Erneut ist es bei einer „Querdenken“-Demonstration in Leipzig zu Gewalt gegen Polizist/-innen und Journalist/-innen gekommen. Diese ereignete sich unter anderem bei Versuchen der „Querdenker“, die Polizeiabsperrungen zu durchbrechen – was in der Regel verhindert werden konnte. Die Polizei meldete sechs verletzte Beamte, Oberbürgermeister Burkhard Jung verurteilte die Gewalt und die Leipziger SPD zog ein gemischtes Fazit zum Polizeieinsatz.

Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) hat sich am Sonntag, dem 7. November, zur Demonstration von „Querdenken“ am Vortag zu Wort gemeldet: „Nun ist die Maske endgültig gefallen. Spätestens seit gestern muss allen klar sein, dass die sogenannte Querdenker-Bewegung nicht nur die Begleitung von rechtsextremistischen Kreisen in Kauf nimmt, sondern sich kalkuliert gewalttätig unterstützen lässt.“

Pfefferspray unter den Helm

Laut Polizei waren gestern sechs Beamte verletzt worden. Einem von ihnen soll Pfefferspray unter den Helm gesprüht worden sein, sodass dieser nichts mehr sehen konnte und im Krankenhaus behandelt wurde. Der Vorfall ereignete sich an der Kreuzung von Goethestraße und Ritterstraße, wo „Querdenker“ versucht hatten, die Polizeikette zu durchbrechen.

Die LZ konnte beobachten, dass dort tatsächlich mindestens ein Polizist verletzt wurde und behandelt werden musste.Weiter teilte Jung in Bezug auf die „Querdenken“-Bewegung mit: „Sie haben keinerlei Berührungsängste zur radikalen Rechten, verbündet sich sogar offen mit Neonazis. Diese unsäglichen Proteste sind antidemokratisch unterwandert, verletzen bewusst die Regeln und Gesetze und sind Ausdruck einer egoistischen, unsolidarischen Haltung. Dies ist für mich vollkommen indiskutabel.“

NPD-Jugend in Gewahrsam

Jung spielt dabei darauf an, dass sich auch gestern wieder organisierte Neonazis an der Demonstration beteiligt haben, wobei es wohl nicht so viele waren wie ein Jahr zuvor. Vor Ort waren unter anderem die „Messestadtaktivisten“, die regionale Jugendorganisation der NPD. Nach eigenen Angaben wurde die Gruppe von der Polizei in Gewahrsam genommen. Laut Polizei betraf eine solche Maßnahme insgesamt „24 Personen des rechten Spektrums“.

Wenngleich sich organisierte Rechtsradikale auch diesmal wieder an den Gewalttätigkeiten beteiligten, waren es nach Beobachtung von LZ-Reporter/-innen größtenteils eher unorganisierte und vermeintlich bürgerliche Personen, die sich Auseinandersetzungen mit der Polizei lieferten.

Nicht selten waren bei den Versuchen, eine Polizeiabsperrung zu überwinden, augenscheinliche Rentnerpärchen ganz vorne mit dabei. Auch die verbalen Unmutsbekundungen, die bis zu Todesdrohungen reichten, stammten meist nicht von Personen, die der Neonaziszene zuzuordnen sind.

Dadurch unterschied sich die Demonstration von jenem Aufmarsch vor einem Jahr, als überwiegend rechte Hooligans den Weg freiräumten.

Die Polizei registrierte gestern Abend nach eigenen Angaben insgesamt 48 Straftaten. Derzeit werde gegen 43 bekannte Beschuldigte ermittelte. In der Grimmaischen Straße wurden über mehrere Stunden etwa 500 Personen in Gewahrsam genommen. Sie sollen an einem verbotenen Aufzug durch die Innenstadt teilgenommen haben. Die LZ konnte beobachten, dass jedoch auch mutmaßlich Unbeteiligte in dem Kessel landeten.

Aufzug über den Ring verhindert

Sofern es oberstes Ziel der Polizei war, einen erneuten Aufzug über den Ring zu verhindern, kann der Einsatz als Erfolg gewertet werden. Insbesondere auf der Goethestraße ging sie teils brutal mit Pfefferspray und Schlagstöcken gegen „Querdenker“ vor, die die Absperrungen und Polizeiketten überwinden wollten.

Teilweise wirkte der Einsatz überzogen, teilweise schien er nötig, da die „Querdenker“ ihrerseits ein hohes Gewaltpotential zeigten. Immer wieder war beispielsweise zu beobachten, wie sich Umstehende mit Personen solidarisierten, die in Gewahrsam landeten, und dabei versuchten, diese zu befreien. Ein ähnlich hohes Aggressionsniveau gegenüber Beamt/-innen war auch schon bei früheren Demonstrationen aus dem „Querdenken“-Spektrum zu beobachten.

SPD kritisiert fehlenden Schutz für DGB-Kundgebung

Irena Rudolph-Kokot, Vorsitzende der Leipziger SPD, zog ein gemischtes Fazit. Die Szenen vom 7. November 2020 hätten sich auch dank eines „konsequenten“ Polizeieinsatzes nicht wiederholt. Allerdings seien die Aufzüge durch die Innenstadt zu verhindern gewesen, so Kokot und ihre Stellvertreterin Julia Kneisel. Zudem sei die DGB-Versammlung auf dem Augustusplatz zeitweise ungeschützt gewesen.

Betroffen von Gewalt durch „Querdenker“ waren nicht nur Polizist/-innen. Auch Journalist/-innen und Gegendemonstrant/-innen meldeten teils brutale Angriffe. Pöbeleien und verbale Belästigungen waren keine Seltenheit.

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