Selbst in einem Stadtteil, in dem manche so etwas eher nicht vermuten würden, mehrten sich zuletzt offenbar die Fälle sexualisierter Übergriffe. Auf Blogs, in Telegram-Gruppen und auf plakatierten Zetteln fanden sich Schilderungen von Belästigungen, Stalking und Vergewaltigungen. Häufig wurden die Täter der linken Szene zugerechnet. Um auf diese Probleme stärker aufmerksam zu machen, veranstaltete die noch relativ neue Gruppe „Fight Back Leipzig“ am Samstag, dem 16. Oktober, eine Demonstration in Connewitz.

Unter dem Motto „Gegen Macker und Sexisten – Konsequent gegen patriarchale Gewalt“ zogen mehrere hundert Personen durch den Stadtteil. Ganz vorne liefen FLINTA, also Frauen, Lesben sowie inter, nicht-binäre, trans und agender Personen. Teilnehmen durften alle, die wollten – lediglich Täter und Menschen, die Täter unterstützen, waren nicht erwünscht.Was die Demonstration vor allem verdeutlichte: Dass sich immer mehr Betroffene vernetzen und gegen problematisches Verhalten wehren. Dafür stand allein schon diese Demonstration, das zeigt sich aber auch daran, dass in jüngerer Zeit immer wieder Gruppen mit feministischen beziehungsweise anti-sexistischen Anliegen entstanden sind.

https://twitter.com/FightBackLE/status/1449399747706597376

Eine davon ist die Gruppe „Keine Mehr Leipzig“, die als Reaktion auf den Mord an einer Mutter im Leipziger Auwald entstanden ist. Sogenannte Femizide würden immer wieder als Verbrechen aus Liebe oder als Beziehungsdrama verharmlost, beklagte die Gruppe. Besonders gefährdet seien beispielsweise geflüchtete und behinderte FLINTA-Personen, weil diese nur schwer aus toxischen Beziehungen fliehen könnten.

Anspruch der Gruppe sei es, Femizide aus dem Privaten ins öffentliche Bewusstsein zu holen.

Auch die Gruppe „Change Tattoo Leipzig“ ist erst seit einigen Monaten aktiv. Auf ihrem Instagram-Account sammelt sie negative Erfahrungen mit männlichen Tätowierern. Das Tattoostudio sei ein besonders sensibler Bereich, erklärte die Gruppe in einem Redebeitrag während der Demo, weil Kund/-innen mehr oder weniger entblößt seien und sich darauf verlassen müssten, dass beispielsweise Berührungen an eher intimen Stellen für die Arbeit am Körper wirklich nötig sind.

Während der Demonstration gab es vier weitere Zwischenkundgebungen mit jeweils einem Redebeitrag. Darin ging es um die männlich dominierte Punkszene, sogenanntes Catcalling – also die als Kompliment getarnte Belästigung von FLINTA-Personen im öffentlichen Raum –, den Schutz von Tätern durch sein unmittelbares Umfeld, und den Bedarf, die Awareness-Arbeit in Clubs und Bars deutlich zu verbessern, um diese Orte als sicheren Raum wahrnehmen zu können.

Dass sich Übergriffe nicht dadurch entschuldigen lassen, dass ein Täter schon lange im Kiez wohnt oder viel für die linke Szene geleistet hat, war eine zentrale Botschaft der Demonstration.

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Es gibt 2 Kommentare

Mir kam gerade der Gedanke, dass es seltsam (oder doch bezeichnend?) ist, dass gerade jene, die die Natur des Menschen am stärksten leugnen, am meisten entsetzt sind, wenn sie zum Vorschein kommt.
Oder sollte ich besser von der Unnatur reden? Keine Ahnung, aber es wird bestimmt einige schlaue Philosophen geben, die diese Frage beantworten können.

Da dreht man die Schraube tief ins eigene Fleisch in Connewitz, aber was immer wieder fehlt, ist der Blick aufs große Ganze. Ich habe mir gerade mal die Daten vom BKA (letzter Stand ist 2019) angesehen – und einige(!) Zahlen überraschen (zumindest) mich:

“Gegenüber 2018 ist die Anzahl der Opfer partnerschaftlicher Gewaltdelikte 2019 erneut, wenn auch
nur um 0,74 %, angestiegen (2019: 141.792, 2018: 140.755), was die in den Vorjahren festgestellte
Entwicklung bestätigt und die zunehmende Bedeutung des Gesamtphänomens verdeutlicht.”

Weiter heißt es: “Von insgesamt 118.176 bei vollendeten und versuchten Delikten der Partnerschaftsgewalt erfassten Tatverdächtigen waren 66,1 % deutsche Staatsangehörige (78.088 TV). Der Anteil männlicher Tatverdächtiger lag hier bei 77,3 % (60.344 TV), der Anteil weiblicher Tatverdächtiger bei 22,7 % (17.744 TV).”

https://www.bka.de/DE/AktuelleInformationen/StatistikenLagebilder/Lagebilder/Partnerschaftsgewalt/partnerschaftsgewalt_node.html

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