Es ist das erste Mal in der Geschichte des Vereins: „Aufgrund der prekären Personalknappheit, der drastisch steigenden Zahl der Neuanmeldungen für die Tafelleistungen, steigender Spritkosten und zu wenig Lebensmittel für die Versorgung unserer Kundinnen und Kunden, können wir ab sofort und bis auf Weiteres keine Neukunden mehr aufnehmen.“ Das meldete die Leipziger Tafel am gestrigen Donnerstagnachmittag und bittet um Spenden und Unterstützung.
Gestiegene Preise und gähnende Leere in den Supermarktregalen
Im März 2022 lag die Inflationsrate in Deutschland laut Statistischem Bundesamt bei 7,3 Prozent. Machten sich die steigenden Preise zunächst bei den Strom- und Heizkosten sowie an den Zapfsäulen von Diesel und Benzin bemerkbar, sind sie nun auch in den Supermarktregalen angekommen.
Aufgrund in die Höhe geschossener Energiepreise ist die Produktion in vielen Branchen erheblich teurer, so auch in der Lebensmittelindustrie. Die Lieferknappheit von Getreide aus Russland sowie der Ukraine tut ihr Übriges. Die Folge: Die Verbraucherpreise für Nahrungsmittel sind im April um 5,3 Prozent gestiegen. Was hier und da erneut für Hamsterkäufe und leere Regale sorgt.
Für Haushalte mit geringem und mittlerem Einkommen eine Zahl, die einen großen Unterschied macht. Da hilft auch die von der Bundesregierung beschlossene Einmalzahlung von 100 Euro an Leistungsbezieher/-innen nicht drüber hinweg. Ebenso wenig wie die Aufstockung der Hartz-IV-Regelsätze um monatlich drei Euro.
Hoher Ansturm auf die Tafel
Derzeit erhalten die Tafeln in Deutschland einen erhöhten Zulauf. So auch in Leipzig. Nicht nur Menschen, die unter durch die angestiegenen Preise unter Druck geraten, finden den Weg zu einer der sechs Ausgabestellen in Leipzig, Borna, Markkleeberg und Markranstädt.
„Personen, die wir vor einem Jahr das letzte Mal gesehen haben, lassen sich nun ihren Pass neu ausstellen. Sie sind nicht mehr in der Lage, sich das, was sie gern essen möchten, einfach zu kaufen. Ich sehe ja selbst, wie drastisch die Preise in den Supermärkten angestiegen sind“, erklärt Dr. Werner Wehmer, der die Leipziger Tafel seit mehr als 20 Jahren leitet. Etwa 4.500 Personen gingen inzwischen viermal im Monat bei der Tafel ein und aus.
Seit einigen Wochen versorgt der Verein auch zahlreiche Menschen, die vor dem Krieg aus der Ukraine geflüchtet sind und in Leipzig Zuflucht gefunden haben.
„Innerhalb von zwei Tagen haben wir es organisiert, dass wir die aus der Ukraine geflüchteten Personen in die Kartei aufnehmen, sie registrieren und ihnen Pässe ausstellen. Schwierigkeiten für unsere Mitarbeiter/-innen bereiten da vor allem die kyrillischen Buchstaben. Deshalb haben wir eine Mitarbeiterin direkt einzustellen, die uns hilft, zu übersetzen und die Pässe auszustellen. Das muss natürlich integrativ laufen. Wenn die Menschen immer wieder kommen, werden wir sie in bestehenden Gruppen einteilen.“
Zur bewährten Organisation der Tafel gehören feste Gruppen, die stundenweise zu bestimmten Zeiten zur Lebensmittelausgabe kommen. So ist sichergestellt, dass niemand mehrere Stunden lang warten muss. Außerdem führt es dazu, dass der Austausch der Menschen untereinander entsteht. So fühlten sich auch die Geflüchteten schneller heimisch, so Wehmer.
Einige Ukrainer/-innen, die für eine Weile bei Bekannten von ihm untergekommen sind, helfen derzeit in der Tafel aus. „So kommen beide Seiten auch sprachlich nach vorn.“ So lief es schon 2015, als aus Syrien geflüchtete Personen in der Tafel tatkräftig mit anpackten.
Um den erhöhten Bedarf zu decken und mehr Lebensmittel zu besorgen, müssen die Fahrer der Tafel zusätzliche Wege zurücklegen, angesichts der ebenfalls enormen Preissteigerung für Diesel und Benzin geht das natürlich ins Geld. Insgesamt fünf Kühlfahrzeuge befinden sich in der „Flotte“ der Tafel, sie rücken an jedem Morgen ins Stadtgebiet sowie nach Borna, Markranstädt und Markkleeberg aus.
Unterstützung dringend benötigt
Von der Stadt erhält die Tafel derzeit keine direkte Unterstützung. Der Verein finanziert sich über Spenden und die kleinen Beträge, die ihre Abnehmer/-innen pro Abholung bezahlen. „Wir sind ab und zu im Austausch mit dem Sozialamt. Zu Beginn der Corona-Pandemie wurden wir vom Amt mit Tests und Masken ausgestattet.“ Dennoch sieht Wehmer dringenden Nachholbedarf vonseiten der Verwaltung.
Seit Jahren greift die Konsum Leipzig Genossenschaft der Tafel unter die Arme. Mit Hilfe von Spenden wird der Verein in den kommenden Wochen frische Ware im Konsum mit 25 Prozent Rabatt einkaufen können. Kommen einmal zu wenig Spenden an, können diese Nahrungsmittel aus dem Vorrat dazugegeben werden. Generell ist es nicht erlaubt, Lebensmittel dazuzukaufen. Da das Geld dafür über Spenden zur Ukrainehilfe der Tafel kommt, kann es zum Einkauf verwendet werden.
Wehmer appelliert dennoch dringend an die Hilfsbereitschaft der Leipzigerinnen und Leipziger: Gebraucht werden tatkräftige helfende Hände und weitere Spenden. Wer helfen möchte, kann sich unter kontakt@tafel-leipzig.de melden oder eine Spende auf folgendes Konto tätigen:
Sparkasse Leipzig
IBAN DE46860555921101000500
Verwendungszweck: TAFEL
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