„Die wissenschaftliche Beratungskommission zur Straßenbenennung hat empfohlen, dass die Arndtstraße, die Jahnallee sowie die Ernst-Pinkert-Straße in Leipzig ihren Namen weiter führen sollten“, meldete Leipzigs Stadtverwaltung am 24. Mai. „Dabei ging es beispielsweise um die antifranzösischen und antijüdischen Texte Arndts, die Vereinnahmung Jahns durch die Nationalsozialisten sowie die Völkerschauen, die Pinkert im Zoo Leipzig initiierte.“

Und dann folgte so ein letztlich wenig aussagekräftiger Passus: „Diese Aspekte wurden bewertet, zugleich jedoch die historischen Umstände sowie die ideellen und politischen Gegebenheiten der damaligen Zeit berücksichtigt. Die entsprechenden Gutachten der Kommission hat die Stadtspitze jetzt erhalten.“

Was die damit macht, ist noch offen. Denn die Umbenennung der Arndtstraße in Hannah-Ahrendt-Straße wurde ja schon im September 2020 wieder vom Stadtrat zurückgenommen.

Der falsche Weg


Die Historikerkommission war gebildet worden, um über die drei zur Diskussion gestellten Straßenbenennungen aus historischer Perspektive zu befinden. Aber die vorgelegten Gutachten zeigen eigentlich, dass das der falsche Weg ist, um die eigentliche Problematik zu klären.

Die da lautet: Kann sich die heutige Stadtgesellschaft mit den gewürdigten Personen noch identifizieren? Oder ist es wie bei vielen anderen Personen, die ihre Straßenbenennung in Leipzig eingebüßt haben, dass der Glanz eigentlich verblasst ist und einige Dinge – wie Franzosenhass und Antisemitismus -, mit denen man sich ganz und gar nicht mehr abfinden kann, so auch nicht mehr akzeptiert werden können?

Denn darum ging es ja 2020 mit dem Antrag von Stadtrat Thomas Kumbernuß (Die PARTEI), die Arndtstaße in der Südvorstadt umzubenennen.

Das Amt für Statistik und Wahlen fasst die Aussage des Gutachtens zu Ernst Moritz Arndt jedenfalls so zusammen: „Ernst Moritz Arndts historische Bedeutung liegt in seiner Rolle als wohl öffentlichkeitswirksamsten Publizisten der frühen Nationalbewegung und des antinapoleonischen Befreiungskrieges.

Unter Berücksichtigung erstens der historischen Umstände nach 1806 und der damaligen ideellen und politischen Gegebenheiten sowie zweitens der Bedeutung des historischen Kontextes von â€š1813‘ für Leipzig mit einem ganzen Ensemble von Straßen, die nach Personen aus jener Zeit benannt wurden, empfiehlt die wissenschaftliche Kommission keine Umbenennung der Arndtstraße.“

Straßennamen als Gedächtnis der Stadt?

Was dann auf die meist von der Stadt vorgebrachte Erklärung abzielt, Straßennamen in Leipzig bildeten so etwas wie ein „Stadtgedächtnis“ ab, man würde also so eine Art Geschichtswanderung machen, wenn man durch die Südvorstadt wandert und dort den Herren Arndt, Fichte, Scharnhorst, Körner und Stein begegnet.

Leider liest sich das Gutachten zu Arndt dann eher wie ein Versuch, die heutigen Diskussionen für erledigt zu erklären und den Mann und seinen hasserfüllten Ton (den auch seine Zeitgenossen Ludwig Börne und Heinrich Heine schon kritisierten) aus dem Usus der Zeit heraus zu erklären. Ganz so, als würde das schäbige Verhalten der einen auch das schäbige Verhalten eines Professors aus Greifswald entschuldigen.

Im Wikipedia-Artikel zu Ernst Moritz Arndt kann man derzeit zwar den Satz „Inwieweit seine Äußerungen zum Judentum als antisemitisch zu bewerten sind, ist umstritten.“ lesen. Aber wer die Versionsgeschichte des Artikels liest, merkt, wie hinter den Kulissen weiterhin heftig gestritten wird um die Deutung dieses Professors und dessen, was er mit seinen Schriften damals und später tatsächlich angerichtet hat.

Nur „harmlose“ Mobilisierungstexte?

„Die antifranzösischen bzw. antinapoleonischen Schriften sind klassische Mobilisierungstexte in Kriegszeiten, die offen nationale Zugehörigkeiten und Leidenschaften ansprechen und auch an Ressentiment und Hass gegen den aktuellen oder zukünftigen Kriegsgegner appellieren“, heißt es tatsächlich im Gutachten zu Arndt.

„In der Publizistik der damaligen Zeit findet sich derartiges auch in anderen Ländern, wobei Arndt eine besonders drastische Sprache verwendete (‚jeder tote Franzose ist ein guter Franzose‘ usw.).“

Bei der Suche nach dem Stichwort „Mobilisierungstext“ versagt Wikipedia aber vollkommen. Was auch damit zu tun hat, dass es bis heute keine einzige wissenschaftliche Arbeit gibt, die sich mit der Wirkung, dem Genre und dem Ausmaß dieser „Mobilisierungstexte“ in der napoleonischen Zeit oder in späteren Kriegen (man denke an 1871, 1914 oder 1939) beschäftigt. An wen waren sie adressiert? Wer hat sie gelesen? Wie haben sie gewirkt? Und wie war vor allem ihre spätere Wirkung, erst recht, als sie mit den Werkausgaben der wutschnaubenden Autoren für Generationen regelrecht kanonisiert wurden?

Da überrascht es schon (oder eben auch nicht), dass die Kommission dann zu so einer Einschätzung kommt: „Für das Verständnis der Arndtschen Texte ist es notwendig, sie erstens im historischen Kontext und zweitens in ihrer rhetorischen Funktion zu sehen. Zwischen 1806 und 1818 erschienen die vier Bände ‚Geist der Zeit‘ mit tagesbezogenen Schriften zu unterschiedlichen Themen, aber alle darauf zielend, das Nationalbewusstsein zu stimulieren und zum Kampf gegen die französische Hegemonie aufzufordern.

Er propagierte einen ‚Nationalismus‘ im Sinne einer politischen Staats- und Bewusstseinsbildung durch Rekurs auf die gemeinsame Sprache und Kultur und wandte sich gegen eine kosmopolitische Weltbürgerlichkeit. Zeitgenössisch spiegelt das eine Reaktion auf die Krise des alten Reiches, dessen machtpolitische Schwäche, innere Reformunfähigkeit und Wehrlosigkeit gegenüber der napoleonischen Dominanz.“

„Ich will den Hass …“

Da haben wir sie wieder, diese freundlich ausweichenden Phrasen, mit denen Historiker, die ihre Auftraggeber nicht verärgern wollen und um den heißen Brei herumreden: „wandte sich gegen eine kosmopolitische Weltbürgerlichkeit“ oder „spiegelt das eine Reaktion“. Als wäre dieser Arndt nur ein Spiegel seiner Zeit gewesen und kein Wortführer.

Keiner, der 1813 in Leipzig eine Schrift mit dem Titel „Über Volkshaß und über den Gebrauch einer fremden Sprache“ veröffentlicht hat, in der es z.B. heißt: „Ich will denn Haß gegen die Franzosen, nicht bloß für diesen Krieg, ich will ihn für lange Zeit, ich will ihn für immer. Dann werden Teutschlands Gränzen auch ohne künstliche Wehren sicher seyn, denn das Volk wird immer einen Vereinigungspunkt haben, sobald die unruhigen und räuberischen Nachbarn darüber laufen wollen. Dieser Haß glühe als die Religion des teutschen Volkes, als ein heiliger Wahn in allen Herzen, und erhalte uns immer in unserer Treue, Redlichkeit und Tapferkeit.“

Das überschreitet deutlich die Grenzen. Und lässlich ist auch sein Antisemitismus nicht, den das Gutachten beinahe verharmlost, wenn es feststellt: „Die Aussagen Arndts über die Stellung der Juden in Deutschland (obwohl es das als staatliches Gebilde zu seinen Lebzeiten nie gab, verwendete er meist diesen Begriff) erschließen sich durch die Verbindung von einerseits erhoffter nationaler Einheit und Einheitlichkeit und andererseits die Beseitigung ständischer Unterschiede und rechtlicher Begrenzungen in der Herausbildung der bürgerlichen Gesellschaft, prägnant symbolisiert im preußischen Emanzipationsedikt von 1812. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass es durchaus unterschiedliche Äußerungen über Juden von ihm gibt, sich kein einheitliches Bild bei ihm findet.“

Gepflegter professoraler Antisemitismus

Wiegen also die nicht so hasserfüllten Äußerungen die hasserfüllten auf?

So weit geht nicht einmal der Wikipedia-Artikel: „Seine Hassvorstellungen über Franzosen und Juden gingen ineinander über, er nannte die Franzosen ‚das Judenvolk’. Franzosen waren ihm ‚verfeinerte schlechte Juden’. Er unterstellte ihnen Menschenhandel: ‚In alle Kreise […] der teutschen Zunge (ergingen) Befehle, Listen einzuschicken über die mannbaren teutschen Jungfrauen, welche durch Vermögen, Schönheit und Anmuth glänzten. Diese sollten nach Frankreich abgeführt und an Franzosen vergeben werden. Hätte dies ausgeführt werden können, wie bald wäre diesseits des Rheins die edle deutsche Art verbastardet worden.’

Er meinte, die meisten Französinnen seien ‚verbuhlt und unzüchtig […] in der zischelnden und flüsternden und gurgelnden Schlangensprache selbst liegt schon das Schlüpfrige, Gleisende [für: Gleissende], Verführerische und Sündliche.’“

„Ein Vorläufer oder gar Vordenker des späteren biologistisch argumentierenden Rasseantisemitismus war er nicht“, meint das Gutachten.

Ein nicht nachvollziehbares Fazit

Ein Satz, der höchst fragwürdig klingt, wenn man das folgende Wikipedia-Zitat daneben stellt: „Wollten Personen von westlich des Rheins ins Land, so solle man Zölle erheben, wie beim Vieh“: „Ein Artikel, der mehr der Ueppigkeit dient, als der Viehzucht schadet, wird jährlich in Teutschland eingeführt, nemlich Franzosen und Juden. Doch der teutschen Menschenzucht ist er äußerst schädlich, sowohl in Hinsicht der Vergiftung der ächten teutschen Sitten, als der Verschlechterung des edlen teutschen Stammes.“ Und das stand dann 1814 in „Noch ein Wort über die Franzosen und über uns“, ebenfalls in Leipzig erschienen.

Es war nicht nur eine Schrift, in der Arndt sich derart äußerte. Das Fazit des Gutachtens ist eigentlich nicht nachvollziehbar. Es liest sich eher wie ein Versuch, einer überfälligen Diskussion die Zähne zu ziehen und den wütenden Professor nachträglich zu entschärfen. Als wäre ihm das nur im Eifer des Gefechts so herausgerutscht und hätte sonst auch keinen Schaden angerichtet. Hat es aber.

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Es gibt 2 Kommentare

Lieber Herr Julke, es ist schlichtweg falsch wenn Sie schreiben, “dass es bis heute keine einzige wissenschaftliche Arbeit gibt, die sich mit der Wirkung, dem Genre und dem Ausmaß dieser „Mobilisierungstexte“ in der napoleonischen Zeit oder in späteren Kriegen (man denke an 1871, 1914 oder 1939) beschäftigt”.
Allein zu Ernst Moritz Arndt gibt es mehrere Studien, die die Rezeption seines Werkes analysieren, gleiches gilt für nahezu jeden (nationalen) Publizisten, Historiker und politische Wirkenden des 19 und frühen 20. Jahrhunderts. Die Wirkung eines Werkes bzw. einer Idee wird von Historikern seit der sog. rezeptionsästhetischen Wende Ende der 1960 Jahre fast standardmäßig untersucht. Wie sie auf ihre Aussage kommen, ist mir schleierhaft. Offenbar haben sie nur mit dem Begriff “Mobilisierungstext” recherchiert, der aber in den Wissenschaften vollkommen ungebräuchlich ist.

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