Natürlich war es ein riesengroßes Versprechen, als die alte Bundesrepublik mit dem Erhardschen Slogan „Wohlstand für alle“ an den Start ging und den fleißigen Bundesbürgern ein Leben in materieller Sicherheit und unbegrenztem Konsum versprach. Das prägte auch die Art, wie Deutsche über Wohlstand denken. Und das macht es ihnen so schwer, selbst in Zeiten der Katastrophe im Kopf umzuschalten.
Das merkt man auch jedes Mal, wenn man wieder einen völlig verdaddelten Kommentator davon schreiben sieht, dass die aktuell dominierenden „Babyboomer“ wohl die letzte Generation sein werden, die von sich sagen könnte, dass es ihnen besser ginge als ihren Eltern.
Als wäre allein Besitz ein Maßstab dafür, ob Menschen im Wohlstand leben. Dabei ist es Zeichen dafür, dass wir nur einen sehr verengten Begriff von Wohlstand haben. Geprägt von Leuten, die Einkommen und Besitz an Luxusgütern für den einzig messbaren Maßstab für Erfolg im Leben halten.
Und so nebenbei auch der festen Überzeugung sind, sie hätten sich das verdient, sie wären – weil besser bezahlt als die Kloputzer und Wachleute – echte Leistungsträger.
Einkommen ist kein ehrlicher Maßstab für Wohlstand
Aber ist ein hohes Einkommen überhaupt ein Maßstab für Leistung und geleistete Arbeit? In Deutschland schon lange nicht mehr. Jede Menge Bullshit-Jobs werden hochbezahlt, weil die Schöpfer dieser Jobs sehr genau wissen, dass diese Arbeiten eine Zumutung sind.
Auch und gerade eine moralische. Daneben aber wuchert eine Welt der modernen Sklavenjobs, mit denen sich eine zunehmend fauler und gedankenloser werdende Welt der Besserverdiener alles besorgen lässt, was Sklaven auch im alten Rom besorgt haben – von der Wäsche übers Babysitting bis zur Lieferung der Luxusspielgeräte an die Haustür.
So entstand eine Welt, in der diejenigen, die handeln könnten, weil sie alle Ressourcen dafür haben, nicht handeln, sondern das ewige Lied vom „Verzicht“ singen. So wie Kinder, denen man ihr Lieblingsspielzeug wegnehmen will.
Sie fühlen sich regelrecht bestohlen schon von vornherein, noch ehe ihnen auch nur ein etwas mutigerer Minister sagt, dass alle ihre geliebten Spielzeuge klima- und umweltschädlich sind und sie eigentlich darauf verzichten sollten. So im Sinne der ganzen Gesellschaft.
Doch im Sinn der ganzen Gesellschaft oder gar dieser ganzen schrecklichen Menschheit, von der man sich durch Wohlstand ja so herrlich absentiert hat, können Menschen in so einer Blase des Zuerst-Ich gar nicht denken.
Können könnten sie schon. Aber man merkt nichts davon. Denn Verzicht fordern sie lieber von denen, die auf die „Wohltätigkeit des Staates“ angewiesen sind, also auf „ihr Steuergeld“, ihr „sauer Verdientes“.
Wohlstand macht nicht nur behäbig und eigensinnig, sondern auch unsolidarisch. Wer zu viel hat, denkt nicht mehr ans Teilen. Dazu sind ihm die Habenichtse zu fremd. Der denkt eher daran, das Geld irgendwo anlegen zu können, wo es „für ihn arbeitet“.
Das glauben diese Leute ja tatsächlich, dass „ihr Geld für sie arbeitet“. Obwohl es am anderen Ende wieder Leute mit mieser Bezahlung sind, die die notwendigen Zinsen erarbeiten müssen, damit sich die so clever gewählte Anlage auch rentiert.
Was eigentlich Rente meint
Rentieren kommt von Rente: Etwas muss eine Rente abwerfen, also einen regelmäßigen Überschuss, der in den Lehrbüchern der Wirtschaftswissenschaft der Wohlhabenden wie durch Zauberhand aus dem Nichts entsteht.
Rente heißt ja die so emsig demolierte Altersvorsorge der Deutschen nicht deshalb, weil das eine besondere Form der sozialen Fürsorge wäre, sondern weil sie aus den Rentenbeitragszahlungen der Arbeitenden erzielt wird und werden sollte.
Ursprünglich ging auch der deutsche Gesetzgeber davon aus, dass die Beitragszahler dafür keine Extra-Gegenleistung erbringen müssen, um am Ende eine auskömmliche Rente zu bekommen.
„Die Rente ist in der Wirtschaft ein regelmäßiges Einkommen, das ohne unmittelbare Gegenleistung erzielt wird“, lautet die Definition für das, was mit Rente ursprünglich gemeint war.
Das aber bekommen nicht unsere Rentner, sondern unsere Rentiers.
Und unsere großen bräsigen Medien sind ja voll von Geschichten über Leute, die ihren ganzen Lebenszweck darin sehen, möglichst schnell ein Rentier zu werden.
Diese Geschichten sagen im Grunde alles über den Geist unseres Wohlstands. Und die seltsam verdrehte Vorstellung davon, was eigentlich Wohlstand ist. Man möchte gern leben wie ein römischer Sklavenhalter.
Wenn Maßlosigkeit das Maß der Dinge ist
Dass das nicht unbedingt ein Lebensideal ist, darüber machten sich auch schon griechische und römische Philosophen einen Kopf. Wenn auch meist aus der Perspektive ihrer Geldgeber. Weshalb es unter ihnen keinen einzigen gibt, der den Wohlstand einmal außerhalb dessen gesucht hat, was die Krösusse ihrer Zeit für Standard hielten.
Denn da sie selbst aus der Klasse stammten, war ihnen die Verachtung für die Sklaven verinnerlicht. Sie sahen sie gar nicht. Und damit auch nicht ihre Arbeit. Und damit auch nicht, wie ihre eigene Gesellschaft eigentlich funktionierte. Trotz aller schönen Gedanken über das, was sie als Glück definierten.
Wohlstand ist etwas anderes als Glück. Bedingt hat das mit dem „richtigen Maß“ und dem Maßhalten zu tun, über das sich die Philosophen immer den Kopf zerbrochen haben. Aber wo ist das richtige Maß, wenn man sich um das Gemeinwohl nicht mehr kümmert?
Wenn einem das Wohlergehen der schlecht Bezahlten egal ist und der Zustand des Klimas und der Natur ebenfalls? Wenn man glaubt, sich alles, was fehlt, einfach irgendwo kaufen zu können („Koste es, was es wolle.“) und ansonsten von den Sorgen der Welt nicht behelligt wird?
Das sind schon lange nicht mehr die Fragen der Reichen allein (die sie sich meistens eben nicht stellen), sondern eines ziemlich großen Teils unserer Gesellschaft, die auch deshalb so aussieht, wie sie aussieht, weil jeder meint, sich nur um sich kümmern zu müssen.
Als ginge seine Freiheit verloren, wenn er nicht tun und lassen darf, was er will. Auch das steckt in der Verzicht-Debatte, die an Schiefheit kaum zu überbieten ist.
Denn hier jammern in der Regel diejenigen, die nie auf etwas verzichten mussten. Also auch nicht wissen, wie das ist, wenn Dinge unerschwinglich sind, man sich Selbstverständlichkeiten (wie Urlaub, warme Mahlzeiten, Kultur und derlei Kram) sowieso nicht leisten kann.
Neiddebatte und schlechtes Gewissen
Auf unseren Straßen rollt dann so etwas wie eine Neiddebatte, angefacht von denen, die augenscheinlich doch noch spüren, dass sie so etwas wie ein schlechtes Gewissen haben, mit ihrem Lebensstil, mit dem sie einer ganzen Menge anderer Menschen den Raum und die Ressourcen nehmen, ebenso „in Saus und Braus“ zu leben.
Sie spüren wohl doch, dass dieses Viel-zu-Viel kritische Blicke verursacht, die sie mit Neid verwechseln.
Meistens ist da ja nichts zu beneiden. Eher wirkt so ein Lebensstil rücksichtslos, hämisch und arrogant. So wie die Heirat eines tollkühnen Ministers auf der Reicheninsel Sylt vor laufenden Kameras. Warum fällt einem da das alte Wort eines anderen Politikers ein, der mal von „spätrömischer Dekadenz“ sprach?
Kann es sein, dass mit solchen Begriffen das an die Öffentlichkeit drängt, was diese armen Hansel tatsächlich jeden Tag denken – über sich und ihre Kumpels und Freunde?
Nur so am Rande. Denn das Ergebnis so eines Denkens ist nun einmal Verachtung und Egoismus. Verachtung für alle die, die sich „nur nicht genug angestrengt“ haben, um auch so einen dekadenten Lebensstil pflegen zu können.
Als wäre ein dekadenter Lebensstil Zeichen für Wohlstand. Was es aber ist: Er ist meist das, was sich solche Leute unter Wohlstand vorstellen. Was sich vielleicht sogar die meisten unter Wohlstand vorstellen.
Was ist eigentlich Wohlstand?
Für andere Bilder eines reichen und erfüllten Lebens bleibt da kein Platz. Zur Freude aller Luxusproduktehersteller. Zum Leidwesen einer Gesellschaft, die für viele kaum noch Wärme und Geborgenheit bereithält, dafür jede Menge Ängste, Stress und das Gefühl, nicht mehr gemeint zu sein.
Abgehängt, aussortiert, outgesourct, wie das so schön heißt. Und trotzdem in täglicher Not, das Geld aufzubringen, um die Renten anderer Leute bezahlen zu können.
Denn Rentiers gehen ja davon aus, dass ihre Rente schön aus dem Nichts kommt. Nicht von Leuten, die da jeden Tag für sie arbeiten müssen. Sie sehen sie ja nicht. Und wenn die mal nicht zahlen können, fliegen sie raus. Diese Faulenzer und Schuldenmacher. Da bewahre mal einer seinen Wohlstand, wenn er nicht mal die nächste Miete zahlen kann.
Welchen Wohlstand, darf man fragen. Was ist wirklich Wohl-Stand? Was gehört wirklich dazu, damit Menschen sich darin geborgen fühlen? Und wo beginnt er, das Leben zu überwuchern und das Denken zu okkupieren und aus dem Immer-Mehr einen einzigen Berg von Dingen zu machen, die unsere Welt verstopfen und das bisschen Leben auffressen, das da draußen noch übrig ist, wenn wir die Welt für das Bild eines falschen Wohlstands geplündert haben?
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