Da hatte OBM Burkhard Jung wohl recht, als er nach der Stadtratsentscheidung zu den exotisch angehauchten Festen in Leipziger Zoo meinte, dass die Diskussion wohl jetzt erst richtig beginnen würde. Es geht natürlich um Gefühle, um völlig unterschiedliche Erfahrungen mit Diskriminierung. Und auch um Künstler, die sich nun ausgebootet fühlen, obwohl es gar nicht um ihre Kunst ging, sondern um den Rahmen.

Oder auf neudeutsch: das Framing. Und gerade die vehemente Diskussion um die einst auch in Zoo gezeigten „Völkerschauen“ hatte ja deutlich gemacht, wie wichtig die Wahrnehmung dieses Framings ist und wie schwer sich auch heutige Fest- und Zoobesucher tun, hinter der als interessant empfundenen Exotik die alten, noch immer lebendigen kolonialen und rassistischen Frames zu erkennen.

Künstler fühlen sich diskriminiert

Womit sich die Copacabana Sambashow Berlin, die bei Veranstaltungen im Leipziger Zoo regelmäßig zu Gast war, auf andere Weise missverstanden fühlt. In einer Stellungnahme zur Stadtratsentscheidung sehen die Mitglieder dieser Künstlergruppe selbst rassistische Vorurteile am Werk.

„Wir werden aufgrund der typischen künstlerischen Darbietung unserer Kultur, die untrennbar verbunden ist mit unseren Traditionen und unserer Herkunft – denn in Brasilien macht man das genau so – als Künstler nicht nur nicht ernst genommen, sondern als naiver Beförderer von Rassismus gebrandmarkt.

Statt anzuerkennen, dass in Brasilien unsere Kultur nun einmal in dieser Form gelebt wird, wie wir sie bislang in Leipzig zeigen durften, wird über unsere Köpfe hinweg diskutiert und von einer vermeintlich höheren moralischen Erkenntnis aus über unsere Kunst geurteilt.

Doch sind nicht genau diese Merkmale eines kolonialen Blickes auf eine fremde Kultur, deren Ausdrucksweise man nicht zu akzeptieren oder zu verstehen gewillt ist und deren Argumente man offenkundig als aus einer unterentwickelten oder rückständigen Zivilgesellschaft stammend einstuft? Das ist Rassismus gegen unsere Kultur!“, heißt es in der Stellungnahme der Künstlergruppe, die nach eigener Auskunft selbst aus in Deutschland lebenden Brasilianern besteht.

Die Stellungnahme der Copacabana Sambashow Berlin.

Nachdenken über koloniale Stereotype

Dabei ging es im Stadtratsbeschluss gar nicht um die auftretenden Künstler, sondern um den Rahmen – eben den Leipziger Zoo, also den sehr konkreten Ort, der den Rahmen bildet für diese Feste.

Weshalb auch der Migrant/-innenbeirat Leipzig hier eine Zoo-Debatte sieht. Für ihn war es ein hartes Ringen um die Annahme der Neufassung des Antrags „Leipziger Zoo: Koloniale Vergangenheit aufarbeiten und rassistische Stereotype auch in der Gegenwart beenden“. Mit der Zustimmung des Antrags sei nun ein wichtiges Zeichen dafür gesetzt worden, dass die Mehrheit der Stadt Leipzig dafür ist, sich ihrer kolonialen Vergangenheit als auch deren Nachwirken in der Gegenwart zu stellen.

„Wir freuen uns über den Ratsbeschluss, der anscheinend von vielen falsch verstanden wurde“, sagt Mohamed Okasha, Co-Vorsitzender des Migrant/-innenbeirats.

„Es geht hier um zwei Punkte, die als gesonderte betrachtet werden sollen: die Überarbeitung der Veranstaltungsformate und die Sichtbarmachung der Aufarbeitung der Kolonialgeschichte. Wir reden hier nicht vom Verbieten von Veranstaltungen oder Bands, sondern von gemeinsamer Entwicklung von neuen Formaten, die für alle passend ist. Wie kann das dem Zoo schaden? Und wir reden von Sichtbarmachung der Aufarbeitung der Zoo- Kolonialgeschichte.

Wir erkennen die Bemühungen des Zoos zur Aufarbeitung der eigenen Kolonialgeschichte in Form von wissenschaftlichen Arbeiten und einer Publikation an. Jedoch sollen die Ergebnisse dieser Arbeiten den Besucher/-innen auf dem Zoogelände unmittelbar sichtbar gemacht werden. Das schadet nicht dem Zoo, sondern davon profitiert der Zoo enorm, indem er sich als Vorreiter und Vorbild bei der Aufklärung über das koloniale-Erbe engagiert.“

Erinnerungskultur ist Arbeit an der Aufarbeitung

Die Aufarbeitung des kolonialen Erbes und das Schaffen einer neuen Erinnerungskultur in Leipzig ende nicht mit einem Antrag oder einem Ratsbeschluss, betont der Migrant/-innenbeirat. Es sei ein langer Prozess, an dem die Menschen der Stadtgesellschaft miteingebunden werden müssen, um an diesen aktiv mitzuwirken und ihn voranbringen zu können.

„In unserem Migrant/-innenbeirat finden sich die Perspektiven mehrerer Herkunftskulturen“, sagt Francesca Russo, CO-Vorsitzende des Migrant/-innenbeirats.

„Einige von uns kommen aus Ländern, die genau wie Deutschland bis vor wenigen Jahren brutale Vorgehensweisen in den kolonisierten Territorien ausgeübt haben und die zur Entstehung der bis heute weit verbreiteten kolonialistisch-rassistischen Stereotypen beigetragen haben. Für die Aufarbeitung der Kolonialgeschichte Europas ist essenziell, dass Nicht-Betroffene und Betroffene sich zusammensetzen und gemeinsam Lösungen erarbeiten. Ich bin der Meinung, dass die Aufarbeitung nicht nur in wissenschaftlichen Publikationen und in akademischen Kreisen stattfinden soll, sondern vor allem im Alltag erkennbar sein muss. Genau das wollten wir mit unserem Antrag erreichen.“

Ein enorm wichtiger Schritt sei mit der Annahme des Antrags durch den Stadtrat Leipzig diese Woche getan. Aber es sei trotzdem nur der erste Schritt von vielen, die noch getan werden müssten – und das gemeinsam und in konstruktiver Zusammenarbeit mit allen betreffenden Akteur/-innen der Stadt Leipzig, betont der Migrant/-innenbeirat.

Und zu diesen Akteur/-innen müssten eben auch die auftretenden Künstler gehören. Natürlich gehört ihre Kunst auf Leipziger Bühnen. Ob es unbedingt die Bühne im Zoo sein muss, ist freilich eine zu diskutierende Frage.

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Es gibt 2 Kommentare

Jetzt wird es unübersichtlich!
Ein Beirat, dessen Mitglieder sich von Rassismus betroffen fühlen, weil es im Zoo Veranstaltungen gibt, die nach ihrer Sichtweise Stereotype bedienen.
Der Stadtrat, der sich der Sichtweise des Beirats anschließt, anscheinend ohne mit allen Beteiligten (der Beirat ist nicht beteiligt) gesprochen zu haben, beeindruckt durch eine emotionale Rede (Emotionen sind bekanntlich immer ein guter Ratgeber).
Und nun die Tänzer, die sich jetzt diskriminiert fühlen, weil ihre Kultur so nicht erwünscht ist (könnte man auch Rassismus nennen).

Da muss der Beirat aber noch einmal zu Schulung:
“[…] und zwar in aufklärerischer Absicht, einen differenzierten und reflektierten Einblick in historische, gesellschaftliche und kulturelle Strukturen und Zusammenhänge unterschiedlicher Länder und Kontinente […]”

Auf dem Eicheholzparkett im Gewandhaus würde sicher die gleiche Stimmung entstehen, wenn die Künstler mit ihrer Show umdisponieren müssen…

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