Am gestrigen Dienstag, 12. Juli, wurde in der Kamenzer Straße im Leipziger Nordosten die Gedenkstele für das ehemalige HASAG-Außenlager eingeweiht. Trotz des schönen Wetters war die Stimmung bedrückt: Neben dem Gedenken an das unfassbare Leid und Unrecht, das an diesem Ort geschah, wurde die Tafel keine 24 Stunden nach ihrer Aufstellung bereits beschädigt.

Das größte Außenlager des KZ Buchenwald

In der Kamenzer Straße 12 befand sich bis April 1945 ein Außenlager des KZ Buchenwald. Über 5.000 weibliche, hauptsächlich jüdische, Gefangene waren hier untergebracht. Für den Rüstungsbetrieb HASAG (Hugo Schneider AG) mussten sie Granaten, Munition und Panzerfäuste herstellen. Es war das erste und größte der insgesamt sieben Außenlager des KZ Buchenwald.

Über 500 erschöpfte und kranke Frauen und Kinder wurden von hier in die Konzentrationslager Auschwitz, Bergen-Belsen und Ravenbrück überführt. Kurz vor der Befreiung wurden die Arbeiterinnen auf einen Todesmarsch geschickt. Wer versuchte zu fliehen oder zurückfiel, wurde von den Wachmannschaften erschossen.

Heute ist das Gebäude in Nazihand

Während Oberbürgermeister Burkhard Jung ans Mikrofon trat, um eine Eröffnungsrede vor den Anwesenden zu halten, ertönten vom ehemaligen Gelände des Außenlagers Musik und Stimmen. Auf dem vom sächsischen Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften Gelände hat sich eine Gruppe für eine Grillparty versammelt.

Seit 2008 befindet sich die Kamenzer Straße in den Händen des Leipziger Neonazis Ludwig K. Ein würdiges Gedenken ist hier seitdem nicht mehr möglich. Auch bei der gestrigen Veranstaltung war die Stimmung angespannt.

„Dass an diesem Ort Unrecht geschehen ist, ist verbürgt und nachgewiesen“, begann Jung seine Rede, womit er auch die auf dem Grundstück anwesenden Rechten anspricht. Die Gedenkstele sei nun der zweite Versuch, hier einen Gedenkort zu schaffen, nachdem die kleine Gedenktafel vor dem Gebäude mehrfach zerstört wurde. Doch wie Jung berichtete, wurde auch die neue Gedenktafel bereits beschädigt – keine 24 Stunden nach ihrer Aufstellung.

Klare Worte vom Oberbürgermeister

Die momentane Situation sei „unerträglich und nicht hinnehmbar“, so der Oberbürgermeister. Es sei richtig gewesen, dass Initiativen und die Zivilgesellschaft die Stadt zu Veränderungen angestoßen hatten. Doch leider seien diese bisher vergeblich. Das sächsische Landesamt für Denkmalschutz hat dem ehemaligen HASAG-Lager die Denkmalwürdigkeit versagt. Es fehle an Originalität, es sei kaum etwas von der ursprünglichen Bausubstanz vorhanden.

Jung fand klare Worte: „Mit dieser Bewertung sind wir nicht einverstanden!“ Er selbst wisse nicht um die genaue Arbeitsweise des Landesamtes – ob es im Ermessen eines einzelnen Gutachters lag oder beispielsweise bestimmten Richtlinien geschuldet ist, dass die Kamenzer Straße 12 nicht unter Denkmalschutz gestellt wurde. Damit hätte man besser gegen eine rechtsextreme Nutzung vorgehen können. Aber die Stadt wolle schauen, wo es noch Spielraum gibt.

Noch im Februar 2022 hieß es seitens der Stadt, dass man keinen weiteren Druck auf die Landesbehörde ausüben will. Eine LZ-Anfrage, welche Taten Jungs Aussagen folgen, hat die Stadt bisher noch nicht beantwortet.

Auch ein Kauf falle ihm ungeheuer schwer, so Jung. Nachdem die Stadt Leipzig dem Eigentümer, Ludwig K., Kaufinteresse mitgeteilt hatte, verlangte dieser eine horrende Summe, die laut Stadt erheblich über dem Marktwert der Immobilie liegt. „Ich mag mir kaum vorstellen, einem Rechtsextremen öffentliches Geld in die Hand zu drücken“, so Jung.

Nachfahren ehemaliger Leipziger Jüd/-innen vor Ort

Im Anschluss trugen Künstler/-innen vom Theater der Jungen Welt Gedichte der ehemaligen HASAG-Zwangsarbeiterinnen vor und Jens-Christian Wagner, Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, gab eine historische Einordnung.

Als die offiziellen Redebeiträge vorbei sind, kommt plötzlich ein Mann ans Mikrofon. Auf Englisch stellt er sich vor: Harry Frey. Er habe keine Rede vorbereitet, wolle nun aber spontan etwas sagen.

Er erzählte, dass er in New York lebt und nach Europa gekommen sei, um der Vergangenheit seiner damals hier lebenden Familie nachzugehen. Seine Großmutter wurde nach Auschwitz deportiert, seine Tante Lola Better hat im HASAG-Außenlager arbeiten müssen.

Das Engagement des Oberbürgermeisters, der Gedenkstätte für Zwangsarbeit und der Zivilgesellschaft hätten ihn sehr berührt: „Ich bin dankbar für die Leute, die dafür kämpfen, dass so unsensibles Verhalten, wie das Abhalten einer Grillparty neben dieser Gedenkveranstaltung, hoffentlich bald ein Ende findet.“

Neben Harry Frey waren noch weitere ehemalige Leipziger Juden und Jüdinnen und ihre Nachfahren im Rahmen des Besuchsprogramms bei der Einweihung der Gedenkstele. Am heutigen Mittwoch, 13. Juli, endet das Programm, dessen Eröffnung wir vergangene Woche begleiteten.

Der erste Schritt auf einem langen Weg

Im Anschluss enthüllten Oberbürgermeister Burkhard Jung, Jens-Christian Wagner, Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, und Anja Kruse von der Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig die Stele.

Auf ihr finden sich unter anderem Informationen zum Gelände, den Gefangenen und den Bedingungen, unter denen diese arbeiten mussten. Auf der Rückseite sind diese nochmal ins Englische, Polnische, Französische und Russische übersetzt.

Die Gedenkstele und ihre Einweihung waren weitere Schritte in einem sehr mühsamen Prozess. Es geht darum, Präsenz zeigen und Erinnerung zu ermöglichen, bis eine Lösung gefunden wird, um die Kamenzer Straße ihren jetzigen Nutzern und dem Eigentümer zu entziehen und sie in öffentliche Hand zu überführen. Damit Menschen wie Harry Frey hier wieder in Ruhe gedenken und trauern können.

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