Ein Jahr ist nun schon wieder herum, da fluteten unter anderem Schwaben, Bayern, Berliner und Sachsen am 7. November 2020 erst den Augustusplatz und machten sich anschließend gegen jede Vernunft und Coronaschutzidee dichtgedrängt und maskenfrei auf den Rundgang über den Leipziger Ring. Was sich bei vielen Leipziger/-innen als einer der wohl groteskesten Tage der Pandemie und ein gerüttelt Maß an Staatsversagen eingeprägt hat, gilt der sogenannten „Querdenker“-Szene als das Synonym für geleisteten Widerstand. Der Tag wird längst glorifiziert, statt randalierender Neonazis und Hooligans bemüht man gern Bilder mit Kerzen auf den LVB-Schienen am Georgiring. Am 6. November 2021 wollen sie nun erneut mit Neonazis gemeinsam ein weiteres 1989-Reenactment begehen. Wenn da nicht die steigenden Corona-Zahlen und der Gegenprotest wären.
Im Vorfeld der kommenden Versammlungen am 6. November 2021 sieht sich die „Bewegung Leipzig“ auf ihrem sonst eher stiller gewordenen Telegram-Kanal gleich mal direkt in der Nachfolgerschaft jener Mutigen vom 9. Oktober 1989 und verkündet: „Start des Aufzugs: 15 Uhr Augustusplatz, Route wie 89“.
Bei der deutlich rechtsradikalen bis -extremen „Bürgerbewegung Leipzig“ heißt es gleichfalls soldatisch kurz auf einem Schaubildchen „Aufruf zur bundesweiten Demonstration“ und „Leipzig auf der Straße wie vor einem Jahr“.Hier will man sich ab 19 Uhr auf dem Richard-Wagner-Platz versammeln und hofft offenbar auf deutlich mehr als die üblichen 70 bis 80 Teilnehmerinnen der vergangenen Wochen beim montäglichen Stelldichein mit AfD bis NPD. Mit den einst 25.000 bis 40.000 Teilnehmer/-innen (je nach Schätzung) rechnet am 6. November wohl auch bei der damals anmeldenden „Bewegung Leipzig“ kaum jemand wirklich.
Die Zahl dürfte am Samstag ab 15 Uhr auf dem Augustusplatz dramatisch geringer ausfallen angesichts der geschrumpften Szene bei gleichzeitiger Radikalisierung.
Beide „Bewegungen“ eint, neben den eifrig verbreiteten Verschwörungstheorien, der Gedanke, am kommenden Samstag lichternd und Plakate in die Höhe haltend letztlich irgendwie alle auf dem Leipziger Ring zu landen und da die „Route 89“ zu absolvieren.
Was bereits in normalen Zeiten aufgrund der zuletzt immer enger werdenden rechtsextremen Verquickungen der „Bürgerbewegung Leipzig“ mit den Jungen Nationalisten (JN) und damit der NPD zu Gegenprotest führen würde, wird nun von sachsenweit deutlich und schnell ansteigenden COVID-19-Zahlen überschattet.
Erst heute erreichte die LZ die Meldung, auch Kultusminister Christan Piwarz habe sich mit COVID-19 infiziert.
#Corona #Leipzig
▫️7-Tage-Inzidenz: 141,1 (+0,3 zum Vortag)
▫️positiv: 26.771 (+35)
▫️Todesfälle: 549 (+0)Patienten
▫️Leipzig Krankenhäuser: 70 (+18)
Sachsen:
▫️Normalstation: 776 (+77)
▫️Intensiv: 199 (+20)
▫️Inzidenz Hospitalisierung: 5,55 (-0,44)https://t.co/cSWQjflU0c pic.twitter.com/8uybENGSFg— Stadt Leipzig (@StadtLeipzig) November 2, 2021
Stadt beobachtet und wird wahrscheinlich beauflagen
Während sich also „Leipzig nimmt Platz“ auf eine breite Protestaktion am 06.11.2021 vorbereitet (hier der Aufruf „Keine Nazis auf dem Ring“) und morgen dazu sogar eine Extra-Pressekonferenz veranstaltet (L-IZ.de ist dabei), kommen auf Nachfrage der LZ bereits am heutigen Dienstag nachdenkliche Töne aufgrund der COVID-Lage aus dem Leipziger Rathaus.
So bestätigt ein Sprecher, dass „angesichts der Entwicklung der Corona-Fallzahlen – hier insbesondere die Bettenauslastung in den Krankenhäusern“ – weiter beobachtet wird, „ob die zu erwartenden weitergehenden Beschränkungen der Versammlungen gemäß § 12 Sächsische Corona-Schutzverordnung eintreffen.“
Grundsätzlich sei es derzeit in der Vorabschätzung so, „dass das aufgrund der überschrittenen Schwellenwerte zu erwartende Erreichen der Vorwarnstufe im Verlaufe dieser Woche auch Auswirkungen auf die angemeldeten Versammlungen am Wochenende haben wird.“
Und diese Vorwarnstufe hätte Konsequenzen für alle Versammlungsanmelderinnen vom Samstag, 6. November 2021. „Für Versammlungen regelt § 12 Abs. 1 SächsCoronaSchVO, dass diese während der Geltung der Vorwarnstufe ausschließlich ortsfest zulässig und auf eine Teilnehmerzahl von maximal 1.000 Personen begrenzt sind.“
Damit würden, hält der Trend bei den COVID-19-Zahlen in den kommenden Tagen an, die „Route 89“ für beide „Bewegungen“ ausfallen und die Versammlungen nur als stehende Kundgebungen zugelassen werden. Im Laufe der Woche will die Stadt nun diese Zahlen nochmals aktualisiert abwarten und dann entsprechend beauflagen.
Kommt es, wie es sich nicht zuletzt im gestrigen Krisengespräch unter Beteiligung von Michael Kretschmer und Sozialministerin Petra Köpping andeutete, zu diesen Einschränkungen wegen der längst wieder zugespitzten Lage bei den Neuerkrankten und den Krankenhausbelegungen, wird das die Propagandamühle der „Querdenker“ wieder richtig zum Rotieren bringen.
Man darf wohl – blickt man auf die oft verqueren Interpretationen der Wortführer in den letzten Monaten – davon ausgehen, dass die kleinen und großen Anführer der regionalen Szene jede Corona-Einschränkung als einen diktatorischen Akt des Staates gegen sie und ihren Freiheitskampf werten werden. Und damit bis zum 6. November ihre Demoaufrufe flankieren.
Die COVID-19-Entwicklungen weltweit
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