Nach mehr als zwei Jahren ist es passiert: Corona hat meinen Haushalt erwischt. Den „Haushalt“ betone ich, weil ich unwahrscheinliches Glück hatte: Trotz Virus in der Bude habe ich es nicht bekommen. Jeden Morgen aufs Neue hat mich auf dem Schnelltest nur genau ein Strich angestrahlt. Und ja: Alle Tests hatten eine hohe Erkennungsrate, ja, Nasen- und Rachenabstrich, ja, sehr sorgfältig. Das war offenbar eine Mischung aus Zufall, Vorsicht und penibler Isolation.
Nicht an COVID-19 zu erkranken, war super. Das Coronavirus im Haus zu haben, war, wie soll ich sagen… Scheiße war‘s. Sich voneinander und von der Welt zu isolieren, hat so gut wie alles anstrengender gemacht: Wer geht wann ins Bad? Wie lange wird ein Raum gelüftet, bevor ich ihn guten Gewissens betreten kann? Woher bekommen wir heute Essen? Und wie, verdammt, finde ich eigentlich raus, ob die Nudeln gar sind und die Sauce schmeckt, wenn ich beim Kochen eine FFP2-Maske trage?!
Dazu kam nach spätestens einer Woche das starke Gefühl, bald die Wände hochzulaufen, wenn nicht irgendetwas passiert, das Abwechslung bringt – und wenn es nur Nudelsauce ist, die nicht versehentlich zu salzig geraten ist.
Virus statt Optimismus
Dass Corona für schlechte Stimmung sorgt, habe nicht nur ich erlebt. Möglicherweise ist es ein Grund für das Ergebnis der Bürgerumfrage der Stadt Leipzig im vergangenen Jahr. Der Vorabbericht zeigt, dass die Lebenszufriedenheit unter den Leipziger/-innen so niedrig ist wie seit 2012 nicht mehr. Dass sie „zufrieden“ oder „sehr zufrieden“ sind, gaben 73 Prozent der Befragten an. Im letzten Jahr vor der Pandemie, 2019, lag die Quote noch bei 80 Prozent.
Zudem sind die Zukunftsaussichten mieser geworden: Während der Anteil der Optimist/-innen 2019 einen Höchstwert von 66 Prozent hatte und auch 2020 noch bei 65 Prozent lag, ist er im vergangenen Jahr auf 62 Prozent gefallen – und damit so niedrig wie zuletzt 2013.
Der Blick auf die Pandemie hat sich seit 2020 ebenfalls geändert. Damals erwarteten mehr als ein Fünftel der Befragten, dass Corona sich positiv oder sogar sehr positiv auf das Gesundheitssystem auswirken würde. Ein Jahr später hat sich diese Quote halbiert. Dass der Zusammenhalt in der Familie während der Pandemie besser werden könnte, glaubten 2020 mehr als 40 Prozent, ein Jahr später nur noch etwa ein Viertel der Befragten. Und während 2020 sieben Prozent fanden, dass die medizinische Versorgung zu den drei größten Problemen Leipzigs gehört, ist dieser Anteil auf zwölf Prozent gestiegen.
Isoliert, aber nicht allein
Laut Statistik der Stadt sind von Anfang März 2020 bis Mitte Mai 2022 fast 200.000 Personen in Leipzig positiv auf das Coronavirus getestet worden. Das sind ziemlich viele positive Tests, bei knapp 610.000 Einwohner/-innen. In der Woche, in der das Virus meinen Haushalt erwischt hat, lag die 7-Tage-Inzidenz bei etwa 500 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner/-innen.
Das macht gute 3.000 Infektionen in der Stadt innerhalb einer Woche und damit eine ordentliche Anzahl von Haushalten, deren Bewohner/-innen sich isolieren (hoffe ich zumindest), sich ihre Einkäufe irgendwie organisieren müssen und die auch dann, wenn sie nicht krank werden, vermutlich eine miese Zeit haben.
In der Woche, in der das Coronavirus meinen Haushalt erwischt hat, ist laut Statistik niemand in der Stadt an dem Virus gestorben. Sachsenweit hat es in diesem Zeitraum rund hundert Corona-Tote gegeben – eine Zahl, angesichts dessen etwas zu salzige Pasta so gar kein Problem mehr ist.
Endlich wieder frei?!
Mittlerweile hat sich Corona aus meinem Haushalt verzogen. Ich bin ehrlich: Ich konnte es nicht verhindern, „Freiheit!“ zu seufzen, als ich das erste Mal wieder draußen und unter Menschen gewesen bin. Zu wissen, dass Isolation keine Freude ist, ist eben doch etwas anderes als sich tatsächlich zu isolieren.
Das erste Mal wieder in einen Laden zu gehen und von Menschen umgeben zu sein, die keine Maske tragen und sich anscheinend keine Gedanken um Abstand machen, kam mir deshalb sehr seltsam vor. Während die Zahl der Infektionen in meinem Haushalt mittlerweile wieder bei null ist, sind es in der Stadt immer noch mehr als tausend pro Woche.
Noch komischer kommt es mir vor, wenn rund um Basis-Infektionsschutz wie Masken ein absurder Begriff von „Freiheit“ entsteht. Die Annahme, grundlegende Rechte wären bedroht, weil man sich beispielsweise beim Zugfahren ein Stück Stoff aus dem Gesicht schieben muss, bevor man am Kaffee nippt, finde ich völlig wild.
Natürlich bin ich genervt davon, mich seit mehr als zwei Jahren nicht so unbedacht verhalten zu können wie zuvor. Aber ich bin auch genervt davon, dass ich meine Steuererklärung oder den Abwasch machen muss und an manchen Tagen davon, eine Hose tragen zu müssen. Was mich motiviert, ist das Wissen, dass es besser ist, das alles einfach zu machen.
Was ich außerdem weiß: Dass mein Haushalt so glimpflich weggekommen ist und es allen wieder gutgeht, ist nicht nur Zufall, Vorsicht und penibler Isolation, sondern auch Ressourcen und Privilegien zu verdanken. Ohne eine große Wohnung, Freund/-innen, die Einkäufe vorbeibringen, Familien, die besorgt anrufen, Geld auf dem Konto, um nach Belieben Essen zu bestellen und Jobs, in denen die Isolation kein Problem war, hätte das möglicherweise anders ausgesehen.
Die Liste könnte noch weitergehen, wäre der Text an dieser Stelle nicht zu Ende. Aber wir können uns ja mal die Freiheit nehmen, zu überlegen, wer es in der Pandemie besser hat und wer schlechter – und wie wir uns die kommenden Monate und Jahre wünschen.
„Wie geht‘s dir, Leipzig? (10) – Infiziert, isoliert, privilegiert“ erschien erstmals am 27. Mai 2022 in der aktuellen Printausgabe der Leipziger Zeitung (LZ). Unsere Nummer 102 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.
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