Seit ein paar Tagen ist es endlich wieder zu sehen: das Schablonengraffito „Madonna mit Kind“ am Gebäude der Karl-Liebknecht-Straße 7, das 1991 vom französischen Künstler Blek Le Rat (bürgerlicher Name: Xavier Prou) geschaffen wurde. Jahrelang war es unter immer dickeren Schichten von Plakaten verschwunden. 2012 entdeckte es die Leipziger Künstlerin Maxi Kretzschmar wieder, als das Haus zur Sanierung vorbereitet wurde.
Sie brachte damals den Prozess in Gang, der dazu führte, dass das Graffito unter Denkmalschutz gestellt und mit einer Glasscheibe gesichert wurde. Ein kleiner Text auf der Scheibe erzählt dem Vorübergehenden, worum es hier geht. Zumindest, solange man ihn noch lesen kann.
Denn kaum war das Graffito nach seiner Restaurierung am 12. April 2013 feierlich enthüllt, entfesselten einige Leipziger Graffitisprayer eine regelrechte Sprühkampagne und ließen die Glasscheibe unter ihren wütend gesetzten Tags verschwinden. Die Reinigungsarbeiten kamen bald nicht mehr hinterher. Und dann eroberten Leipzigs wilde Plakatkleber die Scheibe und pflasterten sie endgültig und für Jahre zu.
Erstmals nach vielen Jahre sind jetzt die Plakate wieder entfernt worden und die Scheibe wurde gereinigt. Und wer daran vorübergeht, sieht, dass Graffiti-Kunst nicht hässlich sein muss, sondern tatsächlich Kunst in den Straßenraum bringen kann.
Das Graffito ist eines der ganz wenigen, die im deutschsprachigen Raum unter Denkmalschutz gestellt wurden.
„Als eines seiner ersten Graffiti und damit eines der ersten Pochoirs in Deutschland gilt ‚Madonna mit Kind‘ (1989–1991). Als Vorbild diente Caravaggios ‚Madonna der Pilgerer‘ (1603–1605).
Das Graffito ist seiner Frau Sybille gewidmet, die er bei einem Besuch an der Universität Leipzig während des Graffiti-Festivals Galerie Ephemere im September 1991 kennenlernte“, schrieb Maxi Kretzschmar 2012, als sie die Stadt auf das einzigartige Wandbild aufmerksam machte.
Die Restaurierung des Graffito und die Anfertigung und Gestaltung der Schutzverglasung kosteten damals rund 9.000 Euro. Die Kosten teilten sich der Bauträger und die Stadt Leipzig.
Blek le Rat gilt als Vater des Schablonengraffito (auch als Pochoir oder Stencil bezeichnet). Der Pariser Künstler etablierte diese Kunstform im öffentlichen Raum, das Graffito „Madonna mit Kind“ gilt als sein ältestes erhaltenes Werk dieser Art.
Forcierte Jagd auf Sprayer
Aber die Folgegeschichte erzählt von etwas, was man durchaus den Graffiti-Krieg von Leipzig nennen könnte. Obwohl er sich nicht nur auf Leipzig beschränkt, sondern bundesweit tobt – ausgelöst vom früheren Bundesinnenminister Otto Schily (SPD), der wesentlicher Treiber der Verschärfung des Sachbeschädigungstatbestandes im deutschen Strafrecht war, welcher seitdem konsequent gegen Graffiti-Sprayer angewandt wird.
Die Jagd auf Sprayer hat Schily schon vorher forciert, indem er die Bundespolizei ab 2004 auch Hubschrauber mit Wärmebildkameras einsetzen ließ, um insbesondere Sprayer zu verfolgen, die auf Bahngelände erwischt wurden.
So operiert die Bundespolizei in Leipzig auch schon seit Jahren und sorgt dafür, dass die friedlichen Anwohner ziemlich regelmäßig aus dem Schlaf gerissen werden, wenn in der Nacht Polizeihubschrauber über dem Bahngelände kreisen. Das wirkt nicht nur wie Krieg, es ist auch einer – und zwar in dem Sinn einer Radikalisierung, die am Phänomen selbst überhaupt nichts geändert hat.
Nur eins hatte diese Taktik auch in Leipzig zur Folge: wirklich künstlerische Graffiti sieht man außerhalb der zumeist vom Gaffiti e.V. betreuten Projekte auf legalen Wandflächen praktisch gar nicht mehr. Denn für aufwendige Kunst-Acts haben die Sprayer keine Zeit mehr.
Mit dem anhaltenden Verfolgungsdruck der Polizei hat sich das Zeitfenster für ihre illegalen Tags radikal verkürzt. Das Ergebnis ist: allgemeine Hässlichkeit und gesprayte Aggressivität. Und natürlich jede Menge Aufträge für die Graffiti-Ex-Firmen, die immerfort damit beschäftigt sind, sauberweiße Hauswände wieder neu ganz weiß zu streichen.
Die „vornehmste Aufgabe des Staates“ …
Der Krieg kann nicht gewonnen werden, auch wenn grimmige Bürger genau das immer wieder fordern, wie gerade wieder ein ergrimmter Professor, der eine Einwohneranfrage geschrieben hat, in der er meint:
„Wer wie ich regelmäßig zu Fuß in der Stadt unterwegs ist, wird bemerkt haben, dass sich Graffiti, Tags und Aufkleber mittlerweile nahezu auf jedem Haus, jedem Verkehrszeichen, jeder Regenrinne, jedem Lichtmast usw. befinden. Je nach Größe und Umfang sind dies schwerwiegende Eingriffe in fremdes Eigentum und die öffentliche Sicherheit. Darüber hinaus wird die dauerhafte Duldung strafbarer Handlungen zu einer Bedrohung der Sicherheit der Bürger. Deren Gewährleistung ist die ‚vornehmste Aufgabe des demokratischen Staates‘ (Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, 2008). Was gedenkt die Stadt Leipzig gegen die illegale Verschandelung der Stadt durch Graffiti etc. zu tun?“
Dass der empörte Professor die Gewähr der Sicherheit für die Bürger mit einer Beseitigung von Graffiti verwechselt, sagt im Grunde eine Menge über die Engsicht, die nicht nur er hier an den Tag legt. Die auch von erheblicher Ignoranz zeugt, sind doch die Polizeimeldungen voll von „Erfolgsmeldungen“, nachdem flotte Beamte wieder „Tatverdächtige auf frischer Tat“ erwischt haben.
Meldungen, die allesamt davon erzählen, welche Aufmerksamkeit, Zeit und Mannschaftsstärke die Leipziger Polizei und die Bundespolizei auf die Jagd nach Sprayern verwenden.
Wenn Leipzigs Ordnungsbürgermeister klug ist, wird er dem grimmigen Professor sagen, dass der „Krieg gegen die Sprayer“ verloren ist. Und zwar von Anfang an. Repression ist ein Mittel, das bei diesem Phänomen schlicht nicht funktioniert, sondern nur einen dauerhaften Zustand der Aggression auslöst, auch wenn sich so mancher ordnungsverliebte Bürger vielleicht wünscht, dass alle Sprayer und Sprayerinnen irgendwann hinter Schloss und Riegel sitzen.
Wem gehört die Stadt?
Da muss man dann nämlich nicht darüber nachdenken, warum die meist jungen Menschen das tun. Und warum sie ausgerechnet die so schön weiß gemalten Wände bevorzugen, die die ordnungsliebenden Bürger so schön finden.
Denn dann stolpert man über Fragen wie: Wem gehört eigentlich das Stadtbild und wer darf darin eigentlich seine Zeichen hinterlassen? Darin steckt auch die Frage: Wie zeigen sich Macht- und Ohnmachtsstrukturen in einer Stadt? Welche Sprache spricht also der gesäuberte Stadtraum, wenn alle Spuren von Graffiti entfernt sind?
Und warum gehen andere Länder nicht so preußisch-deutsch mit dem Problem um? Und warum ist es eigentlich so unausrottbar? Sind ja selbst schon im 2.000 Jahre alten Pompeji die Wände mit Graffiti übersät. Wer darf also eigentlich im Stadtraum sichtbar werden und wer nicht?
Augenscheinlich denkt darüber so gut wie niemand von all denen nach, die so gern neue Anti-Graffiti-Kampagnen entwickeln und dafür gern auch richtig große Budgets zur Verfügung stellen.
Weshalb es auch in Leipzig keine Diskussion über den lesbaren Stadtraum gibt. Denn dann müsste man nämlich mit offenen Augen durch die Straßen laufen – und zwar nicht nur denen eines Ordnungshüters, sondern denen eines Menschen, der hier wirklich lebt und die Botschaften der Straße ja trotzdem aufnimmt.
Das jetzt wieder (hoffentlich für längere Zeit) sichtbare Graffito von Blek le Rat ist eine schöne Anregung, genau darüber nachzudenken. Bis wieder Leute kommen, die das Bild zukleben, weil sie die Botschaft auslöschen wollen. Sprachlos-Machen ist eine sehr moderne „Tugend“. Und sie wird nicht nur von ordnungsverliebten Bürgern gepflegt.
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