Polizei ist, versteht man sie im demokratischen Kontext, ein Teil der Gesellschaft, der Bürger in Uniform. Und dennoch eine besonders privilegierte und hierarchisch organisierte Gruppe Menschen, wenn es um die Ausübung von staatlicher Gewalt und der Durchsetzung von Regeln und Rechten im Straßenverkehr, auf Demonstrationen aber auch im täglichen Stadtgeschehen geht. Wem und unter welche Führung man eine solche Aufgabe überträgt, ist also wichtig: ein Gespräch mit Polizeipräsident René Demmler.
Er ist noch immer „der Neue“, mitverantwortlich für jeden einzelnen Bürger, wenn er mit den Beamten in Kontakt kommt, aber auch für Städte und im Falle Leipzigs zusätzlich den Landkreis Nordsachsen, wenn es um seine Herangehensweise in der Polizeiführung geht.
Betrachtet man mal die vergangenen Polizeipräsidenten Leipzigs nimmt man dabei jedoch verschiedene Stile und zu bewältigende Aufgaben der jeweiligen Zeit und einen Abbruch wahr.Der offen bürgerpolizeilich auftretende Horst Wawrzynski, welcher neben massiven Einbruchszahlen vor allem mit neonazistischen Bewegungen in Leipzig und steigender Drogenkriminalität zu tun bekam, über seinen Nachfolger Bernd Merbitz, der die weitgehende Friedlichkeit zu Silvester im Auge behielt, vor allem aber engagiert für die Aufnahme von Flüchtlingen eintrat, nahmen ihre Rolle auch außerhalb von Kriminalitätsbekämpfung und Strafverfolgung wahr.
Während beide versuchten, stark präventiv zu arbeiten, sich bei Podiumsdebatten offen ins Stadtgeschehen einmischten und so weit als möglich polizeiliches Handeln transparent machten, legte ihr Nachfolger Torsten Schultze bis Ende 2020 etwa zwei Jahre lang gefühlt einen Schalter um.
Aus einer oft in Personalnot, aber klar agierenden Polizei wurde eine unberechenbare, abgeschottete Leitungsebene bis hinunter zu den wenig koordiniert und nachvollziehbar handelnden Beamten. Es endete in einem Einsatz am 7. November 2020, als zuvor eine harte Gangart verkündet wurde, um im Sinne des Gesundheitsschutzes die Flutung von Leipzigs Zentrum mit „Querdenkern“ einzudämmen. Und anschließend alles einfach gewährte, während der linke Widerstand bis nach Connewitz verfolgt wurde.
René Demmlers Herausforderungen in Leipzig sind also vielfältiger, als mancher von außen meint. Seit Jahresbeginn 2021 lenkt der neue Nachfolger in der Position des obersten Gesetzeshüters die Geschicke der Stadt und die LZ traf sich zum zweiten langen Gespräch in seiner neuen Wirkungsstätte. Dabei ging es vor allem um Vertrauen, Bürgernähe und im ersten großen Thema um die Zukunft der Waffenverbotszone rings um die Eisenbahnstraße.
Herr Demmler, Sie sind nun seit einigen Monaten im Amt des Leipziger Polizeipräsidenten, wie haben Sie sich eingelebt? Ihr Vorgänger, Torsten Schultze, musste viel Kritik einstecken. Begegnet Ihnen sein „Erbe“ ab und an in der Stadt bzw. werden Sie verantwortlich gemacht für sein Handeln?
Ich glaube, ich bin gut angekommen. Ich denke, trotz Corona ist es mir gut gelungen, Kontakte aufzunehmen. Sei es nun zu den Parteien aus dem Stadtrat, der Stadtverwaltung und allem drum herum. Ich fühle mich hier wohl. Auch in der Polizeidirektion Leipzig. Das erste Jahr hätte schlechter laufen können. Es gab natürlich Fragen zu vergangenen Situationen: Fahrradgate, Querdenker-Demonstrationen. Selbstverständlich wurde ich dazu nach meiner Einschätzung befragt.
An der einen oder anderen Stelle maße ich mir eine Bewertung an. An anderer Stelle sind diese Vorkommen natürlich nun auch mein Problem, Stichwort Fahrradgate. Da sehe ich uns in der Pflicht, uns intern so aufzustellen, dass etwas Derartiges nicht wieder vorkommen kann. Daran wird gearbeitet. Dass ich Aufgaben „von früher“ mit mir würde rumtragen müssen, war mir klar, bevor ich nach Leipzig gewechselt bin. Ich erachte das aber nicht als problematisch, dass man daran auch ein wenig gemessen wird.
Wie schätzen Sie die Rolle der Polizei in der Gesellschaft heutzutage ein?
Die hat sich definitiv verändert. Die ersten Jahre nach der Wende, als ich noch Streifenpolizist war, haben die meisten Menschen ohne Widerstand auf die Polizei gehört. Danach kam die Zeit, in der mehr Bürger/-innen Ansagen hinterfragt haben, man war im Austausch. Das finde ich persönlich sehr angenehm.
In der heutigen Zeit bemerken wir schon, dass der Respekt gegenüber der Polizei nachlässt. Wir sind Projektionsfläche für die verschiedensten Dinge. Grundsätzlich gehen wir meistens dorthin, wo uns niemand haben will. In vielen Situationen weisen wir ja die Menschen darauf hin, dass etwas falsch gemacht wurde. Und danach müssen wir handeln und einschreiten. Natürlich finden manche das nicht gut.
Dass wir so im Fokus stehen als Gewaltmonopol des Staates ist oft nicht einfach, auch für junge Kolleg/-innen: Wir haben eine Strafverfolgungspflicht, die Staatsanwaltschaft bestätigt eine Straftat und wenn wir tun, was unsere Aufgabe ist, folgt „Dresche“.
Wie könnte man das verändern?
Ich denke nicht, dass wir als Polizei Mittel haben, um eine gesellschaftliche Entwicklung, die auch durch Werbung und Erziehung bestimmt ist, zu ändern. Das ist immer auch Zeitgeist, natürlich. Die Uhr werden wir schwierig zurückdrehen können.
Gesellschaft ist zunehmend auch Netzgesellschaft. Welche Befugnisse hat die Polizei in den sozialen Medien? Kann die Behörde Personen blockieren, die sich strafauffällig im Netz verhalten?
Wenn wir, insbesondere unser Social-Media-Team (insgesamt momentan fünf Personen sachsenweit, Anm. d. Red.), auf solche Beiträge aufmerksam gemacht werden oder selbst feststellen, sichern wir diese zunächst. Danach wird eine Bewertung der Inhalte vorgenommen, findet bei Auffälligkeit den Weg in die Strafverfolgung. Ist der Sachverhalt nicht ganz sicher, wird die zuständige Staatsanwaltschaft mit herangezogen. Ist die Information aus einem anderen Bundesland, wird sie dorthin geleitet.
Bisher haben wir es so gehalten, dass wir Accounts wirklich nur dann blockiert haben, wenn strafauffälliges Verhalten sichtbar war. Natürlich gibt es so etwas wie eine Etikette. Wenn aber die Polizei durchgreift bzw. blockiert, wird das als eine Grundrechtsverletzung gesehen. Wir müssen aber auch aufpassen, nicht in den Generalverdacht einer Gesinnungspolizei zu geraten.
In der Anfangszeit von Twitter und Co. war es schwierig für die Polizei, hinterherzukommen. Da kommen etliche Hinweise, denen man nach dem Legalitätsprinzip nachgehen muss.
Wie gehen Sie als Polizei mit Hass im Netz um?
Auch im Netz hat sich die Situation verändert: Als wir mit Twitter begonnen haben, gab es viele Menschen, mit denen man sich unterhalten konnte, es gab Interaktionen. Dieser Teil hat sich inzwischen zurückgezogen. Es gibt heute einen Großteil an Nutzer/-innen, mit denen die Kommunikation nicht mehr möglich ist. Dennoch lesen viele weiterhin die Beiträge und Gespräche.
Die Aufgabe des Teams ist dann, eine Antwort zu formulieren, die sich an diejenigen richtet, die sich nicht mehr aktiv an der Diskussion beteiligen. Das macht es auf Dauer schwer. Das ist das Gleiche wie auf der Straße: Wie stelle ich den Kontakt zu den Menschen wieder her? Das ist auch eine hohe emotionale Belastung.
Unser erster Einsatz mit Twitter ist sechs Jahre her, das war auf einem Einsatz in Dresden. Das ist eine Entwicklung. Ich erinnere mich an eine halbwegs vernünftige, teils sogar juristische Diskussion im Netz. Da war keine Rede davon, dass jemand beleidigt oder angeprangert wurde. Diese Schwelle ist lange überschritten.
Es gibt auch neue Entwicklungen bei der „Waffenverbotszone“ Eisenbahnstraße: Wie sehen Sie die juristische Entscheidung, dass die Verbote zu eng gefasst waren?
Ja, da gibt es jetzt eine Rechtsprechung, die das Innenministerium nicht angegriffen hat. Somit sind jetzt die gefährlichen Gegenstände (u. a. Schraubendreher usw.) in der Waffenverbotszone nicht mehr verboten. Als Ganzes hat die Waffenverbotszone noch Bestand.
War es nicht von Anfang an Unsinn, mit einem langen Messer dürfte man doch auch an anderen Orten Leipzigs nicht herumlaufen? Die begleitende Studie hat auch andere Erkenntnisse zutage gefördert?
Dass die Eisenbahnstraße immer noch eine Örtlichkeit ist, wo im Rahmen der Kriminalitätsbekämpfung Handlungsbedarf besteht, ist aus meiner Sicht viel wesentlicher. Die Studie hat dazu einiges offengelegt, was sich nicht mal in besonderer Weise an die Polizei richtet.
Aber, wir haben ja jetzt auch mit der Stadt eine Arbeitsgruppe dazu. Von daher betrachte ich die Studie ein Stück weit als nach vorn gewandt. Und wir sind sehr gern bereit, unseren Teil dazu beizutragen, was da niedergeschrieben wurde. Zielstellung muss tatsächlich sein, die Waffenverbotszone irgendwann zu beenden. Wir brauchen aber ein Stück weit Kompensation, weil einfach mal alles abbauen und nichts tun funktioniert auch nicht.
Gibt es bereits konkretere Pläne dazu, in einer Bürgerversammlung wurde bereits die Rückkehr der Polizeiwache auf die Eisenbahnstraße gefordert?
Ja, das Allererste, wo wir uns einig waren: Wir wollen wieder Präsenz auf der Eisenbahnstraße. Unsere Wache war gemeinsam mit Räumen der Stadt gemietet. Letztendlich haben die sich für etwas anderes entschieden und auf einmal waren wir obdachlos. Leider bekommt man eine Räumlichkeit auf der Eisenbahnstraße nicht aus dem Ärmel geschüttelt.
Da hängen ja auch Sicherheitsvoraussetzungen dran. Und da ist ja auch noch die Aussage von Oberbürgermeister Burkhard Jung: Die neue Polizeiwache soll etwas Gemeinsames zwischen Stadt und Polizei werden.
Wenn wir keine Immobilie finden, müssen wir warten, bis die Stadt etwas gebaut hat. Ewig warten können wir nicht, aber der Schwimmhallenneubau ist eine Gelegenheit, wo wir vielleicht mit hineinpassen oder die geplante Bibliothek (Bauzeit jeweils bis 2025, d. Red.). Bis dahin müssen wir vielleicht über eine Containerlösung nachdenken.
Ein weiteres Thema war der Verkehr im Viertel?
Ja, es gibt ein Problem bei den Verkehrskontrollen. Das klingt immer so ein bisschen „Pillepalle“, so kommt das rüber. Aber die Situation im Verkehrsbereich, das Parken in der zweiten Reihe, ist offensichtlich etwas, was die Leute auch sehr bewegt. Jedenfalls mehr, als die Gewaltstraftaten.
Auch Müll …
Das fällt zwar wirklich nicht in unsere Zuständigkeit, aber auch da haben wir gehandelt. Etwa 50 Mal haben wir bereits mit der Kradstaffel Einsätze gemacht, wo immer je zwei Beamte mit dem Motorrad unterwegs sind, einfach mal anhalten, wenn sie Müllplätze sehen und handeln. Also wir sind schon dabei, auf andere Art Präsenz zu zeigen, sind auch schon mehr zu Fuß unterwegs.
Wir haben auch auf Bürgerfesten einen Stand, in dessen Rahmen auch unsere Bürgerpolizisten auftreten. Wie gesagt, ich glaube das ist schon wichtig, Comunity Policing vielleicht im besten Sinne entlang der Eisenbahnstraße zu machen. Eins steht aber auch fest. Die Probleme, die wir haben, sind eine offene Drogenanbieterszene und die unbestrittene Gewaltkriminalität vor Ort.
Nicht ganz ernsthaft: Die können Sie doch von der Eisenbahnstraße auch wieder zum Schwanenteich verdrängen?
Da muss natürlich weiterhin mit Razzien und Ermittlungsmaßnahmen reagiert werden. Das macht dann natürlich nicht der Bürgerpolizist. Aber wir müssen so ein Stück weit den Methodenmix finden. Ich glaube, bei den Ansprüchen, die der Bürger hat, kann man so oder so nicht alles erfüllen, das schaffen weder wir noch die Stadtverwaltung. Der Müll räumt sich auch nicht selber weg. Die Frage ist ja wirklich das sogenannte Sozialkapital, wie das immer so schön bezeichnet wird.
Normalerweise sollte es mich selbst ärgern, wenn vor meiner Bude der Müll rumliegt. Und je mehr diese Ansicht haben, umso weniger liegt dann über kurz oder lang herum und dann hat man das Problem auch geklärt. Ich muss nicht immer schreien und sagen, die Stadt muss sich mal um den Müll kümmern.
Eins steht doch fest: auch die Stadt hat da schon viel gemacht. Aber wir sind gern bereit, die Fingerzeige, die in der Bürgerversammlung gegeben wurden, ernst zu nehmen und umzusetzen.
Ist es nicht vielleicht tatsächlich der Mühe wert, die Eisenbahnstraße wie ein Laboratorium zu sehen, generell für lebendige Straßen und Viertel? Die Rückmeldung der Bürger ist ja letztlich: Wir wollen, dass hier die Polizei ansprechbar sein soll und es um Prävention geht.
Ja, aber die Kriminalität muss ja auch noch „mitgemacht werden“. Auch das, was die Studie aufzeigt, finden nicht alle gut. Also wir haben jetzt schon bei der einen oder anderen Gelegenheit in den Bürgerforen zu hören bekommen, dass nicht alle es gut finden, wenn mehr Polizei da ist.
Doch bei einem Problem, wie zum Beispiel mit den herumliegenden Drogen-Spritzen vor den Schulen, das klären wir damit, dass wir ein Schild aufstellen, auf das wir schreiben: hier ist eine Schule, hier bitte nicht spritzen? Das ist auch nicht alles so einfach. Unsere Vision, in das Viertel reinzugehen, dort wirklich den Kontakt zu knüpfen, Vertrauen aufzubauen, das ist nicht von jedermann gewollt.
Nicht alles, was da in Zukunft gemacht werden wird, wird auf eitel Sonnenschein treffen. Wir können die Diskussion weiterführen ohne Ende, das Gebiet um die Eisenbahnstraße bleibt hier und da ein sogenannter „gefährlicher Ort“ (Polizeibegriff für kriminalitätsbelastetes Gebiet, d. Red.).
Wir prüfen das ständig, aber das ist nach wie vor noch so. Also wir haben dort nie eine Kontrolle gemacht, alleine weil es eine Waffenverbotszone ist.
Zur Person: René Demmler
René Demmler (49) ist seit dem 1. Februar 2021 der Präsident der Leipziger Polizei und löste damit Torsten Schultze ab, der nach zwei Jahren in Leipzig aus persönlichen Gründen um die Entbindung aus dem Amt bat. Demmler wechselte aus der Zwickauer Direktion, wo er für wenige Monate Chef war. Im Juli 2020 hatte er diese Position von Conny Stiehl übernommen.
Zuvor war der heutige Leipziger Polizeipräsident unter anderem Leiter im Referat 32 (Organisation, Planung, Controlling und Strategie der Polizei) im Sächsischen Staatsministerium des Innern, Leiter des Führungsstabs in der Polizeidirektion Dresden sowie Referatsleiter in der Polizeidirektion Zwickau und Leiter des Polizeireviers Zwickau.
„Bürger und Polizei: „Community Policing und Razzien im Mix“ – Polizeipräsident René Demmler im Interview“ erschien erstmals am 3. September 2021 in der aktuellen Printausgabe der Leipziger Zeitung (LZ). Unsere Nummer 94 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.
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