Seit dem gestrigen Montag, 18. Oktober 2021, liegen quasi allen beteiligten Behörden Anfragen der LZ zur Demonstration am 23. Oktober 2021 vor. Im Raum steht ein für Leipzig – außerhalb der durch Infektionsgefahren begründeten Versammlungseinschränkungen der letzten zwei Jahre – weitgehend einzigartiger, vermutlicher Verbotsvorgang einer Versammlung. Genauer drei Versammlungen, welche am Samstag, 23. Oktober 2021 unter dem Namen „Alle zusammen! – Autonom, widerständig, unversöhnlich“ stattfinden sollen. Überraschend meldeten am Abend des 18. Oktober 2021 die Anmelderinnen das „Verbot der geplanten Demonstrationen“.
Wenn es eine Überraschung der Stadt Leipzig sein sollte, so wäre sie gelungen. Beim von der LZ am Montag angefragten Verfassungsschutz Sachsen jedenfalls möchte man im Laufe des heutigen Dienstages noch mal das Lagebild über die Erkenntnisse zur geplanten Demonstration am Samstag überarbeiten und am Mittwoch auch an die Presse übersenden.Alles klingt auf Nachfrage so, dass man nochmals alles aktualisieren möchte, um ein präzises Bild und eine Einschätzung zu möglichen Anzeichen von gewaltbereiten Teilnehmerinnen am kommenden Wochenende zu liefern.
Noch am Nachmittag des 18. Oktober schreibt ein Sprecher der Stadt Leipzig im Namen des Ordnungsamtes auf LZ-Nachfrage „Wir können aufgrund der noch nicht abgeschlossenen Kooperationsgespräche noch keine Auskünfte geben, informieren Sie aber rechtzeitig“. Da ist es kurz nach 16 Uhr, danach folgt nichts mehr.
Alles wirkt so, als ob man in den Kooperationsgesprächen mit den Anmelderinnen der drei Demonstrationen eher darum ringt, was sich bereits am Montagmorgen durch Medien-Aussagen des Leipziger Polizeipräsidenten René Demmler (ebenfalls angefragt) abzeichnete: Aus den geplanten drei Demonstrationen am Samstag über eine Beauflagung durch das Ordnungsamt Leipzig eine stationäre Kundgebung zu machen.
Immer wieder wird dabei darauf verwiesen, dass es im Umfeld der „Wir sind alle LinX“-Demo am 18. September 2021 Gewalt gegeben hätte (zum LZ-Liveticker). Unklar ist jedoch für den 23. Oktober 2021, ob es sich um die gleiche Anmelderin handelt, wie am 18.09.2021, als Juliane Nagel (MdL, Linke) die Versammlung verantwortete.
Kurz gesagt: So mancher erwartet für den 23. Oktober 2021 erneute Ausschreitungen, wenn sich mehrere Demonstrationszüge am Samstag Richtung Leipzig Connewitz bewegen, wozu bis heute deutschandweit mobilisiert wurde.
Die PD Leipzig vermeldet Montag dazu: „Zu den drei angezeigten Versammlungen, bei denen von einer Teilnehmerzahl im vierstelligen Bereich des linken bzw. linksextremistischen Spektrums ausgegangen werden muss, wird bundesweit mobilisiert. Im Zeitraum von 16:00 Uhr bis ca. 21:00 Uhr beabsichtigen die Anmelder bzw. die Anmelderinnen zunächst an drei unterschiedlichen Orten – im Bereich des Leipziger Augustusplatzes im Zentrum, der Karl-Heine-Straße im Leipziger Westen sowie des Lene-Voigt-Parks im Leipziger Osten – zu starten und sich in der Folge im Leipziger Süden zu vereinigen und im Stadtteil Connewitz am Abend die Abschlusskundgebung durchzuführen.“
Bis hierhin gehen eigentlich alle Beobachter davon aus, dass es nur zu einer stationären Kundgebung ohne Demonstrationszug durch die Stadt kommen könnte – das mildeste Mittel, um der offenkundigen Lageeinschätzung der Polizei Rechnung zu tragen. Doch offenbar geht die Stadt Leipzig dieses Mal aufs Ganze.
Erste Verbotsmeldungen von Anmelderinnen
Denn seit dem gestrigen Montagabend berichten die Versammlungsanmelderinnen auf ihrem Blog, bereits einen ersten Bescheid der Stadt Leipzig vorliegen zu haben. In diesem seien am „heutigen Nachmittag die drei geplanten Demonstrationen ‚Alle zusammen! – Autonom, widerständig, unversöhnlich‘ verboten“ worden.
Der Bescheid umfasse zudem „nicht nur das Verbot der geplanten Demonstrationen, sondern auch ‚jede Form von Ersatzversammlungen’.“ Weiterhin gäbe die Stadt den Hinweis, dass zu einer verbotenen Versammlung auch nicht aufgerufen und mobilisiert werden darf. Den Bescheid selbst veröffentlichten die Anmelderinnen nicht.
Damit, sollten sich diese Informationen bewahrheiten, steht die Stadt Leipzig vor einem seit langem nicht mehr erlebten Verbotsverfahren einer Versammlung, in welchem Gefahrenprognosen der Polizei sowie des Landesamtes für Verfassungsschutz eine Rolle spielen. Zumal, wenn das Verbot vor dem Verwaltungsgericht Leipzig von den Anmelderinnen angefochten wird. Nicht grundlos müssen bei solchen Verbots- oder anderweitigen Einschränkungsversuchen klare Nachweise seitens der Polizeibehörde und der Stadt geführt werden, wie genau die Untersagungen zu rechtfertigen sind.
Ein Komplettverbot ist dabei die höchste Hürde dank eines grundgesetzlich verbrieften Versammlungsrechtes (friedlich und ohne Waffen) und wird vor Gericht äußerst kritisch beäugt.
Und genau das scheint nun zu geschehen. „Wir prüfen, ob wir gegen das Verbot klagen und halten euch auf dem Laufenden“, so der Schlusssatz der überraschenden Verbots-Mitteilung auf dem Blog.
Update vom 19. Oktober, 13:40 Uhr: Stadt bestätigt Demoverbote
Das Ordnungsamt der Stadt Leipzig hat am Dienstag, dem 19. Oktober, das Verbot der Demonstrationen bestätigt. Grund dafür sei „die Tatsache, dass nach den derzeit erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit bei Durchführung der Versammlungen unmittelbar gefährdet ist“, heißt es in einer Pressemitteilung.
Seine Erkenntnisse bezieht das Ordnungsamt nach eigenen Angaben aus einer Gefahrenprognose der Polizei, einer Lageeinschätzung des Verfassungsschutzes und Recherchen der Versammlungsbehörde. Die Polizei habe „keine geeigneten polizeilichen Maßnahmen oder Mittel, die zu erwartenden Tathandlungen unterbinden zu können“, heißt es weiter.
Welche Tathandlungen das sein sollen und welche genauen Erkenntnisse die Stadt hat, ließ das Ordnungsamt offen. Zuvor hatte die LZ angefragt, warum die Stadt nicht zu milderen Mitteln als Verboten greift, also beispielsweise geänderten Routen oder Auflagen, die Versammlungen stationär durchzuführen.
Diese Anfrage blieb bislang unbeantwortet. In der Pressemitteilung heißt es lediglich, dass „auf Grundlage der vorliegenden Erkenntnisse alleinig Versammlungsverbote als geeignete Maßnahmen zur Verhinderung eines unfriedlichen Versammlungsverlaufs gesehen werden“.
Betrachtet man den Aufruf und die Gruppen, die zu den Demonstrationen aufgerufen hatten, scheint es tatsächlich nicht unwahrscheinlich, dass Straftaten stattfinden könnten. Allein das begründet allerdings keine Demoverbote, wie schon die zahlreichen „Querdenken“-Versammlungen gezeigt haben.
Offen ist aktuell, ob die Organisator/-innen der Antifa-Demos gegen das Verbot klagen werden. Die ersten Reaktionen in den sozialen Medien lassen erahnen, dass potentielle Teilnehmer/-innen in jedem Fall nach Leipzig kommen würden.
Auch aus der Leipziger Stadtpolitik gibt es bereits erste Reaktionen. So bezeichnete die Linken-Stadträtin Juliane Nagel das Verbot als „massiven Eingriff in die Grundrechte“. Ihrer Einschätzung nach sei das Verbot nicht haltbar. Ähnlich sieht es Grünen-Stadtrat Jürgen Kasek, der das Komplettverbot „weder nachvollziehen noch demokratisch gutheißen“ könne.
Besondere Brisanz erhält das Verbot auch dadurch, dass Leipzigs Polizeipräsident René Demmler erst am selben Tag in einem großen LVZ-Artikel gefordert hatte, ähnliche Demonstrationen wie jene von „Wir sind alle LinX“ im September künftig im Voraus deutlich einzuschränken oder gar zu verbieten. Die LVZ hatte sich dieser Forderung in einem Kommentar des Lokalchefs angeschlossen.
Update vom 19. Oktober, 18:30 Uhr: Viele Fragen bleiben offen
Warum genau die Stadt die Demonstrationen komplett verboten hat und keine milderen Mittel wie stationäre Kundgebungen in Betracht kamen, blieb auch im weiteren Verlauf dieses Tages offen; eine entsprechende Nachfrage an die Stadt haben wir (nochmal) verschickt.
Polizeisprecher Olaf Hoppe schrieb auf LZ-Anfrage: „Im Ergebnis ist zu bilanzieren, das auch aus unserer Sicht das Verbot der Versammlungen das einzige Mittel ist, um die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten. Andere Auflagen sind dazu im konkreten Fall nicht geeignet.“
Ob die Organisator/-innen der Demonstrationen gegen das Verbot klagen werden, blieb am Dienstag ebenfalls offen. Die aktuelle Meldung ist nach wie vor jene von vergangener Nacht: „Eine Klage dagegen wird geprüft.“
Das Landesamt für Verfassungsschutz teilte der LZ heute mit, vorerst doch keine Informationen an die Presse zur Lageeinschätzung zu geben. Durch die Verbotsverfügung sei nunmehr die Stadt Leipzig alleinige Ansprechpartnerin und für die Kommunikation in diesem Fall zuständig.
Insbesondere da unklar sei, ob die Versammlungsanmelderin klagen wird, seien derzeit Auskünfte auf direktem Weg nicht möglich.
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