Der Flughafen Leipzig/Halle ist schon jetzt das viertgrößte Luftfracht-Drehkreuz in Europa. Das sorgt vor allem nachts für Ärger. Künftig sollen noch mehr Frachtflüge am Flughafen starten und landen. Das zu Beginn des Jahres gegründete Bündnis „Transform LEJ“ möchte den Ausbau verhindern. Im großen LZ-Interview äußern sich Ronja und Maxi zu Antikapitalismus, sozialer Ungerechtigkeit beim Fliegen und der Daseinsberechtigung von Flughäfen in einer nachhaltigeren Zukunft.
Es gibt bereits viele Gruppen, die sich mit der Kritik am Flughafen befassen. Wozu braucht es euer Bündnis?
Ronja: Unser Bündnis möchte die verschiedenen Schwerpunkte zusammenführen: Militärdrehkreuz, Abschiebungen, Ausbaupläne und die Frage der Klimagerechtigkeit, die bei all diesen Thematiken mit reinspielt. Wir haben zwar jetzt die Aktionstage zum Flughafenausbau, aber unsere Arbeit ist langfristig angelegt. In dem Bündnis sind im Moment vor allem Klimagerechtigkeitsgruppen vertreten. Dabei positionieren wir uns klar antikapitalistisch und streben eine grundlegende Systemveränderung an, die zudem intersektionale Perspektiven aktiv mit einbezieht.
Wie würdet ihr euer Verhältnis zu den bereits existierenden Bündnissen beschreiben? Gibt es Kontakt? Ist es eine Konkurrenzsituation?
Maxi: Es ist auf jeden Fall keine Konkurrenz. Im Januar fand unser erstes Bündnistreffen statt. Das war so gedacht, dass alle Gruppen und Menschen, die zum Thema Flughafen und vor allem gegen den Ausbau arbeiten, zusammenkommen. Da waren zum Beispiel das „Aktionsbündnis gegen den Flughafenausbau LEJ“ und die Gruppe „Protest LEJ“, die sich mit Abschiebungen befasst. Irgendwann wurde aber klar, dass wir uns damit im Moment noch nicht so stark befassen können, wie wir es anstreben, weil unser Fokus gerade darauf liegt, den Ausbau zu stoppen. Langfristig soll es aber zusammen gedacht werden. Mit Personen aus dem Aktionsbündnis haben wir relativ viel Kontakt.
Ronja: Wir wollen breite gesellschaftliche Gruppen ansprechen und da gehört der Kontakt zur lokalen Bevölkerung dazu. Sehr wichtig ist uns auch die Vernetzung mit Arbeitenden. Wir wollen klarstellen, dass sich unser Kampf nicht gegen sie richtet, sondern gegen den kapitalistischen Konzern DHL. Wir wollen zukunftsfähige Arbeitsplätze, die Flughäfen nicht bieten können und nie bieten werden.
Wie genau sieht die Strategie für die Kontaktaufnahme mit den Arbeitenden aus?
Maxi: Es gab schon Gespräche am Flughafen. Wir haben zum Beispiel danach gefragt, ob sie vom Ausbau wissen, wie die Arbeitsbedingungen sind und welche Haltung sie zur Klimakrise haben. Dabei sind schon einige Kontakte entstanden.
Was haben diese Personen auf eure Fragen geantwortet?
Maxi: Dort arbeiten sehr unterschiedliche Personen: Ortsansässige, Werkstudierende, die vor allem nachts tätig sind und im Vergleich mit anderen Nebenjobs relativ viel Lohn erhalten, und Leiharbeitende, die unseres Wissens vor allem aus Kroatien kommen. Ähnlich unterschiedlich waren auch die Antworten. Manche meinten, dass sie unsere Kritik verstehen können, diese teilen und es auch blöd finden, dass ein riesiger Konzern so viel herumfliegt.
Ronja: Die unmittelbare Existenzfrage war immer ein Punkt. Es ist schwer, sich von dem Betrieb zu distanzieren, wenn es darum geht, die eigene Familie zu ernähren, das Studium zu finanzieren oder Geld nach Hause zu schicken.
Schwerpunkt eurer Arbeit ist momentan der geplante Flughafenausbau. Was genau sind dabei eure politischen Ziele?
Maxi: Hauptziel ist es, den Ausbau zu verhindern. Der Flughafen Halle/Leipzig ist schon jetzt der klimaschädlichste Flughafen in Deutschland; DHL strebt einen Ausbau der Flugzeugstellplätze um 60 Prozent an. Wir haben uns „Transform LEJ“ genannt, weil wir nicht nur den Ausbau stoppen, sondern den Flughafen auch Schritt für Schritt transformieren wollen – gemeinsam mit den Arbeitenden, mit den Menschen, die dort wohnen, und mit Menschen wie uns, die für eine klimagerechte Welt kämpfen. Gemeinsam wollen wir an einer Idee arbeiten, was stattdessen dort entstehen kann.
Es klingt nach einem großen Ziel, den Ausbau zu verhindern. Wie lässt sich das erreichen?
Ronja: Wir fordern zum Beispiel, dass der Flughafen nicht mehr weiter durch den Staat subventioniert wird. Während der Flughafen regelmäßig Defizite erwirtschaftet, macht DHL unfassbar viel Profit. Wenn man sich anschaut, wer eigentlich die Menschen sind, die regelmäßig fliegen und vom Flughafen profitieren, wird ein weiteres Mal deutlich, wie sozial ungerecht diese Verkehrsform ist. Um das zu verdeutlichen: Es ist tatsächlich so, dass ein Prozent der Menschen weltweit für 50 Prozent der Flugemissionen verantwortlich ist und mehr als 80 Prozent noch nie geflogen sind.
Gegen wen genau richtet sich eigentlich euer Protest – beziehungsweise an wen ist er adressiert?
Maxi: An DHL richtet sich die Forderung, dass die von Lärm und Emissionen betroffenen Menschen gehört werden; dass es nicht nur um Profite, sondern auch um deren Bedürfnisse geht. Unser Protest richtet sich aber auch an die Landesdirektion, die aktuell prüft, ob der Flughafen ausgebaut werden darf.
Zu Beginn habt ihr darauf hingewiesen, dass im Bündnis vor allem antikapitalistische und systemkritische Gruppen und Ansätze vertreten sind. Was bedeutet das praktisch – auch im Unterschied zu den anderen Protestgruppen?
Maxi: Uns geht es nicht nur um den Fluglärm oder das Nachtflugverbot, sondern auch darum, zu zeigen, dass es dort einen Konzern gibt, der riesige Profite erzielt – auf dem Rücken von Menschen, die darunter leiden. Als antikapitalistisches Bündnis wollen wir das mitdenken und den Flughafen sozial-ökologisch transformieren. Zukünftig sollen alle mitreden können, die vom Flughafen betroffen sind: die Menschen, die dort arbeiten, die Menschen, die dort leben, und die Menschen, deren Steuern in einen total unsinnigen Ausbau fließen würden.
Der Flughafen liegt ja ein bisschen abseits von Leipzig. Inwiefern ist es ein praktisches Problem, zum Protest dahin zu mobilisieren?
Maxi: Ich glaube schon, dass es Menschen gibt, die nicht hinfahren, weil es zu weit weg ist.
Ronja: Es ist eine größere Herausforderung, als wenn man eine Demonstration auf dem Augustusplatz starten würde. Aber der Flughafen ist ein krasses, lokales Symbol für die kapitalistische Wirtschaft. Hier laufen so viele Ungerechtigkeitssysteme zusammen. Der Protest adressiert Antifaschismus, Klimagerechtigkeit, Antirassismus, Friedensbewegung und – wenn man sich anschaut, wer in den Vorständen sitzt – auch feministische Kämpfe. Unser Wunsch und unsere Forderung sind daher, dass sich möglichst viele Menschen in die S-Bahn setzen und mit uns auf die Straße gehen.
Maxi: Ein Vorteil ist vielleicht, dass der Flughafen zwischen zwei Städten liegt, aus denen viele Menschen kommen können.
Sollte es tatsächlich gelingen, den Flughafenausbau zu verhindern, würde das ja nicht bedeuten, dass Waren nicht mehr transportiert werden, sondern dass dies beispielsweise auf Autobahnen geschieht. Inwiefern bringt es also kurzfristig etwas, den Ausbau zu verhindern?
Ronja: Den Ausbau zu verhindern, wäre schon ein riesiger Erfolg. Aber die Frage, was danach passiert, ist natürlich wichtig. Dann kommt ein globales Warensystem zum Vorschein; genauer: eine globalisierte Expresslogistik. Wir fordern ja nicht, dass überhaupt nichts mehr geflogen werden darf, aber man muss zum Beispiel mehr über Gerechtigkeit reden. Europaweit gibt es bislang keine Kerosinsteuer, während der Strom für Züge besteuert wird. Da wird wieder eine indirekte Subventionierung dieser Branche deutlich.
Maxi: Wir haben im Bündnis auch darüber gesprochen, wie man diese große Fläche nutzen könnte, wenn der Flughafen nicht mehr da wäre. Beispielsweise könnte dort trotzdem etwas produziert und in der Nähe genutzt werden, aber ohne die langen Lieferketten – das ist ja eines der großen Probleme.
Braucht man den Flughafen – nach euren Vorstellungen – überhaupt noch und falls ja: zu welchem Zweck?
Maxi: Ich persönlich denke, dass Flughäfen künftig nur noch eine kleine Rolle spielen und entweder zurückgebaut oder komplett geschlossen werden sollten. Fliegen ist nicht gerecht und das wird sich auch nicht ändern. Aber was ich persönlich denke, ist gar nicht so wichtig. Wir wollen ja eine breite Beteiligung der Menschen, die entscheiden sollen, wie es mit dem Flughafen weitergeht.
Momentan sorgt der Flughafen für tausende Arbeitsplätze in einer Region, in der gut bezahlte Arbeitsplätze rar sind. Wie überzeugt man Menschen davon, dass der Flughafen künftig nur noch eine kleine Rolle spielen soll?
Ronja: Perspektivisch wollen wir zwar einen Rückbau des Flughafens, aber wir sind uns auch einig, dass es dabei konkrete Alternativen für die Arbeitenden geben muss. Das ist ein Grund, warum uns die Vernetzung mit ihnen so wichtig ist. Wir wollen nicht über diese Menschen sprechen, sondern mit ihnen. Es heißt zwar, dass DHL hier viele Arbeitsplätze schafft, aber zuvor sind viele Arbeitsplätze nur deshalb weggefallen, weil die Produktion ausgelagert wurde – in Länder, in denen die Konzerne mit noch schlechteren Arbeitsbedingungen noch größere Profite erzielen konnten. Dadurch sind außerdem längere Lieferketten entstanden.
Maxi: Irgendwann könnte es passieren, dass Flughäfen wegen der Klimakrise relativ schnell einen Shutdown erleben werden und dabei plötzlich viele Arbeitsplätze verloren gehen. Wir wollen, dass – wenn das passiert – diese Menschen nicht ihre Existenz verlieren, sondern dass sie aufgefangen werden. Schon heute muss darüber nachgedacht werden, wie nachhaltige Alternativen aussehen, und damit begonnen werden, diese umzusetzen.
Was sind die konkreten Pläne für den Aktionszeitraum Ende Juli und gibt es einen Aktionskonsens?
Ronja: Die oberste Priorität hat, dass niemand zu Schaden kommt und dass wir keine Arbeitenden blockieren.
Maxi: Am Freitag, dem 29. Juli, soll es eine Mahnwache vor der Landesdirektion geben. Für Samstag ist ab 11 Uhr eine Demo am S-Bahnhof in Schkeuditz geplant. Die Demo soll an der Ausbaufläche enden. Unabhängig vom Aktionszeitraum gibt es das Klimacamp Leipziger Land, wo beispielsweise Vorträge und Workshops zum Thema Flughafen stattfinden.
In den Aufrufen ist auch von zivilem Ungehorsam die Rede. Ist also mit überraschenden Aktionen zu rechnen?
Ronja: Ja, man darf gespannt sein.
„Gemeinsam wollen wir an einer Idee arbeiten, was stattdessen dort entstehen kann“ erscheint auch am 29. Juli 2022 in der aktuellen Printausgabe der Leipziger Zeitung (LZ). Unsere Nummer 104 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.
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