Die Vorbereitungen laufen im Hochbetrieb: In den nächsten Tagen erwartet die Stadt Leipzig mehr Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine flüchten und über Polen nach Deutschland kommen. Die Stadt nimmt dabei eine besondere Rolle ein: Wie die Landesdirektion Sachsen am gestrigen Mittwoch bekannt gab, wird die Stadt zentrale Aufnahmestelle für Geflüchtete aus den Kriegsgebieten sein. Am heutigen Donnerstagmittag lud die Verwaltung zu einer kurzfristigen Pressekonferenz ein und informierte über den aktuellen Stand sowie weitere Maßnahmen zur Unterstützung der vor dem Krieg flüchtigen Menschen aus der Ukraine.
„Wir machen das auch zum ersten Mal; und hoffentlich auch zum letzten Mal“, eröffnete Stadtsprecher Matthias Hasberg die Runde. Auch in der Verwaltung ist derzeit ein großes Maß an Flexibilität gefragt, die Situation ändere sich quasi halbtägig. Seitdem sich am Dienstagnachmittag der Koordinierungsstab Ukraine unter der Leitung von Leipzigs Verwaltungsbürgermeister Hörning formierte und seine Arbeit aufnahm, sind eine Vielzahl an Hilfsaktionen ins Rollen gebracht worden.
Seit gestern sind auch auf der Homepage der Stadt unter www.leipzig.de/hilfe-ukraine Informationen zusammengetragen für Personen, die dieser Tage aus der Ukraine in Leipzig ankommen sowie Spendenmöglichkeiten und Anlaufstellen. Vertriebene aus der Ukraine können sich in Leipzig zunächst in einem der Bürgerbüros melden oder Informationen über das Bürgertelefon 115 erhalten. Dafür wird in den nächsten Tagen auch eine ukrainischsprachige Hotline zur Verfügung stehen.
Einen besonderen Dank sprach Hörning aber auch der Zivilgesellschaft aus, die sich seit Beginn des Krieges in der Ukraine mit vollem Einsatz engagiere. „In der aktuellen Lage sehen wir ein beeindruckendes Maß an Hilfsbereitschaft und Engagement aus der Leipziger Bürgerschaft heraus.“
Die drei Säulen der städtischen Hilfe
Auf genau dieses Engagement setzt die Stadt auch weiterhin, dies gilt es zu unterstützen. So können Hilfeleistungen gemeinsam koordiniert werden. „Die Stadt Leipzig wird ihre Aufgaben in enger Abstimmung mit Bund und Freistaat wahrnehmen, insbesondere in Bereichen, in denen ein privates Engagement an mittelfristige Grenzen stößt“, so Hörning. Derzeit habe man bereits Förderungsmöglichkeiten für die Bemühungen aus der Zivilgesellschaft heraus in die Wege geleitet.
Eine größere Summe wird außerdem aus den Stadtkassen beigesteuert. „Es handelt sich um einen höheren einstelligen Millionenbetrag.“ Dieses Sonderbudget wird dem Stadtrat in der Sitzung am 15. März zur Abstimmung vorgelegt. Ebenfalls wird ab heute vorerst für die nächsten zwei Wochen auf der Crowdfunding-Plattform der L-Gruppe (www.leipziger-crowd.de/ukraine-hilfe) Geld gesammelt. Das Unternehmen selbst spendet ebenfalls 100.000 Euro.
Über die Verwendung der Spenden werden die L-Gruppe und die Stadt in enger Abstimmung mit Vereinen und Hilfsorganisationen entscheiden. Man erhoffe sich mindestens einen Betrag von 600.000 Euro – einen Euro für jede/-n Leipziger Bürger/-in.
Ein erstes Treffen mit Organisationen und Initiativen aus der Stadtgesellschaft fand am heutigen Donnerstagabend im Neuen Rathaus statt.
Die Zivilgesellschaft handelt schnell und direkt
Einer der Teilnehmer/-innen, der kürzlich selbst zur Mithilfe an die ukrainische Grenze reiste, bemängelte die derzeit noch sehr statische Hilfe seitens der Behörden mittels Formularen. Hilfreicher seien Hotlines, so der Gast im Ratssaal, vor Ort an der Grenze ginge alles per SMS und schnellster Kommunikation. Die Vertreterinnen der Stadt sicherten zu, sich darum zu kümmern.
Ein weiterer Teilnehmer bat anschließend inständig darum, die Stadt möge bei technischen Ausstattungen im Kohlrabizirkus helfen. Hier, im Süden Leipzigs, hat sich in den letzten Tagen eine erstaunliche Initiative herausgebildet, von welcher der Bauunternehmer berichtete. Da durch den eingebrochenen Handel gen Osten viele Lkw und die Fahrer praktisch frei geworden sind, fahren diese nun die Strecke Leipzig – Ukraine direkt bis zu Städten wie Charkiw.
Während die Stadt heute ankündigte, nicht tiefer als bis Lwiw (ehem. Lemberg) in die Ukraine hineinzuliefern, sind hier also Fahrer/-innen unterwegs, die die Strecken innerhalb des umkämpften Landes kennen. Sie hätten so in den letzten Tagen bereits „Tonnen von Material“ in verschiedene Städte jenseits der Polnischen Grenzen gebracht. Unterstützt würde die Initiative auch von Apotheken, da es vor allem um Medizin gehe.
In seiner Rede forderte der Mann, die Stadt möge den Verbleib des mittlerweile entstandenen Lagers im Kohlrabizirkus unterstützen, um die Initiative am Leben zu halten. Ein Umzug in ein anderes, schlechter geeignetes Lager sei jetzt nicht möglich.
Neben dem zivilgesellschaftlichen Engagement und der Spendensammlung besteht als dritte wichtige Hilfe-Säule die Logistik. Sachspenden müssen zielsicher dort ankommen, wie sie gebraucht werden. Dabei bekommt die Stadt Leipzig auch Unterstützung aus Polen. Am heutigen Morgen erreichte die Verwaltung die Nachricht aus der Partnerschaft Krakau. Dort gebe es konkrete Anlieferungsstellen, von denen aus benötigte Güter weiter in die Ukraine transportiert werden können.
„Es ist wichtig, dass die europäischen Städte jetzt zusammenhalten und der Ukraine helfen“, betonte Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung. „Das Vertrauen zwischen unseren Städten und das über Jahre gewachsene enge Netzwerk zahlt sich jetzt aus und ich bin der Stadt Krakau überaus dankbar für ihre Hilfe.“
Erstaufnahmelager in Mockau
„Die Unterbringung ist geregelt“, versicherte Matthias Hasberg. Diese erfolgt über die Erstaufnahmeeinrichtung des Freistaats Sachsen am Graf-Zeppelin-Ring in Mockau, wo derzeit 550 Plätze bereitgestellt werden können. Ein zweiter Schritt sei die Unterbringung in Wohnungen, dafür sei man bereits mit der LWB (Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft) in Kontakt. Eine Prognose, wie viele Menschen in den nächsten Tagen und Wochen ihren Weg nach Sachsen und Leipzig finden werden, gibt es nicht. „Wir gehen aber davon aus, dass viele Menschen Kontakte in Deutschland haben. Hier werden sie erstmal aufgefangen.“
Zu dieser Frage deutete am Abend beim Treffen der Zivilgesellschaft ein junger Mann von der Initiative „Leipzig helps Ukraine“ die mögliche Dimension der Unterbringungsfrage an und bat um das sofortige Hochfahren der Kapazitäten wie 2015. Von befreundeten Initiativen aus Berlin hätten ihn Nachrichten erreicht, es würden in wenigen Tagen 80.000 Menschen auf der Flucht aus der Ukraine dort ankommen – das schaffe Berlin nicht allein.
Auch Hilfegesuche direkt aus der Ukraine, aus angrenzenden Ländern oder über die EU erreichten die Stadt in den letzten Tagen. Die Branddirektion Leipzig etwa wird unter anderem Stromerzeuger und Brauchwasserbehälter an die Slowakei sowie drei ausgemusterte Löschfahrzeuge an die Republik Moldau liefern.
Das Klinikum St. Georg koordiniert derweil die Organisation von Hilfsgütern, wie Medikamenten, Verbandsmaterial, technischen Geräten etc., auch von anderen Kliniken, wie dem Universitätsklinikum (UKL), den Helios-Kliniken und dem Diakonissenkrankenhaus. Ankommende Flüchtlinge aus der Ukraine finden im „Georg“ außerdem eine Anlaufstelle medizinischer und psychologischer Erst- und Notversorgung.
In den nächsten Tagen werden die Informationen und Hilfsmöglichkeiten konkreter werden, kündigte Hasberg an. Personen, Organisationen und Initiativen, die Hilfsangebote anbringen möchten, können diese an ukraine@leipzig.de senden.
„weiter:lesen“ unterstützt Ukrainehilfe
Der Veranstalter LZ Medien GmbH und das Organisationsteam des Lese- und Kreativfestivals „weiter:lesen“ 2022 haben sich heute der Sammelaktion der Stadt und der L-Gruppe angeschlossen und werden 2 Euro pro Vorverkaufsticket an die Ukrainehilfe der L-Gruppe einzahlen. Damit können auch alle Käufer/-innen eines Festivaltickets mithelfen, die Not in der Ukraine zu lindern.
Alle Informationen zum Lesefest, welches am 19. und 20. März 2022 im Felsenkeller und der Moritzbastei von rund 60 Autor/-innen gestaltet wird, ein Kinderprogramm, die „Leser/-innenparty“ am Samstag und eine Buchmesse mit Verlagsständen an beiden Tagen bietet, finden sich unter www.weiterlesenleipzig.de
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