Vor acht Jahren kochte im eher beschaulichen Gohlis einige Wochen die Aufregung hoch, als der lokale Ableger der Ahmadiyya Muslim Jamaat den Bau einer Moschee auf einem Privatgrundstรผck ankรผndigte. Doch die nรคchsten Jahre wurde es weitgehend ruhig um das Projekt, die Bagger rรผckten bis heute nicht an. Letzte Woche nun erteilte die Stadt Leipzig die endgรผltige Baugenehmigung. Warum es so lange dauerte und wie es weitergehen soll, hat die LZ vor Ort beim Imam und Theologen Umer Rashid Malik erfragt.
Herbstlaub knistert unter den Schuhen. Ein รคlterer Mann spaziert mit seinem Hund den kleinen Pfad entlang, der schrรคg รผber das Grundstรผck durch Bรผsche und Gestrรผpp fรผhrt. Von drรผben dringt Straรenlรคrm ans Ohr. Hier, auf diesem unscheinbaren Areal im Wohngebiet an der Georg-Schumann-, Ecke Bleichertstraรe, plant die Leipziger Ahmadiyya-Muslim-Gemeinde schon seit Jahren den Bau einer Moschee, die Platz fรผr bis zu 100 Glรคubige bieten soll.
Schweinekopf-Anschlag im November 2013
Im Herbst 2013 wurde das Projekt zum ersten Mal รถffentlich kommuniziert โ und lรถste eine erregte Diskussion aus. Neben Zuspruch und Unterstรผtzung aus der Lokalpolitik und Zivilgesellschaft sah sich die kleine Gemeinde, die in Leipzig und Umgebung nur etwa 100 Mitglieder zรคhlt, seinerzeit auch Vorbehalten und Anfeindungen ausgesetzt.
Bei einer hitzigen Debatte in der brechend vollen Michaeliskirche wurde die Polarisierung greifbar, auch offen Rechtsextreme ergriffen neben scheinbar biederen Bรผrgern das Wort gegen ein muslimisches Gebetshaus in ihrer Nachbarschaft. Das war im November 2013 โ der gleiche Monat, in dem unbekannte Tรคter Holzpfeiler mit aufgespieรten Schweinekรถpfen auf dem Grundstรผck deponierten. Ein trauriges Szenario, das sich 2016 in รคhnlich perfider Form wiederholen sollte.
Die Wogen kรถnnten bald erneut hochgehen
Umer Rashid Malik war damals noch Student, bekam die Auseinandersetzungen aber aus den Medien mit. Seit September 2018 betreut der Imam und Theologe die vier sรคchsischen Ahmadiyya-Muslim-Gemeinden in Leipzig, Dresden, Chemnitz und Zwickau, ist daneben auch in Thรผringen und Oberfranken unterwegs. Dort, wo die Moschee mal stehen soll, treffen wir uns zum Gesprรคch. Malik grรผรt freundlich.
Dass die Wogen wieder hochgehen kรถnnten, da die offizielle Baugenehmigung der Stadt Leipzig seit letzter Woche vorliegt, hรคlt der 31-Jรคhrige fรผr durchaus wahrscheinlich: โIch glaube schon, dass es wieder Widerstand und eine Polarisierung geben wirdโ, so der Gohliser. Dafรผr รคuรert er sogar ein gewisses Verstรคndnis, beteuert aber, niemand mรผsse Angst haben.
Ahmadiyya in anderen Lรคndern verfolgt
Die Religionsgemeinschaft der Ahmadiyya, entstanden im Indien des 19. Jahrhunderts, umfasst deutschlandweit nur etwa 50.000 Mitglieder und gilt laut Verfassungsschutz als unbedenklich. Auch Malik betont, mit Terrorismus und Hasspredigern wolle man wie die meisten Muslime nichts zu tun haben. โWir sind die ersten, die sagen, wo eine Terrorzelle entsteht, muss der Verfassungsschutz eingreifen, muss die Polizei vor Ort sein.โ Vielmehr seien Angehรถrige seiner Glaubensrichtung selbst Opfer von Terroristen.
Obwohl sich die kleine Gemeinschaft selbst als muslimisch versteht, wurde sie 1976 durch das pakistanische Parlament und die Weltmuslimliga als โunglรคubigโ deklariert und verstoรen. Seither gab es immer wieder teils brutale Verfolgungen und Diskriminierung, auch von staatlicher Seite wurde die Gruppe oft drangsaliert und gegรคngelt.
โLiberal, aber auch wertekonservativโ
Dennoch wird die Ahmadiyya-Muslim-Gemeinde auch in Deutschland mitunter als extrem abgeschottet und konservativ kritisiert, was im Gegensatz zu ihrem liberalen Anspruch stehe. Imam Malik bezeichnet sie als โliberal, aber auch wertekonservativ.โ Wie in anderen Religionen auch ist das Verhรคltnis zum Thema Homosexualitรคt schwierig, und die Ahmadiyya sprechen sich etwa fรผr die Trennung von Frauen und Mรคnnern beim Beten aus.
Zugleich unterhalten sie eigene Frauenorganisationen, und dass Mรคdchen und Frauen Bildung erwerben und arbeiten, sei fรผr ihn selbstverstรคndlich, so Malik, der betont, auch Andersglรคubige bis hin zu Atheisten und Agnostikern im Freundeskreis zu haben. โEs ist wichtig, dass wir uns gesamtgesellschaftlich bemรผhen und einsetzen, wofรผr das Grundgesetz steht und dass wir uns auf Basis der freiheitlich-demokratischen Grundordnung respektieren.โ
Nach der ersten Aufregung passierte erst einmal โ nichts
Der erste Spatenstich an der Georg-Schumann-Straรe, eigentlich mal fรผr 2014 angesetzt, verschob sich immer wieder, nachdem sich die erste Aufregung gelegt hatte. Passiert ist bis heute nichts, das Grundstรผck wirkt verwildert, soll bald zumindest zurechtgestutzt werden.
Dass das Projekt, jedenfalls in der allgemeinen Wahrnehmung, bald wieder einschlief, lag vor allem an praktischen Barrieren. Neben dem Architekturwettbewerb wurden zusรคtzliche Gutachten eingefordert, vor allem die Parksituation und der Brandschutz waren wichtige Themen. Dazu kommt der finanzielle Aspekt.
All das fraร reichlich Zeit. Malik sieht jetzt wenigstens Licht am Ende des Tunnels: โWir haben natรผrlich das Ziel, die Moschee zu bauen, die Gelder sind erstmal da.โ
Konkreter Baubeginn noch offen
Nicht alle, die Vorbehalte gegen die Moschee geltend machen, sind automatisch rechtsextrem. Manchmal stehen dahinter รngste wie Lรคrmbelรคstigung, was Malik entkrรคftet: Ein Gebetsruf werde nur innerhalb der Halle zu hรถren sein, und die geplanten neun Zierminarette nicht begehbar. รberdies dรผrfen diese die Nachbargebรคude auch nicht รผberragen, dies ist eine der Bauauflagen.
Ein Termin fรผr den Baubeginn steht noch nicht konkret fest. Da es im Winter sowieso kompliziert ist, rechnet Malik damit nicht vor Frรผhjahr 2022, vielleicht aber auch noch spรคter. Fรผr eine Prognose, auch รผber die Dauer des Baus, sind die Unsicherheitsfaktoren zu groร.
In Erfurt-Marbach, wo die Ahmadiyya-Muslim-Gemeinde seit 2018 ebenfalls ein Gebetshaus errichtet, gab es Einschรผchterungsversuche, Drohungen auch gegen beauftragte Baufirmen, Pfusch am Bau. Das warf den Zeitplan immer wieder zurรผck.
Imam: Wir wollen ins Gesprรคch kommen
2023 feiert die Ahmadiyya Muslim Jamaat, wie sie offiziell heiรt, in Deutschland ihr hundertjรคhriges Jubilรคum. Ob die Gohliser Moschee mit hellem Anstrich, Platz fรผr 100 Menschen und kleiner Tiefgarage bis dahin stehen wird, weiร heute niemand. Doch Grundsteinlegung und Erรถffnung sollen offizielle Termine sein. Malik hofft, dass es bald losgeht โ vor allem, da ihm das gegenseitige Kennenlernen und der Austausch extrem wichtig sind.
Darin besteht auch sein vielleicht wichtigstes Signal an die รffentlichkeit: Alle Nachbarn und Interessierten werden jederzeit eingeladen sein, mit der Gemeinde ins Gesprรคch zu kommen, sie zu besuchen und ihre Fragen zu stellen.
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