Nicht wenige Kommentator/-innen hatten im Vorfeld der Bundestagswahl befürchtet, dass das voraussichtliche knappe Ergebnis der Bundestagswahl zu einer Hängepartie in Sachen Regierungsbildung führen wird. Schon wurde kolportiert, Angela Merkel werde noch einmal die Neujahrsansprache halten.
1.: Das tatsächliche Wahlergebnis vom 26. September 2021 ist eindeutig: Die SPD ist als stärkste Partei aus der Bundestagswahl hervorgegangen und hat darüber hinaus noch zwei Landtagswahlen gewonnen: Berlin knapp und Mecklenburg-Vorpommern souverän. Der Auftrag, eine neue Bundesregierung zu bilden, liegt eindeutig bei Olaf Scholz und der SPD. Sie haben die Möglichkeit, mit den beiden Parteien, die auch gewonnen haben, eine Koalition zu bilden: Bündnis 90 / Die Grünen und die FDP.
d2.: Die Eindeutigkeit des Wahlergebnisses rührt auch daher, dass CDU und CSU eine dramatische Niederlage zu verzeichnen haben. Was vor wenigen Wochen niemand für möglich gehalten hat, ist eingetreten: CDU/CSU sind bundesweit unter 25 Prozent gerutscht. Dabei waren viele davon ausgegangen, dass CDU/CSU ohne Angela Merkel das bis dahin schlechteste Wahlergebnis von 32,9 % im Jahr 2017 jetzt auf jeden Fall halten, wenn nicht deutlich verbessern werden.
Doch CDU/CSU haben dabei einen Faktor übersehen, der sich jetzt durch die Wähler/-innenwanderung von der CDU zur SPD (1,3 Mio. Stimmen) bestätigt hat: Eine von Angela Merkel sozialdemokratisierte CDU konnte in den vergangenen 16 Jahren der SPD politisch und programmatisch das Wasser abgraben. Jetzt aber fließt das Wasser zur SPD zurück – will sagen: Viele, auch ehemalige CDU-Wähler/-innen wollen eine im Grundsatz auf sozialen Ausgleich und Zusammenhalt ausgerichtete Politik.
Sie erwarten von der Bundespolitik, dass soziale Gerechtigkeit wesentlicher Maßstab und Ziel bleiben, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu gewährleisten. Nachdem Angela Merkel aber nicht mehr als Kanzlerkandidatin angetreten ist, haben sich viele Bürger/-innen darauf besonnen, welche Partei Garant für eine solche Politik ist: die SPD. Das fiel umso leichter, als die SPD sowohl in der Regierungspolitik der vergangenen vier Jahre wie in diesem Wahlkampf die sozialen Themen in den Mittelpunkt gestellt hat: Respekt, Mindestlohn, bezahlbaren Wohnraum, ein garantiertes Rentenniveau.
Diese Themen wurden glaubwürdig vertreten durch Olaf Scholz. Dem hatte und hat die CDU nichts entgegenzusetzen. Es war schon skurril, wie Armin Laschet in der Endphase des Wahlkampfs inhaltlich implodierte. Er hatte nichts anzubieten – außer das Schreckgespenst Rot-Rot-Grün als Menetekel an die Wand zu malen. Doch eine solche Konstellation wurde weder von Olaf Scholz favorisiert, noch hat sie sich faktisch ergeben. Vielmehr konnte die SPD durch den sozialpolitischen Schwerpunkt in der eigenen Programmatik viele Linke-Wähler/-innen zurückgewinnen.
3.: Diese Wahl wurde wesentlich in Ostdeutschland entschieden. Dort brach die CDU nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern ein – ohne dass die AfD davon profitieren konnte. Auch wenn mit Recht viele erschrocken darüber sind, dass die AfD in Sachsen und Thüringen stärkste Partei geworden ist und viele Direktmandate (auch in Sachsen-Anhalt) gewinnen konnte – Tatsache bleibt: Die AfD hat selbst in Sachsen deutliche Stimmeneinbußen erlitten. Der Niedergang der CDU hat nicht zu einer Stärkung der Rechtsnationalisten geführt. Vielmehr haben auch in Ostdeutschland SPD (kräftig), Grüne und FDP (in Maßen) dazugewonnen.
So beunruhigend es nach wie vor ist, dass eine rechtsextremistische Partei wie die AfD in Sachsen 25 Prozent Stimmenanteil erzielen kann (Ursache und verantwortlich dafür sind die Wähler/-innen und niemand sonst!) – offensichtlich hat die AfD ihren Höhepunkt längst überschritten. Jetzt wird es darauf ankommen, dass die SPD die breite Zustimmung nutzt, einlöst, verfestigt, um vor allem im ländlichen Raum Sachsens und Thüringens wieder Fuß zu fassen.
4.: So sehr das Wahlergebnis den Wunsch vieler Bürger/-innen nach Veränderung und Erneuerung widerspiegelt, so sehr zeigt es auch, dass das Sicherheitsbedürfnis der Menschen angesichts der globalen politischen Turbulenzen und der näher rückenden, katastrophalen Folgen des Klimawandels gewachsen ist. Die Corona-Pandemie ist ein Teil dieser Folgen. Das erklärt auch, warum die verheerende Juli-Flut in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz nur zu einem verhaltenen politischen Druck auf CDU/CSU und SPD geführt hat, die Klimapolitik zu schärfen. Olaf Scholz aber konnte auch deswegen so erfolgreich sein, weil er in seiner Persönlichkeit die beiden, sich durchaus widersprechenden Wünsche vereint.
5.: So sehr eine rot-grün-rote Koalition programmatisch den gesellschaftspolitischen Erfordernissen hätte entsprechen können, so klar ist aber auch, dass diese zu einer heftigen Polarisierung innerhalb der Gesellschaft geführt hätte. Diese hätte die Durchsetzungsmöglichkeiten der politischen Ziele mehr als eingeschränkt. Positiv gewendet bedeutet dies: Eine Ampel-Koalition verfügt über deutlich mehr politische Möglichkeiten, die notwendigen Maßnahmen in Sachen Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit, Steuer- und Rentenpolitik, europäische Einigung, Friedens- und Abrüstungspolitik in Gang zu setzen.
Auch auf diesem Hintergrund ist es mehr als ein strategischer Fehler gewesen, dass Bündnis 90 / Die Grünen viel zu lange ihre Wahlkampfstrategie auf ein schwarz-grünes Bündnis plus FDP ausgerichtet haben. Eine solche Konstellation hat sich aber angesichts der faktischen Abwahl der CDU/CSU als Regierungsparteien erledigt. Jetzt wird es darauf angekommen, aus den programmatischen Politikansätzen der drei Parteien eine Zukunftsidee für die neue Bundesregierung zu entwickeln. Diese Aufgabe ergibt sich aus dem Wähler/-innenvotum vom vergangenen Sonntag.
Zum Blog von Christian Wolff: http://wolff-christian.de
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