Es war der wichtigste Satz auf der Bundesversammlung am 13. Februar 2022 in Berlin: โJeder Krieg kennt nur Verlierer.โ Ausgerufen hatte ihn Bundestagsprรคsidentin Bรคrbel Bas (SPD) in ihrer Erรถffnungsrede zur Wahl des neuen Bundesprรคsidenten. Wenn er stimmt, dann geht es nach dem quasi-รberfall Russlands auf die Ukraine nicht um Sieg oder Niederlage.
Vielmehr kรถnnen wir nur darรผber streiten, wer welche Position auf der Verliererstraรe einnimmt, wer und was derzeit am meisten zur Niederlage aller beitrรคgt und wie wir die Verliererstraรe verlassen kรถnnen. Ich mรถchte โ abseits aller historischen und politischen Fakten der Ukraine/Russland-Krise โ zwei Dinge zu bedenken geben:
- Die aktuellen Ereignisse sind das Ergebnis einer gescheiterten bzw. gar nicht erst entwickelten europรคischen Ostpolitik in den vergangenen 20 Jahren. Es hat keinen nachhaltigen Prozess zwischen der Europรคischen Union und Russland gegeben, um eine europรคische Friedensordnung zu gestalten. Das Ergebnis des Scheiterns ist ein seit Jahren gewachsenes Misstrauen, dessen traurigen Hรถhepunkt wir gerade erleben.
- Kriegerische Handlungen und imperiale Aggressionsakte sind nur aufgrund von angehรคuften Waffenarsenalen mรถglich. Sie nรคhren bei allen Konfliktpartnern die Illusion, als kรถnne man langfristig durch kriegerische Gewalt politische Ziele erreichen. Natรผrlich ist es โ wie bei einem Mord โ mรถglich, den potenziellen Widersacher durch Gewalt unwiderruflich aus dem Weg zu rรคumen und sich seines Besitzes zu bemรคchtigen.
Nur: Ein solcher โSiegโ ist von kurzer Dauer und hinterlรคsst verbrannte Erde. Es gilt das, was wir schon aus der Geschichte von Kain und Abel lernen kรถnnen (Die Bibel: 1. Mose 4,1-10). Als Kain seinen Bruder erschlagen hat, sagt Gott zu ihm: โDie Stimme des Bluts deines Bruders schreit aus der Erde.โ Das Verbrechen kann nicht ungeschehen gemacht werden. Es wirkt รผber Generationen weiter und macht aus dem vermeintlichen Sieger im Bruderzwist einen Verlierer โ damals und heute!
Nun ist mir sehr bewusst, dass mir die sog. Realpolitiker/-innen sofort entgegenhalten: Mit solch lรคcherlichen Geschichtchen lรคsst sich keine Politik betreiben. Jetzt befinden wir uns in einer Kriegssituation. Der Aggressor Russland versteht nur eine Sprache: die der militรคrischen Gegenwehr. Darum muss jetzt die Ukraine aufgerรผstet werden, damit sie sich wehren kann. Das ist landauf, landab fast unisono zu hรถren und zu lesen.
Doch die Frage bleibt: Welches Ziel wird damit verfolgt? Kriege vermรถgen weder Misstrauen zu beseitigen, noch werden Kriege Menschen zur Einsicht bringen. Dafรผr werden durch kriegerische Handlungen alle humanen und moralischen Fundamente zerstรถrt, auf denen Vertrauen wachsen und Konfliktlรถsungen sich abzeichnen kรถnnten.
Ein Blick nach Afghanistan oder in den Nahen Osten lehrt, dass kein Waffengang der letzten Jahrzehnte irgendein Problem gelรถst oder einen Sieger hervorgebracht hรคtte. Stattdessen entstehen in den betroffenen Regionen รถkologische und bei den Menschen moralische Wรผsten. In ihnen geht nur eine Saat auf: die der Gewalt, die Sprache der Verlierer.
Heute mรถchte ich keinen Moment das politische und militรคrische Gewalt- und Aggressionspotential Russlands unter der Fรผhrung Wladimir Putins in Abrede stellen. Auch mache ich mir รผber Putins derzeitigen Kriegswillen keine Illusionen. Die Frage ist aber: Lassen wir uns von ihm auf die Verliererstraรe des Krieges ziehen? Gehen die europรคischen Lรคnder das Risiko der Eskalation ein, dass sich der Krieg auf ganz Europa ausdehnt? Sind die Bilder zerstรถrter Stรคdte und getรถteter Zivilisten 1945 schon so verblasst, dass man sich nicht mehr entschlossen der Eigendynamik eines Krieges entgegenstellt?
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte auf der Pressekonferenz nach seiner Verhandlung mit Wladimir Putin in Moskau am 15. Februar 2022: โEs ist unsere verdammte Pflicht und Aufgabe, als Staats- und Regierungschefs zu verhindern, dass es in Europa zu einer kriegerischen Eskalation kommt.โ
Beteiligen wir uns also nicht am Aufmarsch der Verlierer! Gรถnnen wir Putin nicht den Erfolg seines Diktates und erklรคren unsere โverdammte Pflicht und Aufgabeโ fรผr beendet. Beides fรคngt jetzt erst an!
Zum Blog von Christian Wolff: http://wolff-christian.de
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