In den vergangenen Monaten und Wochen wurde viel berichtet über Streiks an Unikliniken und Hochschulen. Beides Einrichtungen der Länder. Gestreikt wurde jedoch auch um eine Erhöhung der tariflichen Entlohnung in allen Bereichen des Gesundheitswesens, der Polizei, der Wissenschaft, Forschung und Lehre und vielem mehr. Soweit lief es wie immer im zweijährigen Turnus, wenn die Gewerkschaft ver.di gemeinsam mit dem Beamtenbund (dbb) für alle DGB-Gewerkschaften mit dem Arbeitgeber Staat verhandeln. Und trotzdem war vieles anders. Corona hat die Kassen der öffentlichen Hand geleert und ausbaden sollen es nun genau die Berufsgruppen, die am Menschen und für den Menschen arbeiten. Und die Funktionsfähigkeit des Staates aufrechterhalten.

Das Ergebnis der Verhandlungen, an welchen durch den DGB auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), die Gewerkschaft der Polizei (GdP) und die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG Bau) beteiligt waren, ist niederschmetternd.

Eine glatte Nullrunde im Jahr 2021 und Ende 2022 soll es eine Erhöhung um 2,8 Prozent geben. Bei der gleichzeitigen Meldung einer Inflationsrate von fünf Prozent bereits jetzt bedeutet dies eine deutliche Minusrunde für die 1.100.000 Tarifbeschäftigten und 1.300.000 Beamt/-innen der Länder, auf die das Ergebnis entsprechend übertragen wird. Die faktische Lohnsenkung betrifft also rund 2,5 Millionen Menschen und ihre Familien direkt.

Indirekt strahlt genau dieses Ergebnis aber noch weiter aus, denn in vielen Bereichen gelten der Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVöD) und der TVL als Leitwährungen zur Entwicklung der Tarifverträge vieler Branchen und auch Fördergelder werden auf Basis genau dieser Tarifverträge ausgezahlt. Das heißt, die Wirkung eines solchen Tarifabschlusses ist wesentlich weiter zu begreifen, als „nur“ für die zukünftige Entlohnung von Polizist/-innen, Lehrer/-innen, Kitaerzieher/-innen oder Kranken- und Altenpfleger/-innen.

Doch bereits im Kern der Vereinbarungen trifft es einen Öffentlichen Dienst, welcher vor allem in den 1990er und 2000er Jahren extrem ausgedünnt wurde, vor allem durch Stellenabbau und Privatisierungen in Bund, Ländern und Kommunen. Wie stark bereits früh die Axt an die Handlungsfähigkeit des Staates gelegt wurde, zeigen zwei Jahreszahlen.

2010 waren im gesamten öffentlichen Dienst 4,5 Millionen Menschen beschäftigt. Im Vergleich dazu waren es im Jahr 1991 noch 6,7 Millionen. Das ist eine Ausdünnung um mehr als 30 Prozent.

Die erste „Krise“

Das alles fiel zum ersten Mal 2015 massiv allen Menschen sichtbar auf die Füße, als man feststellen musste, dass der Staat nicht in der Lage war, schnell auf die Aufgabe zu reagieren, Geflüchtete in größerer Zahl aufzunehmen. Die ausgedünnten Ämter und angrenzenden Bereiche, wie Unterkünfte und Sozialbetreuung, mussten hastig aufgestockt werden. Und auch hier geschah dies wieder zum Teil im Auftrag des Staates an private Träger.

Man kann sogar sagen, dass es wohl ohne die darüber hinaus massiv aktivierte Zivilgesellschaft dennoch nicht gelungen wäre, die Aufgabe zu schultern.

In Leipzig brachte der Zuzug von vielen Menschen in die Stadt einen Stellenzuwachs in den notwendigsten Bereichen, alles rund um Kita und Schule wurde in kürzester Frist aufgerüstet. Denn auch hier gab es vorher massiven Abbau, was man an fehlenden Kitaplätzen, Schulen und enorm langen Bearbeitungszeiten, wie z. B. bei den Standesämtern, erleben konnte.

„Corona“ legt offen, was nicht stimmt oder „Krise“ 2

Seit nunmehr fast zwei Jahren hält Corona all die genannten Strukturen in Atem und mit der Pandemie zeigen sich erneut gravierende Lücken, die wir im Öffentlichen Dienst gerissen haben. Diesmal betraf und betrifft es die Gesundheits- und Ordnungsämter. Notgedrungen musste auch hier nachgesteuert werden und dies bei Meldungen zum Fachkräftemangel bereits vor der Coronakrise. Und gerade werden auch Lücken bei den Polizeibeamten in Sachsen unübersehbar.

Dabei ist noch nicht einmal die wirklich prekäre Lage bei den Pflegekräften erwähnt. Hier sind schon seit Jahren kriminell viele Stellen unbesetzt. Auch in den Kliniken und Einrichtungen der öffentlichen Hand wird es immer schwieriger, Fachkräfte für diesen Bereich zu finden.

Gewichtiger Grund dafür ist nicht nur die vergleichsweise schlechte Bezahlung für diese sehr schwere Arbeit, es sind vor allem auch die Arbeitsbedingungen wie Schichtdienste ohne Ersatz, Überstunden und familienfeindliche Einsatzzeiten, welche viele Menschen aus ihrem eigentlichen Traumberuf hinaustreiben.

Kurz vor Weihnachten ist die Zeit für Wünsche…

Irena Rudolph-Kokot (SPD). Foto: LZ
Irena Rudolph-Kokot (SPD). Foto: LZ

Wie wäre es denn, wenn wir den Öffentlichen Dienst wieder so aufstellen, dass dieser in der Lage ist, auch schnell und fachlich qualifiziert auf außergewöhnliche Situationen, die immer wieder auftreten werden, zu reagieren? Wie wäre es, wenn wir uns anschauen, welche Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge doch lieber in die Hände des Staates und nicht in private gehören?

Und wie wäre es, wenn wir die Menschen, die unseren Staat am Laufen halten, die als Ärzte und Pflegepersonal in Krankenhäusern, als Sozialbeiter/-innen, als Erzieher/-innen, Lehrer/-innen, Bürgeramtsmitarbeiter/-innen, Gremienbetreuer/-innen und Beschäftigte vieler anderer Bereiche am und mit Menschen arbeiten, beständig wertschätzen, ihnen ordentliche Arbeitsbedingungen und eine gute Bezahlung geben?

Denn es ist leider schon längst nicht mehr so, dass eine Arbeit im öffentlichen Sektor besonders attraktiv ist – leider. Das muss sich ändern. Der Staat als Arbeitgeberin muss wieder absolutes Vorbild werden. Sonst ist „Krise“ Nummer drei sicher.

Irena Rudolph-Kokot ist Vorsitzende der SPD Leipzig, Bundesvorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmer/-innenfragen AfA in der SPD und Landesvorsitzende der AfA in der SPD Sachsen. Informationen über die AfA im Netz

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