Eigentlich war für den Auftritt des ultrarechten AfD-Politikers Björn Höcke alles angerichtet. Als er am Donnerstag, den 9. September, kurz nach 19 Uhr die Bühne betrat, blickte er im Dämmerlicht auf den mit rund 250 Menschen gefüllten Marktplatz in Grimma. Er war die Hauptattraktion an diesem Abend; das merkte man am begeisterten Applaus bei seinem Einmarsch und an den „Höcke, Höcke“-Rufen. Doch die fulminante Rede, auf die hier alle gehofft hatten, sollte es nicht geben. Stattdessen erlebten die AfD-Anhänger/-innen eine Führungsfigur, die wegen lauter Musik die Bühne verließ.
Von zwei Seiten – jeweils circa 50 Meter von der Bühne entfernt – schallte die Musik auf den Marktplatz. Zu hören waren internationale Popsongs und antifaschistische Lieder von deutschen Bands wie der „Antilopen Gang“ und den „Ärzten“. Als Höcke seinen Auftritt mit den Worten „Langsam habe ich die Nase voll“ unterbrach, folgte wie in einer geplanten Choreographie das „Arschloch!“ aus dem „Ärzte“-Song „Schrei nach Liebe“.
Veranstalter und Ordner der AfD-Kundgebung, die kurz nach 18 Uhr unter dem Motto „Freiheit und Wohlstand statt Klimasozialismus“ begonnen hatte, lieferten sich daraufhin hitzige Wortgefechte mit Polizei und Ordnungsamt. An der Lautstärke der Musik änderte sich jedoch wenig. Zwischenzeitlich drohte Höcke sogar damit, gemeinsam mit Teilnehmer/-innen zum Polizeirevier zu laufen, um dort Anzeige wegen Störung einer Versammlung zu erstatten.
Eine relativ gemäßigte Höcke-Rede
Dazu kam es jedoch nicht. Nach etwa 15 Minuten setzte der thüringische AfD-Landesvorsitzende seine Rede fort. Er behauptete, dass der „Kampf gegen Rechts das Fundament unserer Gesellschaft erodieren“ lasse, die Antifaschist/-innen für ihre Teilnahme am Protest bezahlt würden und die Polizei „verschwuchtelt“ sei. Für seine Verhältnisse war es ein gemäßigter Auftritt.
Auch die anderen Redner hielten sich offenbar etwas zurück und inszenierten die AfD als bürgerliche Partei, die der CDU das Direktmandat abnehmen möchte. Vor vier Jahren hatte die AfD in Grimma knapp 29 Prozent der Erststimmen erhalten – nur fünf Prozentpunkte weniger als die CDU.
Ein mutiger Versprecher
Doch auch die anderen Redner werden dem ultrarechten, angeblich aufgelösten „Flügel“ um Höcke zugerechnet. Als der Bundestagsabgeordnete Ulrich Oehme davon sprach, dass seine Partei „zu 100 Prozent auf dem Grundgesetz steht“, also dieses quasi mit Füßen tritt, war das wohl kein Versprecher, sondern Mut zur Wahrheit. Vor vier Jahren war Oehme mit einem verbotenen Spruch der SA in den Wahlkampf gezogen. Das wiederum war angeblich ein Versehen.
Die Inhalte der Redebeiträge waren breit gestreut: Es ging um Afghanistan, die angeblich drohende Massenmigration, die „Klimalüge“, Digitalisierung, die „Kartellparteien“, einen möglichen Betrug bei der anstehenden Bundestagswahl und natürlich Corona und die Impfungen.
Kein Platz für Faschisten
Begleitet wurde die knapp zweistündige Veranstaltung von zwei Gegenkundgebungen, an denen sich insgesamt mehr als 100 Personen beteiligten. Neben Musik waren dort Parolen wie „Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda“ und „Höcke ist ein Faschist“ zu hören. Dass in Grimma „kein Platz für Faschisten“ sei, war auf Plakaten zu lesen.
Während die Teilnehmer/-innen des antifaschistischen Protests überwiegend jung waren, zeigte sich bei der AfD ein gemischtes Bild. Neben vielen älteren Personen standen auch zahlreiche Jugendliche auf dem Platz. Eine Gruppe aus 15 bis 20 Personen fiel nach dem Ende der Kundgebung mit Naziparolen auf. Einige riefen in Anwesenheit der Polizei auch „Sieg heil“.
Eine Verabschiedung für Björn Höcke war das allerdings nicht. Der AfD-Promi war nur für seine Rede und einige Selfie-Wünsche vor Ort und zu diesem Zeitpunkt schon wieder verschwunden. Die Polizei teilte später mit, dass es bezüglich der Rufe zwei Tatverdächtige gebe.
Für die Frage, wie Antifaschist/-innen mit solchen Veranstaltungen umgehen sollten, lieferte dieser Abend wertvolle Erkenntnisse: Wer sich als charismatischer Führer inszenieren und mitreißende Reden halten will, kann laute Musik und widerspenstige Parolen offenbar nicht gebrauchen.
Hinweis der Redaktion in eigener Sache
Seit der „Coronakrise“ haben wir unser Archiv für alle Leser geöffnet. Es gibt also seither auch für Nichtabonnenten alle Artikel der letzten Jahre auf L-IZ.de zu entdecken. Über die tagesaktuellen Berichte hinaus ganz ohne Paywall.
Unterstützen Sie lokalen/regionalen Journalismus und so unsere tägliche Arbeit vor Ort in Leipzig. Mit dem Abschluss eines Freikäufer-Abonnements (zur Abonnentenseite) sichern Sie den täglichen, frei verfügbaren Zugang zu wichtigen Informationen in Leipzig und unsere Arbeit für Sie.
Vielen Dank dafür.
Empfohlen auf LZ
So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:
Keine Kommentare bisher