geschätzt 88 Teilnehmenden der aus „freien Linken“, Überbleibseln von Volker Beisers „Bürgerbewegung Leipzig“ und einem ehemaligen „Bewegung Leipzig / Querdenken“-Anmelder bestehenden Ringläufer sahen sich einer dreifachen Straßenblockade gegenüber, welche die Polizei nicht beräumen konnte. Heute geht es in Runde 2, der „Platznehmen“-Bus steht seit 19 Uhr wieder auf dem Augustusplatz.
Zwar hat dieses Mal die Leipziger Initiative „Leipzig nimmt Platz“ nicht ganz so vehement für ihren Gegenprotest geworben, aber vor einer Woche konnte sie immerhin so viele Gegendemonstranten aufbieten, dass es den relativ mager besetzten Polizeikräften nicht gelang, die Straße freizuräumen, auf welche sie sich in 3er Reihe gesetzt hatten.
Das wiederum hatte sich das Ordnungsamt vor Ort so gewünscht und war lange Zeit bis etwa 21 Uhr nicht davon abzubringen, hier eine weitgehend sinnfreie Aktion durch die Einsatzkräfte exekutieren zu lassen.
Am Ende gab es für die „Friedensmarschierer“, welche im Kern für die Aufgabe der Ukraine im Krieg gegen Russland plädieren, also statt einer Umleitung über die Ratsfreischulstraße oder andere vorhandene Ausweichrouten eine Umkehr und den Rückweg Richtung Augustusplatz. Selbst da kamen sie am vergangenen Montag nicht mehr an und verstreuten sich auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz.
Hinzu kam, dass mit Marco Rietzschel (SPD) jemand nicht ganz unbekanntes über mindestens bis 15 Minuten hinweg versuchte, eine Spontanversammlung anzumelden, was das Ordnungsamt einfach negierte. Dieser offenbare Bruch mit dem Versammlungsrecht durch die Versammlungsbehörde der Stadt Leipzig wird nach der Sommerpause Thema im Ratssaal werden, Rietzschel hat dazu bereits am Tag nach der letztwöchigen Demo eine Bürgeranfrage gestellt.
Hierin spricht er von „Rechtsbeugung“, an welche die Nichtzulassung seiner Versammlungsanzeige via Megaphone grenze.
The same procedere on 8th August?
Aktuell ist die LZ vor Ort und beobachtet die ersten Geschehnisse. Erneut stehen sich auf dem Augustusplatz die fast gleichen Demonstranten gegenüber, „Platznehmen“ hat erneut nach einem Gastspiel der Band „SOKO LiNX“ vergangene Woche dieses Mal einen DJ eingeladen und unterdessen hat sich der quergedachte Demozug mit einem Frontbanner „Nordstream 2 öffnen“ auf den Ringweg gemacht und die Höhe Oper erreicht.
Es wird zu beobachten sein, ob es erneut zu Blockaden kommt.
19:25 Uhr: Erste Impressionen Augustusplatz & Teilstrecke
19:40 Uhr: Bislang keine Störungen – außer für den Journalismus
Eigentlich weiß die eingesetzte Polizei dann doch ziemlich genau, mit wem sie es da bei den friedliebenden Demonstranten zu tun hat. Und dass einige unter ihnen die Pressefreiheit ebenso wenig schätzen, wie andere Meinungen, führt dann heute mal wieder dazu, dass ein LZ-Kollege einen freundlichen Hinweis erhält. „Durchlaufen tun sie nicht nochmal!“, so ein Polizist in seine Richtung.
Es dĂĽrfe auf keinen Fall zu Auseinandersetzungen kommen, der Nachtrag. Was letztlich klarmacht, was der Beamte da vermutet, da wir davon ausgehen, dass er unseren Mitarbeitern keine Gewaltbereitschaft unterstellt.
Unterdessen ist der Demozug, welcher journalistisch möglichst wenig belästigt werden darf, ohne Störungen oder eine Gegendemo auf der Straße auf dem Ring entlang an der Ratsfreischulstraße angelangt.
19:50 Uhr: Des Menschen Glaube ist …
… sein eigentliches Himmelreich. Die Demonstrierenden sind überzeugt, dass sie die Welt einfach besser verstanden haben, als alle anderen: Politiker, Journalisten, Klimaexperten, Diplomaten, Unternehmer, Fachleute halt – alle gekauft oder Kriegstreiber in ihren Augen.
Wie schon bei den Pandemieprotesten, an welchen sich einige auch heute wieder Demonstrierenden beteiligten, haben sie eine andere Weltsicht, die interessanterweise die Guten eher in Russland und aktuell auch beim China-USA-Konflikt eher auf chinesischer Seite sieht.
Auch heute gibt es interessanterweise wieder eine Forderung, die der deutschen Regierung die Schuld an den aktuellen wirtschaftlichen Problemen am Energiemarkt zuschiebt und klar pro-russisch ist. Und geprägt von Angst um den eigenen Wohlstand.
Dass sich damit eine Bewegung mit Unterstützung „freier Linker“ schließlich für den Kapitalismus und die Wirtschaft einzusetzen glaubt, ist sicherlich ebenso verwirrend inkonsequent, wie der Ruf, der antifaschistische Gegenprotest würde „mit Pharma Hand in Hand“ laufen. Auch die Bezüge zu den 89er Montagsdemos, welche ein Demonstrant in unsere Kamera hält (siehe Video), sind letztlich haarsträubend und werden nicht grundlos von Leipziger Bürgerrechtler/-innen dieser Zeit vehement abgelehnt.
Man leimt sich in dieser quergedachten Welt einfach aus allen Ecken das zusammen, was scheinbar moralisch aufbauend ist und dabei gar nicht zusammenpassen muss. Ein explizit auf die Veränderung einer autokratisch ausgerichteten DDR und später die Wiedervereinigung bejahender Protest der 89er-Bewegung passt so gar nicht neben die immer wieder montags gezeigte Liebe zu einer russischen Autokratie unter Putin inklusive seinen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf die Ukraine.
20:15 Uhr: Reibungsloser Ablauf
Unterdessen ist der Demozug am Hauptbahnhof Leipzig vorbei wieder in der Goethestraße angelangt und bewegt sich auf den Start- und Endpunkt Augustusplatz zu. Die Polizei sorgt heute nach ersten LZ-Informationen mit einer Kesselung von Menschen des Gegenprotestes in der Innenstadt für einen reibungslosen Ablauf für jene, die auch gern der Meinung sind, ihre Meinung nicht mehr frei sagen zu dürfen – und es ständig tun.
Mal sehen, ob es am Ende wieder den seit Pegida/Legida altbekannten Song „1-2-3, Danke Polizei“ gibt. Oder ob auch diese Ablehnung, nachdem die Polizei bei den Pandemieprotesten in manchen Städten dann doch Demoverbote durchsetzen musste, beibehalten wird.
Narrative: Wer ist der Kriegstreiber?
Interessant wäre die (realistisch) rund 150 Menschen starke „Querdenker“-Demo sicherlich, wenn sie an Wladimir Putin appellieren würde, die Kriegshandlungen einzustellen. Müsste eigentlich auch irgendwie den „Freien Linken“, die sonst sicherlich jeden Krieg um Blut und Boden oder aus imperialen Gründen ablehnen würden, begreiflich sein.
Doch die Logik in der konsequent quergedachten Welt ist anders.
Der Aggressor ist und bleibt – auch in dem offenbar hier als eine Art „Vorwärtsverteidigung“ wahrgenommenen Angriff Russlands auf die Ukraine, die Separierung des Donbass zuvor und die wieder „Heim ins russische Reich“-Holung der Krim – stets „der Westen“, die eigene Regierung und überhaupt alle „da oben“ (abzüglich Väterchen Putin).
So ist auch zu erklären, warum beispielsweise das Banner „Heimische Wirtschaft schützen“ nicht auf Russisch geschrieben steht. Der Adressat ist hier nicht der Angreifer, sondern der, der gemeinsam mit der EU, den USA und weiteren (kapitalistischen) Ländern mit Sanktionen auf die Angriffe reagiert.
Denn Putin wurde ja zum Angriff gezwungen, weil … (und hier folgen so viele Verschwörungserzählungen, beginnend beim Maidan und endend bei der Reptiloidenregierung jüdischer Prägung, dass jeder Demonstrierende sicher eine eigene hat).
Auch hier bleibt Verwirrung: Man kann also als vorgeblich Linke die kapitalistische Heimatwirtschaft retten wollen und gleichzeitig einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieger umarmen. Wer das nicht versteht, hat offenbar zu wenig in den Telegramkanälen dieser Bewegung zugebracht.
Die Demo ist mittlerweile wieder am Augustusplatz angekommen, wo sich die Gegendemonstranten auf den Ankunftsplatz gesetzt haben. Annette H. hat den heutigen Mummenschanz offiziell beendet und ein rechter YouTuber, der regelmäßig die Rechtsextremen auf der Demo nicht findet, bei der er ständig mitläuft, hat wieder live gestreamt – fĂĽr den Frieden versteht sich. Ein Demoteilnehmer mit „Mir reicht’s BĂĽrger“ spielt optisch auf seine offenbare ReichsbĂĽrgergesinnung an und fragt in die Runde „Wo sind denn hier die Nazis“.
Montags in Leipzig. Oben ist unten und umgekehrt. Es folgen noch ein paar Videosequenzen und dann klappen auch wir dieses Kapitel Weltgeschichte in Leipzig zu. Es ist friedlich geblieben, soweit wir vor Ort feststellen konnten und auch die ebenso friedlichen Blockaden der Vorwoche blieben dieses Mal aus.
Nachtrag 21:15 Uhr: Nach weiterem Herumfragen vor Ort unter den Gegendemonstranten: Den Polizeikessel gab es so auch nicht. Es wurden einige Gegendemonstranten hier und da kurzfristig aufgehalten, aber nicht gekesselt.
An der überaus brenzligen Weltlage in Zeiten von Klimakrise, Rohstoffkriegen und Mega-Waldbränden ändert auch das nichts, macht aber den Leipziger Montag etwas angenehmer für alle, die nun nach vollbrachter Demonstrierung nach Hause traben oder, wie bei „Leipzig nimmt Platz“ noch ein wenig auf dem Augustplatz zu fetten Beats tanzen.
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