Die Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig (GfZL) hat anlässlich des diesjährigen Internationalen Gedenktages für die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar eine Erklärung zum ehemaligen KZ-Außenlager „HASAG Leipzig“ in der Kamenzer Straße an Oberbürgermeister Burkhard Jung überreicht. Die Institution fordert die Stadt Leipzig damit auf, sich endlich aktiv für eine Verbesserung der Situation in der Kamenzer Straße 12 einzusetzen.

In der Kamenzer Straße befand sich bis Mai 1945 ein Außenlager des KZ Buchenwald. Über 5.000 weibliche Gefangene waren hier untergebracht. Für den Rüstungsbetrieb HASAG mussten sie Granaten, Munition und Panzerfäuste herstellen. Einen Monat vor der Befreiung wurden die Mädchen und Frauen auf einen Todesmarsch geschickt.

Rechtsrock-Konzerte und Kampfsport

Im Jahr 2009 fand vor dem Gelände eine Gedenkveranstaltung für die Opfer statt. Während die Überlebende Esther Bejarano (verstorben am 10. Juli 2021) zu den Teilnehmenden sprach, wurde es am Rand der Veranstaltung unruhig, als der Besitzer versuchte, auf sein Grundstück zu gelangen. Schon zu diesem Zeitpunkt habe man gewusst, dass ein „Rechtsextremer“ das Grundstück im Nordosten Leipzigs erworben hatte, bestätigte der damalige Polizeipräsident Horst Wawrzynski.

Seitdem fiel das Gelände wiederholt durch neonazistische Aktivitäten wie Rechtsrock-Konzerte oder rechtsradikal motivierte Kampfsporttrainings und -veranstaltungen auf. Bis 2020 befand sich hier die Trainingsstätte des „Imperium Fight Team“ rund um den Neonazi und Wurzener Stadtrat Benjamin Brinsa.

„Das Gebäude in der Kamenzer Straße 12 ist das einzige, heute noch erhaltene ehemalige KZ-Gebäude in Leipzig und ein authentischer Ort nationalsozialistischer Verbrechen“, heißt es seitens der Gedenkstätte. Daher sei eine solche Nutzung durch rechtsextreme Strukturen durch die Stadt Leipzig zu unterbinden.

Jonas Kühne, Vorsitzender des Trägervereins der Gedenkstätte für Zwangsarbeit, erklärt hierzu: „Die heutige Nutzung des Gebäudes stellt ein Bedrohungsszenario dar, das ein Aufsuchen des Ortes im Rahmen von Gedenkveranstaltungen oder Bildungsarbeit nahezu unmöglich macht.“

Zurück in die öffentliche Hand

Auch die Gedenktafel, die vor dem Gebäude angebracht ist, wurde bereits mehrfach zerstört. „Erfreulicherweise führen wir inzwischen Gespräche mit dem Kulturamt der Stadt Leipzig über die Errichtung einer städtischen Informationstafel vor Ort. Doch wird diese Aussicht schon jetzt davon getrübt, dass sich Menschen aufgrund der Eigentümerverhältnisse mitunter nicht an diesen Ort trauen, um sich zu informieren und zu gedenken“; so Josephine Ulbricht, Mitarbeiterin der Gedenkstätte.

„Die Maximalforderung müsste also eigentlich lauten, den Besitzer der Kamenzer Straße zu enteignen und den Ort zu einem Gedenkort zu machen“, so Linken-Stadträtin Juliane Nagel. Dafür seien der Stadt aber wohl die Hände gebunden.

Diese erkennt im Mai 2020 jedoch an, „dass der Gebäudekomplex in der Kamenzer Straße 10/12 als ehemaliges Zwangsarbeiter/-innenlager der HASAG und größtes Frauenaußenlager des KZ Buchenwald von besonderer historischer Bedeutung ist.“ Man „verurteilt die aktuelle Nutzung durch Neonazis“.

Eine Gedenktafel beim ersten Halt der antifaschistischen Fahrrad-Demo am 9. Mai: die Kamenzer Straße 12. Foto: LZ
Eine Gedenktafel beim Halt der antifaschistischen Fahrrad-Demo am 9. Mai: die Kamenzer Straße 12. Foto: LZ

Außerdem wolle man das Sächsische Landesamt für Denkmalpflege bitten, zu prüfen, ob der Gebäudekomplex unter Denkmalschutz zu stellen ist. 2021 erfolgte die Auswertung der Landesbehörde. Diese ergab jedoch, dass man das Areal nicht als Bodendenkmal ausweisen könne. „‚Die Nutzung des Gebäudes als Unterkunft von zur Zwangsarbeit rekrutierten weiblichen KZ-Häftlingen zwischen Juni 1944 und April 1945 ist in baulicher und architektonischer Hinsicht nicht mehr darstellbar‘“, zitiert die Stadt Leipzig die Antwort des Landes.

Weiteren Druck auf die Landesbehörde will man nicht ausüben, heißt es seitens der Stadt Leipzig. Im August erklärte ein Pressesprecher der Stadt auf LZ-Anfrage, dass man derzeit den Eigentümer Ludwig K. zur Nutzung des Objektes anhöre. Neuigkeiten gibt es seither nicht.

Unterzeichner/-innen gesucht

Mit der Veröffentlichung der Erklärung wird sich das hoffentlich ändern. „Wir konnten bereits im Vorfeld eine Reihe namhafter Erstunterzeichner/-innen gewinnen“, berichtet das Team der Gedenkstätte. Darunter Floriane Azoulay, Direktorin des Arolsen Archives (International Center on Nazi Persecution), Thomas Feist, Beauftragter der Sächsischen Staatsregierung für das Jüdische Leben, Nora Goldenbogen und Vorsitzende des Landesverbandes Sachsen der Jüdischen Gemeinden. Aus Leipzig kommen noch der Leiter des Ariowitsch-Hauses, Küf Kaufmann, die TDJW-Intendantin Winnie Karnofka, Juliane Nagel und viele weitere hinzu. Auch verschiedene Institutionen haben sich an der Unterzeichnung beteiligt.

Die Erklärung kann seit dem 27. Januar 2022 auf der Website der GfZL unterzeichnet werden. Dort finden Interessierte auch alle weiteren Informationen.

„Erklärung zur Kamenzer Straße“ erschien erstmals am 28. Januar 2022 in der aktuellen Printausgabe der Leipziger Zeitung (LZ). Unsere Nummer 98 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.

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