Nachdem der jรผdische Rockmusiker Gil Ofarim รถffentlich gemacht hatte, dass er am 4. Oktober im Leipziger โ€žWestinโ€œ-Hotel antisemitisch beleidigt worden sei, ist einiges passiert: eine Demonstration, mehrere Strafanzeigen, Solidaritรคtsbekundungen, aber auch Zweifel. Sogar die internationale Presse hat den Vorfall aufgegriffen.

Was bisher passiert ist

Am 5. Oktober verรถffentlicht Gil Ofarim in den sozialen Medien ein Video, in dem er vor dem โ€žWestinโ€œ-Hotel sitzt. Sichtlich mitgenommen schildert er folgenden Vorfall: Das Check-In-System des Hotels sei ausgefallen, eine lange Schlange hatte sich gebildet. Aus dieser wurden nach und nach Leute an die Rezeption geholt โ€“ auch solche, die hinter Ofarim gewartet hatten.

Als der Sรคnger den Rezeptionisten, einen โ€žHerr W.โ€œ fragt, warum Leute, die hinter ihm stehen, vorgezogen werden, soll eine Person gerufen haben: โ€žPack deinen Stern ein!โ€œ Der Mitarbeiter soll diese Auffassung geteilt haben. Nur wenn Ofarim die Kette einpacken wรผrde, dรผrfe er einchecken. Das Video sorgte im Netz fรผr Empรถrung. Bereits am Abend nach der Verรถffentlichung fanden sich 600 Personen zu einer Solidaritรคtskundgebung vor dem Hotel zusammen. Auch einige Mitarbeiter/-innen des โ€žWestinโ€œ hatten sich mit einem Banner vor das Hotel gestellt.

Fรผr dieses ernteten sie jedoch viel Kritik: Denn neben mehreren Fahnen Israels waren Halbmonde als Symbol des Islam darauf abgedruckt. Beim Hotel gebe es offenbar kaum Bewusstsein dafรผr, dass Juden und Jรผdinnen ein Teil der deutschen Gesellschaft seien, so Josef Schuster, Prรคsident des Zentralrates der Juden.

An besagtem Demoabend hatte das โ€žWestinโ€œ eine Leipziger Sicherheitsfirma beauftragt: โ€žPro GSL Securityโ€œ. Die beiden Geschรคftsfรผhrer, Tobias B. und Oliver R., sind Angehรถrige der rechtsextremen Szene. Wรคhrend sich das Hotel zu der Sicherheitsfirma nicht รคuรŸern will, รผberprรผft nun die Stadt Leipzig die Gewerbegenehmigung von โ€žPro GSLโ€œ.

Das Hotel beurlaubte jedoch den beschuldigten Mitarbeiter. Bereits am 6. Oktober stellte dieser laut Polizei zwei Anzeigen: eine gegen Ofarim wegen Verleumdung, die zweite wegen Bedrohung, weil sich die Menschen in den sozialen Netzwerken entfesselt und bรถsartig รผber ihn und das Hotelpersonal geรคuรŸert hรคtten. Zu diesem Zeitpunkt hatte Ofarim selbst den Beschuldigten noch nicht angezeigt; nur ein unbeteiligter Dritter hatte Anzeige wegen Volksverhetzung gegen den Mitarbeiter gestellt.

Ofarims Anzeigen folgten erst eine Woche spรคter, am 12. Oktober. Eine stellte er wegen der antisemitischen Beleidigungen, eine andere wegen des Tatvorwurfs der falschen Verdรคchtigung als Reaktion auf die Anzeige des Hotelmitarbeiters.

Interne Ermittlungen

Wรคhrend die Muttergesellschaft des โ€žWestinโ€œ, die Marriott-Gruppe, sich bei Ofarim entschuldigte, verkรผndete das Hotel, dass es eigene Ermittlungen anstellen wรผrde. Neben den polizeilichen Untersuchungen habe man nun eine spezialisierte Rechtsanwaltskanzlei beauftragt, hieรŸ es wenige Tage nach dem Vorfall.

Man sei ein internationales und weltoffenes Haus und distanziere sich ausdrรผcklich von Diskriminierungen jeglicher Art. Deshalb sei die unternehmensinterne Ermittlung und die Erstellung eines umfangreichen Gutachtens wichtig gewesen.

Zum einen sollte rekonstruiert werden, was am Abend des 4. Oktober in der Lobby vorgefallen war. Zum anderen sollte untersucht werden, ob es hinreichend konkrete Anhaltspunkte gibt, โ€žum strafrechtliche oder arbeitsrechtliche MaรŸnahmen gegen den Mitarbeiter anstrengen zu kรถnnenโ€œ.

Im Rahmen einer Compliance-Untersuchung wurden alle Gรคste identifiziert, die sich zu besagtem Zeitpunkt im Check-In-Prozess befunden haben. Mit diesen sowie den Mitarbeiter/-innen und Zeug/-innen, die zum Randgeschehen Angaben machen konnten, wurden Interviews gefรผhrt.

Die Aufnahmen der Videoรผberwachungsanlage und etwaige Manipulationen wurden durch einen โ€žauf Bild- und Videoforensik spezialisierten Sachverstรคndigenโ€œ ausgewertet. Das Ergebnis des 118 Seiten langen Gutachtens: Es liegen keine Anhaltspunkte vor, die es rechtfertigen wรผrden, MaรŸnahmen gegen den beschuldigten Mitarbeiter zu ergreifen.

Laut Medienberichten sollen die Aufnahmen der รœberwachungskameras Zweifel an Ofarims Version des Vorfalls schรผren. Auf den Videos sei die Kette mit Davidstern gar nicht zu sehen.

Andere Medienberichte legen nun aber nahe, dass diese Behauptung aufgrund der schlechten Bildqualitรคt und Lichtverhรคltnisse in der Lobby gar nicht getroffen werden kann. Videoaufnahmen, auf denen Ofarim das Hotel verlรคsst, zeigen dann scheinbar doch die Davidstern-Kette, die aufgrund einer Reflektion sichtbar wird.

โ€žIch habe meine Kette angehabt โ€“ wie immer. Ich trage sie auch in den sozialen Netzwerken oder bei Auftritten, deshalb wurde ich angefeindet. Ich kann nochmal zu hundert Prozent sagen, dass ich die Kette die ganze Zeit um den Hals getragen habeโ€œ, so Ofarim gegenรผber der Leipziger Zeitung (LZ). Auf die Frage, ob er sich sicher sei, dass das Wort โ€žSternโ€œ gefallen ist, gibt es keine Antwort.

Eine zweite Version

Wรคhrend sich das โ€žWestinโ€œ bisher nicht zu den konkreten Ergebnissen der Ermittlungen รคuรŸert, liegen der LZ unbestรคtigte Informationen vor, die eine andere Version des Vorfalls aufzeigen. Der beschuldigte Herr W. sei an besagtem Abend โ€žManager of the Nightโ€œ gewesen, also der Leiter der Rezeption. Laut รผbereinstimmenden, unabhรคngigen Aussagen soll W. ein weltoffener Mensch sein, der sich fรผr Toleranz am โ€žWestinโ€œ engagiert.

Am 4. Oktober sei das Check-In-System zusammengebrochen. Die Gรคste, die vorgezogen wurden, seien Stammgรคste gewesen, deren Daten schon hinterlegt waren. Diese konnten im Gegensatz zu den anderen Gรคsten analog mit einer Unterschrift einchecken.

Ofarim habe wie alle anderen Gรคste warten mรผssen, habe den Rezeptionisten aber irgendwann erzรผrnt zur Seite genommen. Der Rockmusiker soll immer lauter geworden sein und Herr W. habe ihn gebeten, sich zu beruhigen, sonst dรผrfe er nicht einchecken.

Letztlich lรคsst sich zu diesem Zeitpunkt nur eines sagen: Es steht Aussage gegen Aussage in diesem sehr brisanten Fall. Wann die Ermittlungen abgeschlossen und die Ergebnisse verรถffentlicht werden kรถnnen, lieรŸ die Staatsanwaltschaft Leipzig unbeantwortet. Die Ergebnisse der internen Ermittlungen des โ€žWestinโ€œ kรถnnen zu diesem Zeitpunkt aber nicht als strafrechtliche Entlastung des beschuldigten Mitarbeiters gesehen werden.

โ€žDer Westin-Vorfall: Chronologie und verschiedene Versionen der Wahrheitโ€œ erschien erstmals am 29. Oktober 2021 in der aktuellen Printausgabe der Leipziger Zeitung (LZ). Unsere Nummer 96 der LZ finden Sie neben GroรŸmรคrkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehรคndlern.

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