Smiley-Fahnen, โ€žfreie Linkeโ€œ-Embleme, Bananen auf Deutschlandfahnen und Friedenstauben, diverse โ€žIrgendjemand steht aufโ€œ oder โ€žStadt XYZ steht zusammenโ€œ-Initiativen, Identitรคre Bewegung, โ€žFreie Sachsenโ€œ sowie vor allem die โ€žBewegung Leipzigโ€œ und die โ€žBรผrgerbewegung Leipzigโ€œ waren aus Sachsen und weiteren Bundeslรคndern nach Leipzig gekommen, um Hand in Hand an diesem 2. April in Leipzig (in verkehrter Richtung) um den Ring zu laufen.

Eine โ€žAlle zusammenโ€œ-Versammlung, die vor allem zeigte: Rund 1.750 Rechtsextremisten, Radikalisierte, AfD-Vertreter und Menschen, die sich als โ€žOst, Ost, Ostdeutschlandโ€œ- Mitte definieren, sind sich offenbar in einem einig: Man kann fรผr Weltfrieden sein, โ€žVolksverrรคterโ€œ und โ€žNazis rausโ€œ Richtung Gegenprotest rufen und Putin unkritisiert die Ukraine รผberfallen lassen. Auf einer Demo, bei der es im Kern eigentlich um die Impfpflicht gehen soll.

Denn alles hat ja mit allem zu tun. Und wenn mal etwas nichts miteinander zu tun hat, ist die Verbindung nur noch nicht enthรผllt, wird vom westlichen โ€žMainstreamโ€œ unterdrรผckt und wirkt irgendwo unheilschwanger im Verborgenen.

Es geht um ein fundamentales Grundmisstrauen in das Handeln von Staaten, Institutionen und demokratisch gewรคhlten Regierungen, was รผber dieser von einem massiven Polizeiaufgebot begleiteten Demonstration der โ€žBewegung Leipzigโ€œ am 2. April 2022 waberte.

Welche persรถnlichen Wege jeden Einzelnen hierher und zur Teilnahme an einer im wahrsten Wortsinne wilden Mischung aus Nazi-Schlรคgern in den รผblichen Sportjogginghosen, รผber die friedensbewegte Mitfรผnfzigerin im Rasta-Look bis hin zum seit Legida irgendwie รผblich gewordenen einen schwarzen Teilnehmer, der mit Blick auf den antifaschistischen Gegenprotest zutiefst รผberzeugt ist, โ€ždie Nazis mรผssen rausโ€œ (O-Ton in einem โ€žQuerdenkerโ€œ-Livestream von โ€žPro Chemnitzโ€œ-Mann Michael Wittwer), gefรผhrt haben mรถgen: sie alle haben etwas mit einer gewissen Verwirrung zu tun. รœber die Komplexitรคt der gleichzeitig โ€žkleinerโ€œ werdenden Welt in Zeiten globaler Pandemien, Klimakrise und neuen Kriegen.

Tรคter, Opfer und Opfertรคter

Diese allerdings sind nach Lesart der Ohnmรคchtigen im Demozug und ihrer Eigenbeteuerung, sie mรผssten nur mehr werden, immer Schuld des Westens und nicht etwa ein Zusammenspiel aus geostrategischen Interessen, rohstoffzentrierten Auseinandersetzungen oder gar des immanenten Widerspruchs zwischen dem Reichtum Europas und damit dem eigenen autozentrierten Leben und der immer deutlicher werdenden Folgen.

Andere Lรคnder, wie nun auch Russland, wehren sich durch diese Brille betrachtet nur, tragen keine Mit-Verantwortung am Lauf der Welt oder sind stets nur Opfer รผbermรคchtiger Handlungen des sonst widersprรผchlicherweise als dekadent und schwach empfundenen โ€žWestensโ€œ โ€“ folgt man dieser Erzรคhlung bis ans Ende.

Die Grundhaltung, die hier โ€židentitรคre Linkeโ€œ und rechtsextreme โ€žFreie Sachsenโ€œ bis hin zur angeblich nicht-rechten โ€žQuerdenkenโ€œ (Dresden)-Bewegung und der โ€žBewegung Leipzigโ€œ zusammenfรผhrt, kommt bei der Leipziger Demo anti-westlich, antiliberal und von der Enttรคuschung รผber die zรคhen Aushandlungsprozesse in einer Demokratie bis autoritรคr geprรคgt daher. Wรคhrend zeitgleich jeder der Teilnehmenden sichtbar fรผr sich in Anspruch nimmt, fรผr das Gute, die (eigene) Freiheit und den Weltfrieden zu streiten.

Hier laufen ehemalige NVA-Soldaten neben Leipziger AfD-Stadtrรคten wie Marius Beyer bis hin zu Impfpflichtgegnern, die vollkommen unabhรคngig von Wirkung oder Nichtwirkung einer medizinischen MaรŸnahme โ€ždie Spritzeโ€œ fรผr den GruรŸ aus der Pharma-Vorhรถlle und ein Massenvernichtungsmittel zur Bevรถlkerungsreduktion halten.

Oder den Gegenprotest als โ€žAbschaumโ€œ deklarieren, wie es โ€žKrankenschwester Anjaโ€œ von der extremistischen โ€žBรผrgerbewegung Leipzigโ€œ heute in die Kamera des bewegungseigenen YouTubers Wittwer hineinformulierte.

Da teilt dann die โ€žquerdenkendeโ€œ Ingroup dem Rest der Welt mit, dass die Liebe zum Mitmenschen eben doch eher am eigenen Gartentor endet.

Nils Wehner: Role Model (s)einer Bewegung

Denksysteme, deren Beginn Nils Wehner von der โ€žBewegung Leipzigโ€œ, der Anmelder der bislang einzigen wirklichen Leipziger GroรŸdemonstration der โ€žQuerdenkerโ€œ am 07.11.2020, heute bei seiner Schlusskundgebungsrede auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz noch einmal exemplarisch fรผr sich mit dem Jahr 2003 und den Anschlรคgen auf die Twin-Towers in New York markierte.

Wer bei 2003 angesichts der Anschlรคge am 11. September 2001 stutzte, lag richtig, doch die Genauigkeit in den Ablรคufen ist bei Wehner wie seinen Zuhรถrenden nicht nur bei den 1989er-Ereignissen eher eine Frage emotionaler Eigen-Interpretationen von Weltgeschehen als prรคzise Geschichtsschreibung unter Mitnahme aller Widersprรผchlichkeiten der jeweiligen Zeiten.

Fรผr Wehner fand das alles 2003 statt, es folgte sein โ€žErwachenโ€œ. Und seither treibt es den vormals unbekannten Autor unbekannter Werke auf die โ€žBewegung Leipzigโ€œ-Bรผhnen. Aus dem daraufhin folgenden โ€žKrieg gegen den Terrorโ€œ eines George Bushs wird hier eine Generalanklage wegen der โ€žChemiewaffenlรผgeโ€œ im Irak, aber keine Verurteilung des Angriffskrieges Russlands in der Ukraine.

Im Gegenteil: fรผr Wehner ist unter dem Applaus seiner Zuhรถrer โ€ždie Nato zu einem Angriffsbรผndnisโ€œ geworden, was Putins Russland logisch in die Verteidigerrolle versetzt, wรคhrend es gerade einen anderen Staat รผberfรคllt.

Was das alles mit COVID-19 und der Impfgegnerschaft zu tun hat, weshalb die rund 1.750 Menschen mehrheitlich aus Sachsen-Anhalt, Thรผringen und Sachsen am 2. April 2022 angeblich nach Leipzig kamen, folgt aus der gemeinsamen ideologischen Klammer. Nahezu jede Handlung westlicher Demokratien wird als verlogen, falsch und โ€žvolksverrรคterischโ€œ eingepreist.

Weshalb nach reichlich schwarz-weiรŸer โ€žQuerdenkerโ€œ-Logik alle anderen wohl richtigliegen mรผssen. Eindimensionale Denkfallen, bei denen man schnell in einem Topf mit Neonazis, Demokratieverรคchtern und Autokraten wie Orban, Putin und Xi Jinping landet.

Gewalt in Leipzig blieb (weitgehend) aus

Laut Polizei, den Beobachtern der LZ und der Videomitschnitte auch sichtbar, blieb alles bis auf eine Identitรคtsfeststellung beim Gegenprotest heute von 13:30 Uhr bis zum Ende 16:20 Uhr auf dem Leuschnerplatz wie auf dem Leipziger Innenstadtring friedlich im Sinne ausbleibender Gewalt. Demonstration und Gegenprotest gerieten kleiner, als vorab gedacht und offenbar versuchte Blockierungen des โ€žQuerdenkerโ€œ-Zuges fanden aufgrund massiver Polizeikrรคfte nicht statt.

Was die Gegendemonstranten mehrfach mit dem Ruf โ€žDeutsche Polizisten schรผtzen die Faschistenโ€œ quittierten.

Ein Vorfall von Polizeigewalt รผberschattete dennoch den Tag. Als es auf Hรถhe Hauptbahnhof bis zur GoethestraรŸe einen Versuch des Gegenprotestes gab, auf die Demonstrationsstrecke zu gelangen, schlug ein offenbar aus Thรผringen zum Einsatz geschickter Polizeibeamter derart hart ins Gesicht eines Gegenprotestlers, dass der junge Mann erst wie leblos zu Boden ging, um anschlieรŸend vom zuschlagenden Beamten aufgehoben und beiseite geworfen zu werden, wo er langsam wieder zu sich kam.

Ein Fall รผbertriebener Hรคrte bis Kรถrperverletzung, welche von seinen umstehenden Kollegen und diversen Kameras beobachtet wurde. Im Polizeibericht bleibt er aktuell noch unerwรคhnt, hier ist nur von โ€žunmittelbarem Zwangโ€œ die Rede. Auf Twitter kursiert dazu bereits ein Video.

Vereinzelt kam es zu verbalen Konfrontationen, wie auf Hรถhe des kleinen Leuschnerplatzes, samt massenhaft gezรผckter โ€žQuerdenkerโ€œ-Handys am Rand des Aufmarsches und es fand eine Spontandemonstration eines etwa 70 Gegendemonstranten groรŸen Teils des Protestes von der Moritzbastei zum Hauptbahnhof statt. Im Nachgang teilte die Polizeidirektion zudem mit, es habe im Demonstrationszug der โ€žCoronakritikerโ€œ das โ€žZeigen eines nationalsozialistischen GruรŸesโ€œ gegeben, dem man nun von Amts wegen nachgehe.

Mitteldeutschland โ€“ ein Teil der Bundesrepublik, der in โ€žgroรŸdeutschen Zeitenโ€œ mal mittig lag und heute wohl eher die รถstlichen Bundeslรคnder Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thรผringen beschreibt โ€“ blieb angesichts der rund 8,3 Millionen Bewohner und der knapp 2.000 Demonstrierenden heute eher zu Hause. Oder ging einkaufen, kรผmmerte sich um den Nachwuchs, vielleicht half ja ein gehรถriger Teil auch heute wieder ukrainischen Flรผchtlingen beim Ankommen in ihrer Interimsheimat. 

Seit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine sind รผbrigens laut den Vereinten Nationen mindestens 3.090 Zivilisten verletzt oder getรถtet worden. Durch Gewalt seien 1.189 Menschen ums Leben gekommen, 1.901 weitere hรคtten Verletzungen erlitten, teilte das UN-Hochkommissariat fรผr Menschenrechte mit. Allgemein geht man bislang von รผber 3 Millionen Binnenflรผchtlingen bei 3 Millionen Fluchten meist in ein Nachbarland der Ukraine aus.

Video-Impressionen des Demonstrationsgeschehens am 2. April 2022

Video: LZ

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